Frust in Stuttgart - Euphorie in Mainz: die SPD im Wechselbad der Gefühle
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Andreas Stoch, Spitzenkandidat der SPD in Baden-Württemberg, und die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer.
© Quelle: Arne Dedert, Felix Kästle, dpa
Berlin. Schon vor dem Wahlsonntag hatten die Sozialdemokraten geahnt, dass Licht und Schatten für sie eng beieinander liegen würden. Der strahlende Wahlsieg in Rheinland-Pfalz und die herbe Niederlage in Baden-Württemberg zeigen die Spannbreite, die für die SPD gerade drin in. Wenn es rund läuft, kann sie den Regierungschef stellen oder wie im Fall der rheinland-pfälzischen Wahlsiegerin Malu Dreyer die Regierungschefin. Läuft es schlecht, droht wie in Baden-Württemberg der Absturz ins politische Niemandsland.
Mit dem äußersten Südwesten der Republik halten sich die Genossen an diesem Abend nicht lange auf. Baden-Württemberg erinnert inzwischen an Bayern, Thüringen, Sachsen oder Sachsen-Anhalt – die SPD hat diese Bundesländer weitgehend aufgegeben.
Dass Ute Vogt vor 20 Jahren noch mehr als 33 Prozent geholt hatte, dass selbst der glücklose Nils Schmid vor zehn Jahren noch bei 23 gelegen hatte – vergessen. Die Zeiten scheinen endgültig vorbei. Kleiner Trost für die Genossen im Ländle: auch die CDU holt ihr historisch schlechtestes Wahlergebnis.
Viel lieber blicken die Sozialdemokraten am Sonntagabend nach Mainz. Die dortige Ministerpräsidenten Malu Dreyer sei die „klare Siegerin des Abends“, jubelt SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil. Die zweite gute Nachricht aus seiner Sicht: In beiden Bundesländern sind Mehrheiten jenseits der Union möglich. „Das ist ein gutes Zeichen für die Bundestagswahl“, findet der SPD-Generalsekretär. „Man braucht keine Konservativen, um eine Regierung in diesem Land zu bilden.“ Das Rennen im Bund sei nach diesem Abend offener denn je.
Klingbeil und seine Mitstreiter im Willy-Brandt-Haus hoffen darauf, dass die Bestätigung der in Mainz regierenden Ampelkoalition der SPD genügend Schwung gibt, um die Aufholjagd im Bund zu starten.
Die ist dringend nötig, wenn Kanzlerkandidat Olaf Scholz seinen Anspruch aufrecht erhalten will, Angela Merkel zu beerben. Dass die Mainzer Ampel nun hell leuchtet – und zwar rot – ist für Scholz ein wichtiges Signal. „Es ist viel möglich, und ich will Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden. Auch das ist heute sichtbar geworden, dass das geht“, sagt er am Abend.
Scholz braucht eine Machtoption
Scholz weiß, dass er im Wahlkampf eine Machtoption präsentieren muss, wenn er als potenzieller Kanzler ernst genommen werden will. Dass diese Option bei den jüngsten Wahlen fehlte, war der Anfang vom Ende der Kanzlerträume seiner Vorgänger Martin Schulz, Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier.
Die Aussicht auf eine Ampelkoalition mit Grünen und FDP brächte für Scholz gleich mehrere Vorteile: Sie hätte schon bei geringen Prozentverschiebungen in den Umfragen eine Mehrheit. Sie würde anders als Rot-rot-grün bürgerliche Wähler nicht verschrecken. Und sie böte eine Erzählung, mit der sich die Zusammenarbeit begründen ließe: die Aussöhnung von Wirtschaftswachstum, Klimaschutz und guter Arbeit.
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Anders als in Mainz, wo es eine lange sozial-liberale Tradition gibt und sich die Spitzenleute von SPD und FDP gut verstehen, müsste Scholz allerdings den störrischen FDP-Bundesvorsitzenden Christian Lindner mit ins Boot holen. Das dürfte keine leichte Aufgabe werden, auch wenn nach der Jamaika-Absage vor vier Jahren der Druck auf Lindner groß sein wird, die Liberalen in irgendeine Regierungskoalition zu führen.
Problematisch ist aus SPD-Sicht, dass die Grünen im Bund deutlich stärker und selbstbewusster sind als in Rheinland-Pfalz. Das wichtigste Zwischenziel für Scholz ist es deshalb, der SPD die „Leadership im linken Lager“ zu sichern – auch wenn viele Genossen inzwischen daran zweifeln, dass die Grünen noch zum linken Lager zählen. Starke Grüne sind die eigentliche Gefahr für die Scholz-Kampagne. Sollte er in der heißen Wahlkampfphase deutlich hinter Annalena Baerbock oder Robert Habeck liegen, hätte er schon verloren.
Der Wahlausgang in Baden-Württemberg ist ein warnendes Beispiel. Das einzige, was die SPD dort noch erreichen kann, ist, als Juniorpartner in eine grün-geführte Koalition zu gehen – und auch das nur, wenn Ministerpräsident Winfried Kretschmann sie lässt. Man sei dazu bereit, verkündet Generalsekretär Klingbeil.
In Baden-Württemberg mag das für die SPD eine Verheißung sein. Im Bund ist es eine Horrorvision.