Faktencheck zum TV-Triell: Wo die Kandidaten übertrieben haben oder danebenlagen
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Die Kanzlerkandidaten Armin Laschet (CDU), Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) und Olaf Scholz (SPD) stehen vor der Sendung im Fernsehstudio in Berlin-Adlershof.
© Quelle: Michael Kappeler/dpa Pool/dpa
Berlin. Vier Wochen vor der Bundestagswahl haben sich die drei Kanzlerkandidaten von CDU/CSU, SPD und Grünen einen ersten TV-Schlagabtausch zu vielen wichtigen Wahlkampfthemen geliefert. Beim Triell der Sender RTL und ntv diskutierten Armin Laschet, Olaf Scholz und Annalena Baerbock am Sonntagabend konträr über Fragen wie Außen- und Sicherheitspolitik, Corona-Strategie, Bekämpfung des Klimawandels oder Steuerpolitik. Bei manchen Behauptungen blieb in der Diskussion offen, ob sie den Fakten entsprechen. RND.de hat die wichtigsten Punkte dazu gegengeprüft.
Außen- und Sicherheitspolitik
Die Streitfragen:
Mit Blick auf die aktuelle Lage in Afghanistan ging es zunächst um darum, wer die zu spät eingeleitete Evakuierung der Ortskräfte von Bundeswehr und zivilen deutschen Einrichtungen zu verantworten hat. CDU-Chef Laschet räumte ein, der Siegeszug der Taliban sei ein Desaster für den Westen – und auch die eigene Bundesregierung.
Er nutzte die Einsicht zudem für Kritik an der SPD: „Wir werden unsere Bundeswehr besser ausstatten müssen“, sei eine Lehre aus Afghanistan, so Laschet. Das habe die SPD oft verhindert, etwa bei der Beschaffung von Hubschraubern oder bewaffneten Drohnen. Im Zusammenhang damit, dass Scholz eine Zusammenarbeit mit der Linkspartei nicht explizit ausschließen wollte, betonte der CDU-Chef zudem, dass diese im Bundestag gerade „gegen die Rettung der Menschen“ in Afghanistan gestimmt habe.
SPD-Kanzlerkandidat Scholz, dessen Parteigenosse Heiko Maas für sein Krisenmanagement als Außenminister in der Kritik steht, lobte den Evakuierungseinsatz der Bundeswehr: „Ich bin sehr dankbar dafür, dass wir es geschafft haben, viele in den letzten Jahren, die als Ortskräfte für uns tätig waren, nach Deutschland zu holen“, sagte Scholz. Im nächsten Satz bezifferte er die Zahl der Geretteten auf „viele Tausend“, die man habe einfliegen lassen. Schuld an mangelnder Ausstattung der Bundeswehr wies er zurück: Scholz behauptete, dass mit ihm als Finanzminister der Verteidigungshaushalt über 50 Milliarden Euro gestiegen sei.
Die Fakten:
Die Erfolge der Notevakuierung seiner Koalition hat SPD-Vizekanzler Scholz übertrieben. Tatsächlich konnten laut Bundesregierung nur 630 Ortskräfte inklusive deren Familienmitglieder nach Deutschland geholt werden. Neben ihnen wurden zwar auch 3500 Afghanen eingeflogen, die Liste derjenigen, die eine Ausreise beantragt hatten, umfasse laut Regierungsangaben jedoch 40.000 Menschen.
Auch Scholz’ Behauptung, er habe die Bundeswehrausgaben als Finanzminister stärker anwachsen lassen als seine Amtsvorgänger, ist überzogen: Zwar gab es tatsächlich einen Aufwuchs, seit er 2018 das Amt übernahm. Jedoch begann dieser Trends bereits in der Amtszeit seines Vorgängers Wolfgang Schäuble (CDU).
Im aktuellen Haushaltsjahr 2021 liegt der Haushalt für Verteidigung zudem bei 46,9 Milliarden Euro und damit 3,1 Milliarden unter dem von Scholz behaupteten Betrag. Allerdings: Über 50 Milliarden Euro – genauer 50,33 Milliarden – soll der Verteidigungshaushalt erstmals im kommenden Jahr hinausgehen. Das geht aus dem Regierungsentwurf für 2022 hervor.
Was die Blockade der SPD bei der Beschaffung etwa von Kampfdrohnen betrifft, so ist Laschets Vorwurf faktisch richtig: In der Frage der Bewaffnung ist die Partei gespalten. Die SPD-Fraktion hat beschlossen, dass in den Bundesministerien keine Tatsachen geschaffen werden dürfen, bis eine prinzipielle Zustimmung des Bundestages zur Bewaffnung gefällt ist. Als Finanzminister fühlt sich Scholz daran gebunden.
Der Vorwurf an die Linkspartei ist dagegen überspitzt formuliert: Richtig ist, dass sie dem Mandat zur Evakuierung nicht nachträglich zugestimmt hat. Falsch ist, dass sie dagegen gestimmt hat: Die Fraktion hat sich zum größten Teil enthalten. Nur sieben Abgeordnete stimmten klar gegen den Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan, fünf gaben ihre Stimme für die Evakuierung ab und 43 enthielten sich – in dieser Form ein Novum für die Fraktion, die sonst jeden Auslandseinsatz prinzipiell ablehnt.
Klimapolitik:
Die Streitfragen:
In der Klimapolitik mussten vor allem Laschet und Scholz mit Anschuldigungen der Grünen-Spitzenfrau umgehen: Baerbock warf Union und SPD „Nichtstun“ in der Klimapolitik vor. So wollten die Grünen eine Pflicht durchsetzen, für Neubauten Solarpanele auf Dächern zu installieren – das habe die Regierungskoalition verhindert. Zudem habe die Union eine Aufteilung der höheren Heizkosten durch die CO₂-Bepreisung zwischen Mietern und Vermietern blockiert.
Auch Scholz attackierte Laschet dafür, dass er nicht genug beim Ausbau erneuerbarer Energien getan habe. Er kritisierte zudem die Dauer von Genehmigungs- und Bauverfahren für Energiewendeprojekte: Sechs Jahre dauere es, eine neue Windkraftanlage genehmigen und in Gang setzen zu lassen.
Laschet warf den Grünen vor, „der Industrie Fesseln anlegen“ zu wollen und mit „immer neuen Verboten“ Deutschland als wettbewerbsfähigen Industriestandort zu gefährden. Baerbock wies vor allem den Vorwurf zurück, der Bürger müsse die Kosten für den Klimaschutz schultern: Modelle aus Kanada und der Schweiz zeigten, dass das von den Grünen erdachte „Energiegeld“ für Ausgleich sorgt: Demnach könnten Einnahmen, die man durch den CO₂-Preis generiert, an die Menschen zurückgegeben werden.
Die Fakten:
Baerbocks Aussage, die Bundesregierung habe die Solarpflicht gestoppt, ist nur zur Hälfte korrekt. Als dieses Thema zur Debatte stand, war in einem ersten Entwurf aus dem SPD-geführten Bundesfinanzministerium klar von einer Pflicht zur Installation von Photovoltaik- und Solarthermieanlagen bei Neubauten die Rede.
Ein entsprechendes „Klimaschutz-Sofortprogramm“ präsentierten BUND, Nabu und der Dachverband DNR bereits. Es war schließlich die CDU-Fraktion im Bundestag, die diese Vorhaben aus dem Entwurf streichen ließ. Gleiches trifft auf die Verteilung des CO₂-Aufschlages auf Mieter und Vermieter zu: Obwohl innerhalb der Koalition bereits vereinbart, hat sich die Union am Ende verweigert.
Das grüne Modell eines Energiegeldes, das Laschet im Triell in Zweifel zog, gibt es im Ausland dagegen tatsächlich schon: In Kanada ist die Klimaprämie Teil der Steuerrückerstattung, in der Schweiz fließen die Prämien in die Krankenversicherung ein.
Mit seiner Kritik an den langen Bauverfahren liegt der aktuelle Finanzminister gar nicht mal falsch: Der Bundesverband Windenergie schätzt die aktuelle Genehmigungsdauer auf vier bis fünf Jahre.
Innere Sicherheit
Die Streitfragen:
Der CDU-Vorsitzende Laschet sprach sich für eine verstärkte Videoüberwachung des öffentlichen Raums gegen Kriminalität und Gewalttaten aus. Frauen fühlten sich am unsichersten in Unterführungen, Tunneln und Parks, behauptete er. Baerbock entgegnete: „Am unsichersten sind leider Frauen in den eigenen vier Wänden.“ Sie wies auf Übergriffe von Partnern und Ex-Partnern hin.
Laschet prangerte an, dass SPD und Grüne sich regelmäßig gegen Videoüberwachung einsetzten. SPD-Kandidat Scholz wies das zurück und sagte, Videoüberwachung sei eine Möglichkeit, von der schon Gebrauch gemacht werde und die er befürworte. Baerbock warnte dagegen davor, mit Überwachungskameras einen „Pappkameraden“ aufzubauen.
Die Fakten:
Mit ihren Antworten haben sowohl Laschet, als auch Baerbock Recht. Eine Studie des Kinderhilfswerks Plan aus dem vergangenen Jahr zeigt, dass sich Mädchen und Frauen auf der Straße, in Parks sowie öffentlichen Verkehrsmitteln am unsichersten fühlen. Als Grund wurde häufig eine schlechte Beleuchtung angegeben.
Doch auch in den eigenen vier Wänden sind Frauen Übergriffen ausgesetzt. So geht aus einer Auswertung des Bundeskriminalamtes hervor, dass 2019 rund 142.000 Fälle von Partnerschaftsgewalt registriert wurden. Bei über 80 Prozent der Taten waren die Opfer weiblich. Da nur wenige Gewalttaten angezeigt werden, geht man zudem von einer hohen Dunkelziffer aus. Und Corona hat das Problem weiter verschärft.
Eine Videoüberwachung gibt es in Zügen, Bahnhöfen und anderen öffentlichen Plätzen schon seit vielen Jahren. Allein in Berlin überwachen momentan mehr als 10.000 Kameras den öffentlichen Raum. Studien, die in diesem Zusammenhang die Reduzierung der Kriminalität untersucht haben, kommen jedoch zu differenzierten Ergebnissen. Videoüberwachung ist somit kein Allheilmittel, wodurch Baerbocks Aussage mit der Videoüberwachung „Pappkameraden“ aufzubauen, zumindest nicht aus der Luft gegriffen ist.
Interessant: Die SPD hat in ihrem Wahlprogramm den Passus gestrichen, wonach an Kriminalitätsschwerpunkten in Großstädten auch Videoüberwachung für mehr Sicherheit sorgen könne. SPD-Kanzlerkandidat Scholz sagte jedoch, dass er Videoüberwachung befürworte.
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Corona-Politik
Die Streitfragen:
In Bezug auf die Impfkampagne forderte Baerbock, dass man deutlich mehr tun könne. Als Negativbeispiel führte sie das Bundesland Nordrhein-Westfalen an, wo die Schulen einen Bus gebraucht hätten, um zu Impfterminen fahren zu können. Baerbock kritisierte in Richtung des dortigen Ministerpräsident Laschet: „Da haben sie gesagt, das wollen wir als Landesregierung nicht mitfinanzieren.“
Laschet hob dagegen lieber ein Positivbeispiel hervor: In Köln habe das Land auf eigene Kosten mobile Impfteams in soziale Brennpunkte geschickt.
Die Fakten:
Hintergrund von Baerbocks Attacke ist, dass die Stadt Duisburg einen Pendelverkehr für Schülerinnen und Schüler zum Impfzentrum organisiert hat. Tatsächlich lehnte es das Land Nordrhein-Westfalen aber ab, die Kosten für diese Busfahrten zu übernehmen. Nach Angaben der Stadt geht es um rund 27.000 Euro. Das NRW-Gesundheitsministerium begründete die Entscheidung jedoch nicht mit finanziellen Aspekten, stattdessen wolle man mit dem Angebot keinen unnötigen Druck auf Schüler ausüben, die sich nicht impfen lassen wollen.
Laschets Gegenbeispiel mit den mobilen Impfteams ist korrekt. Das Land NRW hat hierfür 1000 Impfdosen extra bereit gestellt. Inwieweit aber für die gesamten Kosten der Einsätze aufgekommen wurde, ist unklar.