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Führungsrolle trotz Rechtsstaatszweifel?

EU-Parlament stellt Ratspräsidentschaft Ungarns infrage

Ungarns Premierminister Viktor Orban.

Ungarns Premierminister Viktor Orban.

Berlin. Der Resolutionsentwurf liest sich wie eine Anklageschrift. Von Einschüchterung von Unternehmen ist darin die Rede, von manipulierten öffentlichen Beschaffungsverfahren, vom Untergraben der Meinungsfreiheit und der Freiheit der Lehre, von „wachsender Konzentration von Unternehmen in den Händen von Oligarchen mit Verbindungen zur aktuellen Regierung“ und – zusammengefasst – von der „weiteren Verschlechterung der Rechtsstaatlichkeit und der Grundrechtslage“ und dem systematischen Untergraben der Grundwerte der EU. Das Europäische Parlament wird diese Resolution am Donnerstag beschließen.

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Enthalten sind darin auch Konsequenzen – und eine davon sticht besonders hervor: Die Europaparlamentarier stellen die turnusgemäße Übernahme des EU-Ratsvorsitzes durch Ungarn infrage. Alle sechs Monate übernimmt ein anderes Land diese Präsidentschaft, die die Tagesordnung der EU bestimmt. Ungarn wäre im Juli 2024 an der Reihe, gleich nach der Europawahl. Unter Punkt elf der Resolution soll festgestellt werden: Angesichts der Nichteinhaltung des EU-Rechts und der EU-Werte sowie der fehlenden loyalen Zusammenarbeit stelle sich die Frage, wie Ungarn die Rolle des Ratsvorsitzes „glaubwürdig erfüllen kann“. Die Resolution wird von allen Fraktionen des Parlaments außer den Rechtspopulisten getragen.

Es reicht eine qualifizierte Mehrheit – und Ungarn könnte nicht blockieren

Es ist ein Arbeitsauftrag an die EU-Staats- und Regierungschefs: Sie müssten beschließen, die Rotation zu durchbrechen. Dazu reicht eine qualifizierte Mehrheit, Ungarn könnte einen Beschluss also nicht blockieren.

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Der Vorsitzende des Bundestags-Europaauschusses, Anton Hofreiter (Grüne), empfiehlt dem EU-Rat dringend, einen solchen Beschluss zu erwägen. „Wenn sich eine große Mehrheit im Parlament dem Beschluss anschließt, sollte im Rat ernsthaft über Ungarns Präsidentschaft diskutiert werden. Dazu gehört auch die Überlegung, ob Staaten, die ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 durchlaufen, für einen Vorsitz infrage kommen“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

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Das nämlich ist die Idee der Europaparlamentarier. Keine Einzelfallregelung soll es geben, sondern eine grundsätzliche Festlegung. Weder Ungarn noch Polen könnten dann derzeit den EU-Vorsitz übernehmen – gegen beide Länder laufen sogenannte Artikel-7-Verfahren, in denen überprüft wird, ob das betreffende Land die im EU-Vertrag genannten Grundwerte der EU einhält.

Ratspräsidentschaft von Ungarn: „So, als würde man den Schulhofschläger zum Schuldirektor machen“

Für den SPD-Europaparlamentarier René Repasi ist der Zusammenhang klar: „Es kann nicht sein, dass ein Staat, der die Rechtsstaatlichkeit schleift, die EU leitet. Da gibt es ein großes Schadenspotenzial. Eine Präsidentschaft kann wichtige Gesetzgebungsverfahren verschleppen. Außerdem ist die EU-Ratspräsidentschaft eine der EU-Vertreter in der Außen- und Sicherheitspolitik. Dass Viktor Orban, der im Ukraine-Krieg Verständnis für Russland zeigt, im Namen der EU nach Moskau fährt, ist nicht vorstellbar“, sagte Repasi dem RND.

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Der FDP-Europaparlamentarier Moritz Körner hat einen drastischen Vergleich: „Es wäre so, als würde man den Schulhofschläger zum Schuldirektor machen“, sagte er dem RND.

Sollten sich die Staats- und Regierungschefs nicht durchringen können, Ungarn aus der Präsidentschaftsrotation zu nehmen, gäbe es eine weitere Möglichkeit: Dem Ratspräsidenten Orban könnte die Zuständigkeit für Rechtsstaatlichkeit in der EU entzogen werden – und zwar durch das vorherige und das folgende Ratspräsidentschaftsland, in diesem Fall Spanien und Belgien. „Das wäre das Minimum“, sagt Körner. „Wenn nichts passiert, besteht die Gefahr, dass die Grundfesten der EU weiter bröckeln.“


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