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„Freedom Day“: Vorsicht mit dem F-Wort

Besucher springen bei einer „Freedom Day“-Party auf die Tanzfläche eines Londoner Clubs.

Besucher einer „Freedom Day“-Party in einem Londoner Club.

Hannover. Es war der Moment, der ihn berühmt machte – und den Tag, an dem es geschah. Am 19. Juni 1865 verlas Generalmajor Gordon Granger vom Balkon der Ashton Villa in Galveston, Texas, seine General Order Number three, seinen Generalbefehl Nummer drei: „Die Bevölkerung von Texas wird darüber informiert“, so beginnt dieser Befehl, „dass gemäß einer Erklärung der Regierung der Vereinigten Staaten alle Sklaven frei sind.“ Seitdem wird an diesem Tag in den USA das Ende der Sklaverei gefeiert, als „Juneteenth“ (ein Kunstwort aus „June“ und „Nineteenth“), „Black Independence Day“ oder auch: „Freedom Day“.

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Auch in Südafrika wird ein „Freedom Day“, ein Freiheitstag, gefeiert, und zwar am 27. April: An diesem Tag wird an die ersten freien Wahlen am Kap im Jahr 1994 erinnert. Das Ende von Kolonialismus und Unterdrückung.

Ein Tag der Erleichterung – nicht mehr, nicht weniger

In Deutschland, so haben es Bund und Länder jetzt verabredet, sollen am 20. März alle „tiefgreifenden Beschränkungen“ in der Pandemie wegfallen. Wenn das Virus, Infektionszahlen und Hospitalisierungsinzidenzen es denn zulassen. Das könnte tatsächlich ein sehr erleichternder Tag werden. Ein Zeichen der Zuversicht, passend zum Frühlingsbeginn.

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Nur ein „Freedom Day“, ein Freiheitstag, der wird dieser 20. März nicht. Und deshalb sollte ihn auch niemand so nennen.

Falsch ist dieser Begriff aus mindestens zwei Gründen. Denn zunächst würde er bedeuten, dass wir jetzt in Unfreiheit leben. Dass wir unser Dasein jetzt in einem Zustand fristen, der dem von Sklaverei und Kolonialismus gleicht. Das ist es, was „Querdenker“ und andere Vertreter eines vulgären Egoliberalismus implizieren, wenn sie uns die vergangenen zwei Jahre in einer „Corona-Diktatur“ wähnen, der nun ein „Freiheitstag“ ein Ende machen sollte.

Nun sind auch die Einschränkungen, die jetzt noch gelten, alles andere als banal. Wir können nicht grenzenlos feiern, uns versammeln, uns anderen nähern, in Stadien gehen und so weiter. Wir sollen uns impfen lassen, testen, Masken tragen. Das alles ist lästig, nervig, ermüdend, und für den Überdruss, den wir angesichts all dessen empfinden, finden wir kaum noch Worte.

Der Begriff der Unfreiheit aber passt nur, wenn wir Freiheit als einen Zustand verstehen, in dem jede und jeder machen kann, was sie oder er will, ohne jede Rücksicht auf seine Nächsten zu nehmen. In dem sich jeder der Illusion hingeben darf, er sei eine Insel. Tatsächlich aber impliziert Freiheit immer auch die Pflicht, die Freiheit des anderen zu achten und zu schützen – und erst recht seine Gesundheit.

Unfreiheit? Jetzt, wirklich? Der Begriff, hier benutzt, verhöhnt all jene, die wirklich in Unfreiheit lebten oder leben. Ein Blick zum Beispiel nach China könnte da ganz hilfreich sein. Und er wird dem Alltag nicht gerecht, den die meisten von uns längst (wieder) führen, den Freiheiten, die wir haben und in denen wir leben.

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Wann werden wir uns wieder in vollen Zügen frei fühlen?

Falsch aber wäre der „Freedom Day“ auch noch aus einem anderen Grund: Er weckt falsche Erwartungen. Lässt uns glauben, die weltweite Pandemie ließe sich per Dekret der bundesdeutschen Ampelkoalition beenden, und alles wäre wieder gut. Tatsächlich wird zumindest die Maskenpflicht in Innenräumen wohl durchaus bleiben – und auch, was „Freiheit“ anschließend für die meisten Schulkinder heißen wird, hat mit dem Ende aller Maßnahmen noch wenig zu tun.

Wir werden noch so viele Freiheitstage ausrufen können – wie die nächsten Monate aussehen werden, das wird wohl vor allem vom Einfallsreichtum der Biontech-Wissenschaftler und der Tücke kommender Virusvarianten abhängen. Und ob wir uns ohne Abstand und Maske im Frühjahr in übervollen ICEs oder Konzerthallen wirklich frei fühlen werden: Auch das ist noch nicht ausgemacht.

Es war die britische Regierung, die im vergangenen Jahr als erste den „Freedom Day“ ausgerufen hat – und am Ende aller Regeln auch dann festhielt, im Winter, als dies schon wider alle Vernunft zu sein schien. Dänemark folgte, beim ersten Versuch, im September – auf das Pathos des Freedom-Day-Begriffs verzichtete die Politik da aber schon weitgehend. Der Kassenärztechef Andreas Gassen war es, der den Begriff kurz darauf in die deutsche Debatte brachte, ohne Erfolg.

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Statt „Freedom Day“ kam dann die nächste Welle. Und auch Dänemark musste seinen Freiheitstag im ersten Anlauf widerrufen.

Vorsicht gegenüber dem F-Wort

Inzwischen herrscht auch in Deutschland Vorsicht gegenüber dem F-Wort. Die einzige Partei, deren Protagonisten noch programmatisch vom Freiheitstag sprechen, ist inzwischen die AfD. Sowohl der Kanzler als auch der Gesundheitsminister haben zuletzt erklärt, den Begriff bewusst zu vermeiden. Auch die FDP hält sich hier rhetorisch inzwischen zurück. Der „Freedom Day“ ist zum Kampfbegriff für all die geworden, die glauben, allein mit Sprache lasse sich Wirklichkeit gestalten. Als bräuchte es nur das richtige Wort, und schon ist Schluss mit Virus. Als General Gordon Granger 1865 seine Order Nummer drei verlas, veränderte dies die Wirklichkeit. Wer dies heute mit dem „Freedom Day“ versucht, dem ist diese Macht nicht gegeben.

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