Generalinspekteur Zorn: „Die Bundeswehr kauft jetzt oft im Outdoorhandel“
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Bundeswehr-Generalinspekteur Eberhard Zorn geht davon aus, dass es noch dauern wird, bis eine Frau seinen Posten bekommt.
© Quelle: Thomas Koehler/photothek.net
Berlin. Herr Zorn, die Bundeswehr agiert derzeit vor allem als Corona-Helfer, zum Beispiel in Gesundheitsämtern. Haben Sie genug Leute, um auch noch Schnelltests und Impfungen zu unterstützen?
Ja. Wir haben ein Kontingent von derzeit 20.000 Frauen und Männern für diese Unterstützung aufgestellt. Davon ist etwa die Hälfte im Einsatz, den Rest halten wir als Reserve kurzfristig verfügbar. Die Erfahrungen sind für beide Seiten sehr gut: Viele Menschen begegnen zum ersten Mal persönlich Soldatinnen und Soldaten. Die Resonanz ist sehr positiv. Unsere Verpflichtungen im Einsatz und in den Bündnissen bleiben unser Hauptauftrag und diesen erfüllen wir genauso zuverlässig.
Über Jahre wirkte es, als hätte die Bundeswehr nur marode Panzer und Flugzeuge. Anfang des Jahres hat Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer das Ziel ausgegeben, die Einsatzbereitschaft auf deutlich über 70 Prozent zu steigern. Ist das gelungen?
Wir haben mit durchschnittlich 74 Prozent Einsatzbereitschaft bei den Hauptwaffensystemen einen deutlichen Schritt nach vorne gemacht. Das ist noch nicht hervorragend, aber gut. Teilweise liegen aber einige Systeme wie der Kampfhubschrauber Tiger deutlich unter dieser Zielmarke. Ältere Systeme drücken die Werte zusätzlich nach unten. Es gibt aber auch erfreuliche Entwicklungen, etwa beim Radpanzer GTK Boxer, beim Hubschrauber NH90, beim Eurofighter, beim Transportflugzeug A400M oder bei den Korvetten. Deswegen war es im Rückblick die richtige Entscheidung, den Inspekteuren der Teilstreitkräfte die Verantwortung für ihre konkreten Projekte direkt zu übertragen.
74 Prozent sind nicht gerade ein Riesenschritt nach vorne. Aber wie der Problempanzer Puma zeigt, haben Sie wenig Druckmittel gegenüber der Industrie. Das Vorgängermodell Marder ist alt und der Puma gilt trotz Fehleranfälligkeit als Traummodell.
Beim Puma machen wir Fortschritte. Die Truppe verfügt über mehr als 100 einsatzfähige Panzer. Im Februar folgt die nächste Einsatzprüfung. Die Ingenieure sagen, dass sie die Mängel, die es noch im Sommer gab, bis dahin beseitigen können. Das Ergebnis dieser Prüfung wird auch Einfluss auf die Bestellung eines zweiten Loses Puma haben.
Was lernen Sie aus dem Fall Puma?
Bei der Beschaffung neuer Geräte muss die Robustheit mehr in den Vordergrund gestellt werden. Hochtechnisierte Waffensysteme müssen auch unter widrigen Bedingungen einsatzbereit sein. Wir müssen das Ausfallrisiko minimieren. Wichtig ist, dass die Systeme und Subsysteme funktionieren. Das kann bedeuten, dass man öfters auf marktverfügbare Produkte zurückgreift, statt auf Sonderentwicklungen. Das ist häufig auch die kostengünstigere und schnellere Alternative.
Grünen-Chefin Annalena Baerbock hat also recht, wenn sie sagt: Die Bundeswehr schmeißt zu viel Geld zum Fenster raus?
Es ist noch Luft nach oben. Im Beschaffungsprozess und auch insgesamt in der Bundeswehr gilt es, die Bürokratie abzubauen. Kooperationen mit anderen Nationen sind bei Rüstungsprojekten der Schlüssel. So werden wir einerseits in Europa effizienter, und anderseits ist dies ein Weg zur tieferen europäischen Zusammenarbeit.
Zum Klassiker der Soldatenbeschwerden gehört die über schlechte Schuhe oder fehlende Kleidung.
Da haben wir unsere Hausaufgaben gemacht. Die Truppe wird jetzt mit handelsüblichen Stiefeln in klimaabhängigen Varianten ausgestattet. Ich bin davon begeistert – und die Soldatinnen und Soldaten offenbar auch. Schuhe sind bei meinen Truppenbesuchen inzwischen kein Thema mehr. Wir beschaffen mittlerweile vieles einfach bei Outdoor-Markenherstellern. Da ist die Unterwäsche halt schwarz statt olivgrün. Wir sind hier aber noch nicht am Ziel. Der gesamte Beschaffungsprozess muss beschleunigt werden. Bei der IT denken wir nicht mehr in Langfristzyklen, sondern passen uns den kürzeren Produktlebenszyklen an. Hard- und Software müssen auf dem aktuellen Stand der Technik sein.
Gehen Sie davon aus, dass der Bundestag in dieser Wahlperiode noch dem Kauf von bewaffneten Drohnen zustimmt?
Ich wünsche es mir. Sie sind essenziell für den Schutz unserer Frauen und Männer im Einsatz. Drohnen sind aus den aktuellen und zukünftigen Konflikten nicht mehr wegzudenken. Allein schon aus Fürsorge der Truppe gegenüber und zur Stärkung ihres Einsatzwertes dürfen wir auf diesem Gebiet den Anschluss nicht verlieren. Die Bundeswehr ist eine Parlamentsarmee. Der Einsatz von Drohnen würde klaren Regeln und Vorschriften unterliegen, die der Bundestag in seinen Mandaten festlegt, genauso wie bei allen anderen Einsätze seit jeher.
Der scheidende US-Präsident Donald Trump forciert die Debatte über einen Abzug der Truppen aus Afghanistan. Ist dort in einem Jahr noch ein Bundeswehrsoldat vor Ort?
Die USA haben angekündigt, ihre Truppen in Afghanistan weiter zu reduzieren. Für uns ist entscheidend, dass wir uns mit unseren Nato-Partnern abstimmen. Ich erwarte, dass die Nato-Verteidigungsminister bei ihrem Treffen im Februar die entsprechenden Wegmarken setzen werden. Wir haben selbstverständlich militärische Planungen getroffen, um auf jede Entscheidung aus Brüssel reagieren zu können: vom geordneten gemeinsamen Abzug bis hin zur Überführung in ein Folgeengagement. Ein überhasteter, schneller Abzug ohne geregelte Übergabe an die afghanischen Kräfte wäre das falsche Signal. Das würde auch bei unseren Soldatinnen und Soldaten den Sinn des zwanzigjährigen Einsatzes infrage stellen. Meine Hoffnung ist, dass die politische Begleitung des Landes fortgesetzt wird, auch wenn der militärische Anteil reduziert wird. Ich erwarte bis Februar eine politische Aussage, wie es in Afghanistan nach dem 30. April weitergehen soll.
Was lernen Sie aus dem Einsatz?
Aus allen Einsätzen – von Somalia über den Balkan nach Afghanistan bis in den Sahel – haben wir unsere Lehren gezogen. Entscheidend sind realistische Ziele, umsetzbare Ideen und ein langer Atem. Zu glauben, man könne in anderen Ländern mal eben die eigenen militärischen Führungsgrundsätze etablieren, ist naiv. Die Einsatzländer haben eigene Kulturen und Führungsstrukturen. Das müssen wir akzeptieren und gleichzeitig auf allen Seiten lernen, Verantwortung schrittweise an die lokalen Sicherheitskräfte zu übergeben.
Immer wieder gibt es Fälle von Rechtsextremismus in der Bundeswehr. Zeigt sich da die Spitze eines Eisbergs?
Extremistische Gesinnungen entwickeln sich nicht von heute auf morgen. Unseren Disziplinarvorgesetzten kommt in diesem Kontext eine besondere Rolle zu. Zum einen müssen sie wachsam sein, um extremistische Tendenzen jeglicher Schattierung frühzeitig zu erkennen. Zum anderen müssen sie konsequent und im vollen Rahmen ihrer disziplinarrechtlichen Möglichkeiten handeln. Zugleich wirken sie früh und kontinuierlich, zum Beispiel durch politische Bildung und Dienstaufsicht, auf ihre Frauen und Männer ein, sodass sich Zivilcourage gegen falsch verstandene Kumpelei durchsetzt.
Das Interesse am KSK ist weiter sehr hoch. Sinkende Bewerbungszahlen haben wir nicht zu verzeichnen, im Gegenteil.
Es gibt mittlerweile zwar mehr, aber nicht wirklich viele Frauen in der Bundeswehr. Sehen Sie das als Problem und wie wollen Sie das ändern?
Mein klares Ziel ist es, mehr Frauen in Führungspositionen zu bringen. Ebenso möchte ich sie vermehrt in leitender Funktion in der Ausbildung unseres Führungsnachwuchses sehen. Das schafft Vorbilder. Wir müssen noch besser auf individuelle Bedürfnisse eingehen und gegebenenfalls bestehende Hürden aus dem Weg räumen. Zum Beispiel dürfen sich Familienplanung und Führungspositionen nicht gegenseitig ausschließen, sondern sie müssen gleichzeitig möglich sein. Wir haben schon einiges getan, zum Beispiel die Entkopplung von Schlüsselverwendungen wie dem Bataillonskommandeur von einem bestimmten Lebensalter.
Sollten Dienstgrade auch in weiblicher Form festgeschrieben werden?
Selbstverständlich habe ich die aktuelle Diskussion über die Einführung weiblicher Dienstgrade verfolgt. Gleichstellung bei der Bundeswehr betrifft deutlich mehr als nur die Frage nach einer geschlechtergerechten Sprache. Mir ist wichtig, unsere Soldatinnen und Soldaten mitzunehmen und den entsprechenden Diskurs zu führen. Eine Verordnung von oben führt nicht zur Akzeptanz. Im Sprachgebrauch der Truppe sind Begriffe wie Kommandeurin und Chefin längst angekommen.
Und wann gibt es die erste Generalinspekteurin?
Ich war 58, als ich diese Aufgabe nach 40 Jahren als Soldat übernehmen durfte. Die ersten Frauen außerhalb des Sanitätsdienstes haben vor 20 Jahren ihre Karriere in der Bundeswehr begonnen. Alter allein ist es aber nicht, man muss Verantwortung auf verschiedenen Ebenen getragen haben: in der Truppe, im Ministerium, in Stäben und Kommandobehörden sowie im Einsatz. Von daher wird es leider wohl noch ein wenig Zeit brauchen bis zur ersten Generalinspekteurin. Es sei denn, man wählt eine Ärztin aus. Der Sanitätsdienst steht den Frauen schon deutlich länger offen, sodass die ersten bereits in der Generalsebene angekommen sind.