Europäischer Gaspreisdeckel: Der Weg ist frei, Fragen sind noch offen
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Die Befürworter eines europäischen Gaspreisdeckels haben sich endgültig durchgesetzt.
© Quelle: Karl-Josef Hildenbrand/dpa
Brüssel. Nach außen gab sich Charles Michel zwar zuversichtlich. Doch aus seinen Worten klang der Frust über den Dauerstreit in der EU heraus. „Wir müssen es schaffen zu zeigen, dass wir geeint sind“, sagte der EU-Ratschef am Donnerstag beim EU-Gipfel in Brüssel. Einen halben Tag später wurde Michels Wunsch zum Teil erfüllt: Der Streit um einen europäischen Gaspreisdeckel ist im Grundsatz beigelegt. Aber da war auch noch das Katar-Gate, der Korruptionsskandal im Europäischen Parlament.
Normalerweise spielt Roberta Metsola, die Präsidentin des Europaparlaments, beim Treffen der Staats- und Regierungschefs eine Nebenrolle. Sie ist dort nur Gast. Doch die Zeiten sind nicht normal.
Schlimmster Korruptionsskandal in der Geschichte des Parlaments
Das Parlament wird vom vielleicht schlimmsten Korruptionsskandal in seiner Geschichte erschüttert. Mutmaßlich ließen sich Abgeordnete sowie Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen von Katar viel Geld in die Tasche stecken, um sich in Brüssel für das Golfemirat einzusetzen. Das hat eine Schockwelle im Parlament ausgelöst.
Eva Kaili als Vizepräsidentin des EU-Parlaments abgesetzt
Das EU-Parlament hat die im Fokus eines Korruptionsskandals stehende griechische Sozialdemokratin Eva Kaili als Vizepräsidentin abgesetzt.
© Quelle: Reuters
Metsola sicherte den Staats- und Regierungschefs am Donnerstag zu: „Ich werde alles machen, um sicherzustellen, dass das Parlament nicht käuflich ist.“ Es werde „nichts unter den Teppich gekehrt“. Sie habe für diesen Kurs viel Zuspruch erhalten, sagte Metsola. Das war nicht verwunderlich: Noch eine Krise wollen sich die Staats- und Regierungschefs nicht ans Bein binden, solange sie es vermeiden können.
Lange Liste der strittigen Punkte
Denn die Liste der strittigen Punkte ist auch ohne Korruptionsskandal schon lang genug. Allen voran steht der Streit um einen europäischen Gaspreisdeckel, der – wieder einmal – auf der Tagesordnung des EU-Gipfels gelandet ist.
Mindestens 15 EU-Mitglieder wollen per Verordnung eine Obergrenze für den Gaspreis festlegen. Das soll verhindern, dass die Preise – wie im Sommer geschehen – auf extreme Höhen von mehr als 300 Euro pro Megawattstunde Gas klettern.
Doch andere Staaten, unten ihnen Deutschland und die Niederlande, wollten da zunächst nicht mitmachen. Sie fürchten, dass ein niedriges Preislimit die Versorgungssicherheit gefährdet. Großeinkäufer von Gas könnten in Versuchung geraten, das Gas nach Asien zu verkaufen, weil es dort höhere Preise erzielt.
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sagte zwar, er sei sicher, „dass es zu einer einvernehmlichen Lösung kommen wird“, doch zur Sicherheit schob Scholz die Worte „im Laufe der Zeit“ nach.
Wie hoch wird das Preislimit sein?
Einige Stunden später war dann klar: Die EU-Spitzenpolitiker werden keine Entscheidung treffen. Sie beauftragen aber die EU-Energieminister, die Grundsatzeinigung am kommenden Montag detailliert auszuarbeiten. Wenn es nicht wieder zum Streit kommt, wird es aller Voraussicht nach demnächst einen Gaspreisdeckel in der EU geben.
Unklar ist aber noch, wie hoch das Preislimit sein soll. Im Gespräch ist eine Obergrenze von 180 bis 220 Euro pro Megawattstunde. Die EU-Kommission hatte zuvor ein Limit von 275 Euro vorgeschlagen. Bundeskanzler Scholz wollte nach dem EU-Gipfel keine Zahlen nennen. Er sagte aber, das Limit werde so hoch liegen, „dass es keine Turbulenzen auf dem Markt auslöst“.
Bis Montag wird ein weiterer Streit definitiv nicht beendet sein. Es geht um die Reaktion der EU auf das milliardenschwere Programm, mit dem die USA klimafreundliche Technologien im eigenen Land fördern wollen. Fast 370 Milliarden US-Dollar an Subventionen und Steuergutschriften hat Präsident Joe Biden den Unternehmen versprochen, sofern sie US-Produkte verwenden oder in den USA produzieren.
Die Europäer sehen das als Angriff auf den freien Welthandel an. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat vorgeschlagen, einen gemeinschaftlich finanzierten EU-Souveränitätsfonds aufzulegen. Aus diesem Fonds, der im Prinzip dem Corona-Aufbaufonds der EU ähnelt, sollen Investitionen in grüne Technologien subventioniert werden.
Macron: Europa darf sich nicht über Geldfragen zerstreiten
„Ich denke, jetzt müssen wir entschieden reagieren“, mahnte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron in Brüssel. Wichtig sei, dass Europa sich nicht über Geldfragen zerstreite. Doch das wird sich aller Voraussicht nach nicht ganz vermeiden lassen.
Bundeskanzler Scholz ist skeptisch und sagte, es gebe noch ziemlich viel Geld aus dem Corona-Fonds, das noch gar nicht ausgegeben sei. Der niederländische Regierungschef Mark Rutte stärkte seinem deutschen Amtskollegen den Rücken: „Wir sind keine großen Fans von neuem Geld, solange es noch altes Geld gibt.“
Weil sich das Problem am Donnerstag nicht lösen ließ, wurde eine allgemeine Formel vereinbart: Die EU-Kommission soll Anfang des kommenden Jahres Vorschläge machen, wie die europäische Wettbewerbsfähigkeit verbessert werden kann.
Eines ist klar: Die Ukraine braucht weitere Finanzhilfe aus Europa
Immerhin in einem Punkt schienen sich die Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstag einig zu sein. Die Ukraine braucht weiter Finanzhilfe aus Europa, um die wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffs halbwegs in den Griff zu bekommen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, nach Brüssel zugeschaltet per Video, bat die EU inständig um eine schnelle Überweisung. Zunächst hatte es danach ausgesehen, als könnten sich die Staats- und Regierungschef nicht darauf verständigen, wann die erste Tranche von insgesamt 18 Milliarden Euro nach Kiew geschickt wird.
Denn Polen meldete am Donnerstag Bedenken an, um den polnischen Anteil aus dem Corona-Wiederaufbaufonds loszueisen. Das Geld ist gesperrt, weil die EU-Kommission Polen vorwirft, gegen rechtsstaatliche Prinzipien zu verstoßen. Doch am Abend gab Polen die Blockade nach Angaben von EU-Diplomaten auf. Nun kann das Geld fließen.