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EU-Klimagipfel: Spitzen reden sich Verhandlungen schön

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen (CDU).

Die Präsidentin der Europäischen Kommission, Ursula von der Leyen (CDU).

Berlin. Am Freitagmorgen beherrschen die Nachrichten aus London die europäischen Schlagzeilen. In Brüssel, wo die Staats- und Regierungschefs der EU zum Gipfeltreffen versammelt sind, ist manch einer froh darüber. Der spektakuläre Wahlsieg von Boris Johnson lenkt ab vom Streit der Europäer beim Klimaschutz.

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Die Spitzen der EU haben sich in der Nacht zuvor nicht einstimmig auf die von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausgegebene grüne Agenda einigen können. Ihr „Green Deal“ stößt mitunter auf Ablehnung. Demnach soll die EU bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral sein – also nicht mehr Treibhausgase ausstoßen, als sie etwa mit Wäldern oder unterirdischer CO2-Speicherung binden kann. Staaten, die auf Kohleverstromung setzen, stellt das vor große Herausforderungen – besonders in Osteuropa.

Nach anfänglichem Widerstand lenken Ungarn und Tschechien in den zehnstündigen Verhandlungen ein. Polen aber verweigert seine Zustimmung zu einem klimaneutralen Europa bis 2050; gut drei Viertel seines Stroms bezieht das Land aus Kohle. Und so kommt es in der Nacht zu Freitag zu einem Novum: Der europäische Rat, stets auf Einstimmigkeit bedacht, verabschiedet eine Erklärung der Uneinigkeit. „Ein Mitgliedstaat kann sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht verpflichten, dieses Ziel für sich umzusetzen, und der Europäische Rat wird im Juni 2020 darauf zurückkommen“, heißt es gleich in Punkt eins.

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Für EU-Kommissionschefin von der Leyen und EU-Ratspräsident Charles Michel ist es der erste Gipfel im neuen Amt. Trotz des schriftlich dokumentierten Zwists mühen sich beide mit kreativer Energie, die Klimaverhandlungen als großen Erfolg darzustellen. „Wir haben eine Übereinkunft zum Klimawandel erzielt“, sagt Michel. Und: „Wir wollen, dass Europa der erste klimaneutrale Kontinent wird.“ Von der Leyen gratuliert dem Belgier zum ersten EU-Gipfel unter seiner Führung: „Du warst erfolgreich.“

Kanzlerin Angela Merkel schlägt einen nüchternen Ton an. „Ich bin unter den gegebenen Umständen recht zufrieden“, sagt sie. Es gebe keine Spaltung Europas in verschiedene Teile, sondern es gebe einen Mitgliedstaat, der noch etwas Zeit braucht. Polen werde den Wandel „in seinem eigenen Tempo“ beschreiten, sagt Ministerpräsident Mateusz Morawiecki. Wie schnell dies sein wird, dürfte nicht zuletzt eine Frage des Geldes sein: Die EU-Kommission bietet die „Finanzierung der Umgestaltungsbemühungen“ an. Der EU-Haushalt des nächsten Jahrzehnts soll Anreize zur Emissionssenkung enthalten.

Nicht nur beim Ziel, der Klimaneutralität bis 2050, mangelt es an Einigkeit. Noch größer ist der Dissens der Europäer in der Frage nach dem Weg dorthin.

Die Interpretationen von klimafreundlicher Energiegewinnung gehen weit auseinander. So unternimmt Tschechien im Laufe des Freitags den Vorstoß, Kernkraft als grünen Strom einzustufen. Deutschland, aber auch Österreich und Luxemburg lehnen dies ab. In der Schlusserklärung heißt es dann, jeder Staat könne selbst über seinen Energiemix entscheiden. Und: „Einige Mitgliedstaaten haben erklärt, dass sie als Teil ihres nationalen Energiemixes Kernenergie nutzen.“ Der deutsche Atomausstieg findet in der EU nicht so schnell Nachahmer.

Der Dissens beim Klimaschutz ist die Folge einer zersplitterten Energiepolitik in Europa. Während Malta und Zypern fast vollständig vom Öl abhängig sind, bezieht Frankreich drei Viertel seines Stroms aus der Kernkraft, derweil Schweden knapp zur Hälfte auf Wasserkraft setzt. In Deutschland stammen 38 Prozent des Stroms aus der Kohle, 13 Prozent aus der Kernkraft, 7 Prozent aus Erdgas und 40 Prozent aus Erneuerbaren. Unterschiedliche Energiequellen bedingen unterschiedliche Interessen.

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Europa soll China, USA und Co. Beine machen

Da fällt es den Europäern schwer, in der Klimapolitik mit einer Stimme zu sprechen. Dabei wäre eben dies nötig, wenn die EU tatsächlich globaler Vorreiter beim Klimaschutz sein will, wie von Kommissionschefin von der Leyen gefordert. Europa soll in Sachen Klimaschutz arg trägen Mächten wie China, USA, Russland, Brasilien und Saudi-Arabien Beine machen.

Noch klappt das nicht, wie die Verhandlungen bei der UN-Klimakonferenz in Madrid zeigen. Am Freitag sollte sie enden. Weil aber bis zum Abend keine Einigung bei der Umsetzung des Pariser Klimavertrages zustandekam, standen die Zeichen auf Verlängerung. Vier Jahre sind vergangen, seitdem sich die Weltgemeinschaft in der französischen Hauptstadt auf die Begrenzung der Erderwärmung einigte. Wie sie das schaffen will, hat sie noch immer nicht geklärt.

Allein das Bekenntnis zu einem Ziel spart jedenfalls kein CO2 ein. Selbst wenn es stolz und freudig vorgetragen wird wie 2015 in Paris oder 2019 in Brüssel.


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