Führung in der Politik

Zögernd zum Erfolg: Ein zweiter Blick auf Olaf Scholz

Bundeskanler Olaf Scholz (SPD) hat bei seinem Besuch bei der Brauerei Gold Ochsen in Ulm ein Glas Bier in der Hand.

Bundeskanler Olaf Scholz (SPD) hat bei seinem Besuch bei der Brauerei Gold Ochsen in Ulm ein Glas Bier in der Hand.

Seht, er zögert! Er zaudert! Er kommt nicht voran! Weiß er überhaupt, wohin er will?

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In den Leopard-2-Debatten sah Olaf Scholz wochenlang nicht gut aus. Der Kanzler wirkte entschlusslos. „Deutschland, der peinliche Partner“, seufzte der „Stern“ auf seinem Cover. „Feige“ sei das alles, schimpfte „Bild“. Die „Neue Zürcher Zeitung“ tadelte „Europas großen Zauderer“.

Dummerweise hatte Scholz zuvor die Erwartungen an seinen Führungs­willen noch eigenhändig hochgeschraubt. Wer bei ihm Führung bestelle, trommelte er im Bundestags­wahlkampf, der bekomme sie auch.

Das schneidige Gerede fiel dem Sozial­demokraten vor die Füße. Reihenweise drehten die Deutschen Anfang 2023 die Daumen nach unten. Als „führungsstark“ empfanden Scholz Ende Januar in einer Forsa-Umfrage nur 25 Prozent. Sogar in seiner eigenen Koalition sprachen Kritiker von „historischem Versagen“.

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Scholz-Kritiker kommen ins Schleudern

Inzwischen allerdings wandelt sich das Bild. Denn Scholz, so stellt sich heraus, war keineswegs untätig in der Zeit seines Zögerns. Der Kanzler arbeitete hinter den Kulissen an einer komplizierten internationalen Vereinbarung, er hatte alle Hände voll zu tun. Dass, wie von Scholz erhofft, am Ende neben Deutschland auch die USA die Lieferung von Kampf­panzern zusagten, ergab sich nicht von selbst. Voraus­gegangen war ein diskretes Ringen mit der Regierung in Washington.

Das Ergebnis kann sich sehen lassen – und bringt jetzt wiederum die Scholz-Kritiker ins Schleudern. Denn erstens bekommt die Ukraine mit der deutsch-amerikanischen Verabredung sogar mehr Panzer, als dies mit einem reinen Leopard-2-Deal möglich gewesen wäre. Zweitens ist das westliche Bündnis damit in schwieriger Zeit einmal mehr ein Stück zusammen­gerückt. US-Präsident Joe Biden dankte, als er den Doppel­beschluss zur Panzer­lieferung vor der Presse im Weißen Haus verkündete, dem deutschen Kanzler ausdrücklich „für seine Führung“.

Viele werden weiterhin sagen, es sei alles zu spät und zu wenig. Von einem Führungs­versagen aber kann in Wahrheit nicht die Rede sein. Die Probleme des Kanzlers lagen und liegen komplett im Kommunikativen – und zwar in doppelter Weise: Seine Führungs­leistung wurde von Medien und Öffentlichkeit nicht angemessen wahrgenommen. Sie wurde aber auch von ihm selbst nicht angemessen erklärt.

Die drei Dimensionen des Zögerns

Dahinter steckt ein in vielen westlichen Gesellschaften spürbarer Trend: Regierende und Regierte geben sich zu wenig Mühe miteinander.

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Statt gegen­seitiges Verständnis zu fördern, lassen viele lieber das Verächtliche wachsen. Regierte trauen den Regierenden keine gute Führungs­leistung zu. Regierende wiederum glauben, die Regierten hätten von Führung beim besten Willen keine Ahnung.

Eine moderne, konsens­taugliche Definition von Führung könnte helfen. Noch immer aber kursieren zu diesem Thema frappierend primitive Vorstellungen.

Der Führer, die Führung, das Führen: In Deutschland sind schon die Begriffe als solche belastet, aus historischen Gründen. Die moderne Demokratie wäre einen Schritt weiter, wenn alle Beteiligten einander endlich einmal zugestehen würden, dass zum Führen heute mehr gehört, als mit flatterndem Fähnchen in der Hand einfach mal als Erster loszulaufen.

Auch im Zögern kann eine politische Führungs­leistung liegen. Der Kieler Philosoph David Lauer entfaltete jüngst in einem Beitrag in Deutschlandfunk Kultur die „drei Dimensionen des Zögerns“. Erstens: Zögern als bewusst geschaffener, vorüber­gehender Zustand der Unsicherheit, durch den umsichtige Reflexion erst möglich wird. Zweitens: Zögern als Ausdruck von Feigheit und Unentschlossenheit, also eines generellen Unwillens zur Festlegung. Drittens: Zögern in strategischer Absicht, als gezieltes Hinauszögern von Abläufen.

„Was wir sehen, ist ein Mensch, der nicht zur Tat schreitet“, sagt Lauer. Die Gründe aber kenne nur der Handelnde selbst.

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Ein Appell für mehr Geduld mit der Politik

Verdient die Politik, zumal im Feld des Internationalen, einen gnädigeren Blick? SPD-Chef Lars Klingbeil sagte bei einem Debattencamp seiner Partei in Leipzig, es sei richtig gewesen, dass Scholz zunächst hinter den Kulissen einen Konsens mit dem Weißen Haus hergestellt habe. So etwas brauche seine Zeit. Internationale Diplomatie könne man nicht wie einen Livestream betreiben: „Da erwarte ich einfach, dass die Gesellschaft ein bisschen geduldiger ist.“

„Abwarten neu lernen“ – schaffen wir das? SPD-Chef Lars Klingbeil am 28. Januar 2023 beim Debattencamp seiner Partei in Leipzig.

„Abwarten neu lernen“ – schaffen wir das? SPD-Chef Lars Klingbeil am 28. Januar 2023 beim Debattencamp seiner Partei in Leipzig.

Geduld aber gibt es heute weniger denn je. Nicht nur professionelle Medien, auch Millionen Menschen, die als Private zu Sendern und Empfängern im Netz geworden sind, tendieren inzwischen zum „kommentierenden Sofortismus“ – so nennt der Medien­wissenschaftler Bernhard Pörksen den Reflex, Meinungen schon zu äußern, bevor die Fakten feststehen. Der Professor aus Tübingen kennt das Gegenmittel. Man müsse, sagt Pörksen, „das Abwarten neu lernen“.

Abwarten? Das haben die Deutschen zuletzt unter Willy Brandt und Helmut Kohl fertig­gebracht, in der Bonner Republik. Damals ging es um die Ostverträge, dann um die deutsche Einheit. Brandt und Kohl hatten es in mancher Hinsicht leichter als der Zeitenwende­kanzler Scholz: Ihre politischen Missionen waren populär, beide beschrieben zu ihrer Zeit strahlende neue Chancen für Deutschland. Bei Scholz dagegen geht es um so unerquickliche Dinge wie militärische Gefahren­abwehr vor düsterer weltpolitischer Kulisse.

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Doch in guten wie in schlechten Zeiten gilt: Man muss fair bleiben, auch den Führenden gegenüber.

Zwischendrin kann das, was sie tun, immer mal unverständlich wirken, ungeordnet, sogar chaotisch – wie im griechischen Bergdorf, wenn plötzlich eine riesige Schafherde Touristen im Mietwagen zum Anhalten zwingt. Den überraschend Umzingelten ist es oft ein Rätsel, wann und wie es jemals weitergeht. Doch auch hier gilt die Pörksen-Theorie: Abwarten hilft. Irgendwann kommt der Hirte in Sicht, irgendwann auch sein Hund. Und zuletzt blöken die Schafe nicht mehr links und rechts, sondern alle haben das Dorf verlassen, erstaunlicherweise in der gleichen Richtung.

Merkels 4 D: Führen heißt Dienen

Ob im Bergdorf auf Kreta oder in Berlin-Mitte, ob bei einem Gipfel der Europäischen Union oder der Nato: Führungs­leistungen brauchen Zeit. Wer sie gerecht beurteilen will, darf nicht auf Moment­aufnahmen blicken.

Mitunter sind die Führenden bereits weiter, als es scheint. Ex-Kanzlerin Angela Merkel etwa erzielte in schwierigen Gesprächen mit anderen Regierungschefs oft Fortschritte, über die sie öffentlich zunächst nichts sagte. Auch gelang es ihr immer wieder, auf leise Art die große Mehrheit der EU-Staaten auf ihre Linie zu bringen.

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Der Berliner Politik­wissenschaftler Herfried Münkler sieht gerade im Verzicht auf große Posen eine starke Führungs­leistung Merkels. Die Kanzlerin habe damit die politische und ökonomische Stärke Deutschlands für die anderen Europäer erträglicher gemacht: „Angela Merkel war in dieser Hinsicht ein Glücksfall für Deutschland.“

Wer führen will, glauben viele, müsse „auf den Tisch hauen“. Die Kanzlerin hat das nie getan, sondern sich stets eingelassen auf das Komplexe – und dabei einen Stil gepflegt, den EZB-Präsidentin Christine Lagarde bewundernd mit „Merkels 4 D“ erklärt: diplomacy, diligence, determination, duty.

„Immer die am besten vorbereitete Person im Raum“: Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande (links neben ihr) im Jahr 2015 bei den Minsker Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (links) und dem damaligen Staatschef der Ukraine, Petro Poroschenko.

„Immer die am besten vorbereitete Person im Raum“: Angela Merkel und Frankreichs Präsident Francois Hollande (links neben ihr) im Jahr 2015 bei den Minsker Verhandlungen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (links) und dem damaligen Staatschef der Ukraine, Petro Poroschenko.

  • Diplomacy: Unermüdlich habe Merkel immer wieder Menschen an einen Tisch geführt mit dem Hinweis: „Ich suche Kooperation statt Konfrontation.“
  • Diligence: Merkel war laut La­garde „immer die am besten vorbereitete Person im Raum“. Zu ihren Führungs­methoden habe es gehört, systematisch jedes Problem schon vorab in all seine Bestandteile zu zerlegen.
  • Determination: Mit „außergewöhnlich viel Energie und Durchhalte­vermögen“, sagte Lagarde, habe Merkel am Ende die Verhandlungen so lang geführt, bis tatsächlich eine Einigung erzielt war.
  • Duty: Merkel sah laut Lagarde im Führen mehr eine Pflicht als einen Machtbeweis. Stets sei es ihr um die Wahrnehmung von Verantwortung gegangen, nicht nur gegenüber Deutschland, sondern gegenüber Europa.

Viele, die sich um Führungs­positionen rangeln, auch in der Wirtschaft, entdecken erst im Nachhinein, wie kompliziert das Führen sein kann. Manche träumen von viel Macht, andere sehen sich angezogen von Geld, Privilegien und Prominenz. Tatsächlich aber läuft am Ende für alle, die ihre Aufgabe ernst nehmen, Führen auf Dienen hinaus.

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