Standards für die Landwirtschaft

Geheimmission Fleischkennzeichnung – wie Cem Özdemir um ein Tierhaltungslabel ringt

Schweine in einem Stall in Baden-Württemberg.

Schweine in einem Stall in Baden-Württemberg.

Berlin. Die Sache mit den Schweinen hat ein bisschen etwas von einer Geheimmission. Über Monate hat Bundesagrarminister Cem Özdemir verhandelt und verhandeln lassen: mit Vertretern von Landwirtschaft und Handelsketten, mit Umwelt- und Tierschutzverbänden. „Allen Beteiligten ist Schweigen auferlegt“, berichtet ein Teilnehmer der Runden. Es geht um das Projekt, das Özdemir zu seinem Gesellenstück als Minister erklärt hat: die verpflichtende Haltungskennzeichnung für Fleisch, die deutlich machen soll, wie ein Tier gelebt hat, bevor es im Kühlregal oder an der Fleischtheke gelandet ist.

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Ein paar Agrarminister haben sich daran schon vergeblich versucht. Özdemir hat selbstbewusst verkündet, jetzt mal endlich ein paar „Dinge zu ändern, die jetzt 16 Jahre lang nicht angepackt wurden“.

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Der Koalitionsvertrag setzt einen engen Rahmen: „Wir führen ab 2022 eine verbindliche Tierhaltungskennzeichnung ein, die auch Transport und Schlachtung umfasst“, heißt es dort. Wenn das Gesetz bis Ende des Jahres verabschiedet sein soll, bleibt nicht mehr viel Zeit für die Vorlage eines Entwurfs.

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Andere Labels

„Die Zeit drängt“, sagt dann auch der Agrarexperte des Umweltverbandes BUND, Christian Rehmer, dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Es liegt jetzt am Minister, zügig einen Entwurf vorzulegen, soll der ambitionierte Zeitplan nicht in Gefahr geraten“, stimmt Christian Böttcher, Sprecher Handelsverband Lebensmittel (BVLH), zu.

Aber so einfach war es offenbar nicht. Das liegt unter anderem daran, dass es schon Haltungslabel gibt, und zwar jede Menge. Eier werden mit Ziffern markiert: 0 steht für ökologische Erzeugung, bis 3 für Käfighaltung.

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Der Lebensmitteleinzelhandel hat 2019 eine vierstufige Kennzeichnung für Fleisch eingeführt. Anders als bei den Eiern stuft das „Haltungsform“-Label Fleisch aus Stallhaltung auf Stufe 1 ein, Schweine bekommen hier 75 Quadratdezimeter im Stall zugesprochen. Stufe 2 nennt sich „Stallhaltung plus“ – mehr Platz und natürliches Beschäftigungsmaterial sind gefragt. Stufe 3 („Außenklima“) erfordert mindestens einen Quadratmeter Platz pro Schwein und Frischluftzufuhr. In der grünen Stufe 4 „Premium“ gelten 1,5 Quadratmeter pro Tier und Auslauf im Freien. Hier sortiert der Handel auch Biofleisch ein.

Die diversen Biosiegel, die es außerdem gibt, orientieren sich ebenso am Platz. Einige verbieten etwa bei Schweinen das Kupieren der Schwänze.

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Zahlen oder Worte

Für das neue staatliche Label deuten sich nach Angaben aus Verhandlungskreisen fünf Stufen an. Weil Zahlen an Schulnoten erinnern, steht eine verbale Kennzeichnung hoch im Kurs: Stall, Stall plus, Außenklima, Auslauf und Bio. Die Stall-plus-Variante soll kleinere Unterschiede bei der Stallverbesserung möglich machen. Schlacht- und Transportbedingungen werden noch nicht einbezogen.

„Entscheidend ist ein System, das die Verbraucher nachvollziehen können“, sagt Agrarexperte Rehmer vom BUND. Handelssprecher Böttcher mahnt, das neue Label „muss alle Absatzkanäle in Deutschland umfassen, eng an der gelernten Haltungsformkennzeichnung des Handels und ihren Kriterien angelehnt sein und perspektivisch auch digitale Lösungen in Betracht ziehen“.

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Noch nicht gelöst ist damit die Finanzierung des Stallumbaus, den das neue Label anregen soll. 4 bis 5 Milliarden Euro hat eine Kommission unter Leitung des einstigen Agrarministers Jochen Borchert (CDU) dafür veranschlagt. Eine Mehrwertsteuererhöhung auf Fleischprodukte hat die FDP vom Tisch gewischt. Einer „Tierwohlabgabe“, wie sie mit 40 Cent pro Kilo Fleisch vergangene Wahlperiode debattiert wurde, könnten Ukraine-Krieg und Inflation in den Weg kommen. „Das Zeitfenster für höhere Abgaben ist gerade schwierig“, heißt es in Verhandlungskreisen.

Es zunächst bei der von Özdemir bereits ausgehandelten Anschubfinanzierung von einer Milliarde Euro zu belassen, gilt bei Teilen der Verhandelnden als Eingeständnis eines Scheiterns. Offen war zunächst noch, inwieweit sich der Handel an der Finanzierung beteiligt.

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Wenn es dann losgeht, soll das Label zuerst für Schweinefleisch gelten. Immer wieder hat Özdemir darauf hingewiesen, dass die Zahl der Schweinezuchtbetriebe sich innerhalb der vergangenen zehn Jahre halbiert habe. Einen hat er vor wenigen Wochen besucht. Fotos von Minister mit Schweinen gibt es also schon mal.

Anmerkung: In Stufe 1 der bestehenden „Haltungsform“-Kennzeichnung des Handels wird Schweinen 75 Quadratdezimeter Platz zugesprochen. Die ursprüngliche Angabe 75 Quadratzentimeter haben wir entsprechend korrigiert.

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