„Wir können nur stillschweigend akzeptieren“

Experte: Die Ukraine ist verloren und ein Nuklearkrieg Putins letzter Schritt

Beschädigte Radaranlagen und andere Ausrüstung sind in einer ukrainischen Militäreinrichtung außerhalb der Stadt Mariupol zu sehen. Russische Truppen haben ihren erwarteten Angriff auf die Ukraine gestartet.

Beschädigte Radaranlagen und andere Ausrüstung sind in einer ukrainischen Militäreinrichtung außerhalb der Stadt Mariupol zu sehen. Russische Truppen haben ihren erwarteten Angriff auf die Ukraine gestartet.

Russland hat in der Nacht einen Angriffskrieg auf die Ukraine gestartet. Nach russischen Raketen sind nun auch Panzer und andere Bodentruppen auf ukrainisches Gebiet vorgedrungen. Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erläutert der Politikwissenschaftler Johannes Varwick, Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, warum die Ukraine nicht mehr zu retten ist und wie es jetzt weitergeht.

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Herr Varwick, warum hat Russland trotz aller diplomatischen Bemühungen die Ukraine angegriffen?

Es gibt zwei Möglichkeiten: Putin war von vorneherein entschlossen, sein brutales Drehbuch durchzuziehen und eine Neuordnung der europäischen Landkarte in die Realität umzusetzen. Oder der Westen hat zu wenig Bereitschaft gezeigt, auf die russischen Kerninteressen einzugehen. Das werden am Ende Historiker entscheiden. Der Westen hat aus meiner Sicht nicht alle Möglichkeiten ausgelotet. Wir haben nicht verstanden, dass die Ukraine zu den Kerninteressen Russlands zählt. Es gab die Chance, mit einem neutralen Status der Ukraine eine Eskalation zu verhindern.

„Wenn Putin mit seiner Strategie keinen Erfolg hat, wird Russland zu anderen Maßnahmen greifen, und der letzte Schritt wäre ein Nuklearkrieg.“

Johannes Varwick,

Professor für Internationale Beziehungen und europäische Politik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

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Hätte der Westen das Angebot Russlands angenommen, über eine Neuordnung der Sicherheitsordnung Europas zu reden, dann hätte die Situation vielleicht entschärft werden können. Aber der Westen wollte nicht auf Russland eingehen und nun ist diese westliche Strategie gescheitert. Das Beharren auf unseren Prinzipien war falsch. Jetzt befinden wir uns in der schlechtesten aller denkbaren Situationen.

Ist die Ukraine noch zu retten?

Nein, für den Westen ist die Ukraine verloren. Putin ist nicht mehr davon abzubringen, die Ukraine einzunehmen und einen Regimewechsel durchzusetzen. Dafür ist Putin zu weit gegangen. Wir können nur stillschweigend akzeptieren, dass Russland gerade Fakten schafft. Alle Rhetorik und Sanktionen werden daran nichts ändern. Wir können jetzt nur darauf setzen, dass die Ukraine der letzte Schritt Putins ist.

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Also, dass Putin nicht als Nächstes andere Ex-Sowjetstaaten angreift?

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Genau, allerdings ist die Ukraine ein Sonderfall und Nato-Mitglieder wird Putin nicht wagen anzugreifen. Wenn die Ukraine 2008 Nato-Mitglied geworden wäre, dann wäre sie auch in einer ganz anderen Situation. Ich sehe keine akute Gefahr für andere Staaten, denn die Abschreckung der Nato an den Ostgrenzen ist erfolgreich. Aber die Situation ist brenzlig und es ist kein Naturgesetz, dass Russland nicht doch noch einen Nuklearkrieg beginnt. Denn Putin handelt schon lange nicht rational.

Wie wehrhaft sind Deutschland und Europa überhaupt noch gegen Russland?

Deutschland muss an Wehrhaftigkeit zulegen. Wir leben in einer Welt, in der militärische Logik politisches Handeln bestimmt. Das wird dazu führen, dass die Politik militarisiert wird. Wir werden die Ausgaben für Verteidigung deutlich erhöhen und die Nato stärken müssen. Der Frieden in Europa ist Vergangenheit und das Vertrauen in Russland ist komplett zerstört. Es wird Jahrzehnte dauern, bis das Vertrauen zwischen dem Westen und Russland wiederhergestellt ist.

Liegt es vielleicht auch am politischen System der Demokratie, das gegen eine Autokratie kaum etwas auf diplomatischem Weg ausrichten kann?

Die Demokratie ist das überlegende Modell. Das Einzige, wo Russland stark ist, ist das Militär. Aber das russische Staatsmodell hat keine Anziehungskraft – niemand findet das sexy. Putin wird nicht gewinnen, aber wir brauchen einen langen Atem. Russland wird in den nächsten Monaten immer ärmer, ist politisch und wirtschaftlich isoliert und wird sich innenpolitisch radikalisieren. Eines fernen Tages wird es in Russland Menschen geben, die all das infrage stellen und die Politik ändern. In 50 Jahren könnte es eine Demokratie in Russland geben. Aber unter Putin wird sich erst einmal gar nichts ändern.

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In 50 Jahren erst? Was gilt bis dahin?

Wir müssen jetzt das alte Konzept des Containments, also der Eindämmung, wieder aktivieren. Das bedeutet, wir müssen die Ostflanke der Nato stärken und mit Abschreckung Putin diese Grenze aufzeigen. Klar ist, die Ukraine liegt hinter dieser Grenze. Jetzt geht es darum, die Nato-Mitglieder im Osten zu schützen. Von Rumänien bis Bulgarien, diese Länder sind als Nato-Staaten in einer besseren Situation und können möglichen Aggressionen Russlands standhalten.

Wie geht es jetzt weiter?

Wir werden jetzt eine Eiszeit erleben, die Monate dauern wird. Es bleibt zu hoffen, dass es bald wieder Bedarf geben wird, mit Russland Verhandlungen zu führen, zum Beispiel über Rüstungskontrolle oder unbeabsichtigte Eskalationen. Auch im Kalten Krieg hatten wir Kontakte mit der Sowjetunion pflegen müssen, obwohl uns dies nicht gefiel. Ein kompletter Abbruch der Beziehungen auf allen Ebenen hilft uns schließlich nicht weiter. Das ist keine Lösung. Russland ist eine Atommacht und das ist ein ernst zu nehmendes Eskalationsszenario. Wenn Putin mit seiner Strategie keinen Erfolg hat, wird es zu anderen Maßnahmen greifen und der letzte Schritt wäre ein Nuklearkrieg. Wir müssen also diesen Krieg zu Ende denken und dürfen nicht in eine Dauereskalation mit Russland kommen.

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