Gerangel um Corona-Impfpflicht: Kalkül schlägt Besorgnis
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Frau bei einer Corona-Impfung.
© Quelle: Marijan Murat/dpa/dpa-tmn
Es begann mit einer Idee des heutigen Bundesjustizministers. Der Liberale Marco Buschmann kündigte kurz vor der Regierungsbildung im Herbst 2021 an, eine allgemeine Corona-Impfpflicht nicht auf dem Wege eines Gesetzentwurfes der drei Ampelparteien SPD, Grüne und FDP einführen zu wollen, sondern mithilfe von fraktionsübergreifenden Gruppenanträgen, an denen sich Parlamentarier anderer demokratischer Fraktionen beteiligen könnten.
Zwar hatte Buschmann noch ein höchst parteipolitisches Motiv: Er wollte die in diesem Punkt gespaltene eigene Partei nicht zwingen, eine einheitliche Linie zu finden. Trotzdem oder gerade deshalb war die Idee klug.
Nur: Das Kalkül, die Entscheidung über die Impfpflicht zur Gewissensfrage zu erklären und so dem Parlament zu überantworten, damit keine parteipolitischen Spielchen gespielt würden, geht nicht auf. Im Gegenteil: Während Bürger noch glauben könnten, hier werde ernsthaft gerungen, ist längst klar: Parteitaktik ist auch in dieser existenziellen Frage alles.
Opposition lässt Ampel schmoren
Zunächst war es Vizeparlamentspräsident Wolfgang Kubicki, der die Absicht seines Parteifreundes Buschmann konterkarierte. Kubicki, der sich ohnehin vierteljährlich entschuldigen oder erklären muss, unterstellte den Anhängern einer Impfpflicht den Drang nach „Rache und Vergeltung“ – und präsentierte als ersten Gruppenantrag folgerichtig einen, der eine Pflicht ablehnt. Überdies ist es mit der SPD ausgerechnet die größte Regierungspartei, die Buschmanns Ball nicht etwa energisch aufnimmt, sondern sich demonstrativ Zeit lässt, Worten Taten folgen zu lassen. Sie fürchtet eine Niederlage.
Bei der Union lässt der CSU-Abgeordnete Stephan Pilsinger Sympathie für eine Impfpflicht bei Menschen ab 50 erkennen. Das scheint ebenso sachgerecht wie zielführend. Dummerweise hatte Pilsinger noch nicht gemerkt, dass die Unionsfraktionsspitze gar nicht daran denkt, für die Ampel auch nur einen Finger krumm zu machen, wenn man sie doch so schön im eigenen Saft schmoren lassen kann. Entsprechend wurde Pilsinger zurückgepfiffen – mit der Konsequenz, dass führende FDP-Abgeordnete ihn erst recht zum Mittun einluden.
Das Taktieren der einen zieht das Taktieren der anderen nach sich.
Das Ganze wirkt mindestens frivol. Denn wir reden zwar seit bald zwei Jahren über nichts anderes als über Corona und die Abwehr einer Bedrohung für Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und Gesellschaft. Täglich sterben auf den Intensivstationen Hunderte. Vor uns steht die berüchtigte „Omikron-Wand“. Doch das hindert die Damen und Herren nicht, eigene politische Interessen zu verfolgen. Im Bundesrat würde es vermutlich ähnlich sein. Diese Gleichzeitigkeit von zur Schau getragener Besorgnis einerseits und strategischem Kalkül andererseits ist wahlweise lachhaft oder unerträglich.
Objektiv anspruchsvoll
Dass sich daraus eine gute Lösung ergibt, ist zweifelhaft. Überhaupt ist ungewiss, wie sich die Wirksamkeit der zur Verfügung stehenden Impfstoffe zu Omikron und weiteren Mutanten verhält. Corona-Impfpflicht würde wohl bedeuten, dass Menschen sich regelmäßig immer wieder impfen lassen müssten – und der Nutzen nicht zu 100 Prozent garantiert wäre.
Das würde juristische Auseinandersetzungen bis zum Bundesverfassungsgericht nach sich ziehen. Doch selbst wenn es anders wäre, bliebe die Frage der Durchsetzbarkeit. Dazu bräuchte es eigentlich ein Impfregister; aber das ist ebenso umstritten wie eine Impfpflicht.
Kann sein, dass es dennoch zu einer im Kern nötigen, aber objektiv anspruchsvollen Impfpflicht kommt. Näher liegt indes der Verdacht, dass der Bundestag an der Aufgabe scheitert. Das müsste sich in erster Linie die Regierung zuschreiben lassen – am Ende allerdings das gesamte angeblich Hohe Haus.