Gespräch zwischen Biden und Putin: besser als gar nichts
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/AYNADNPMBJCRVHCA2C5DQBBEAU.jpeg)
Joe Biden (r), Präsident der USA, nimmt an einem Videogespräch mit Russlands Präsident Putin im Situation Room des Weißen Hauses teil.
© Quelle: Adam Schultz/White House/Planet
Als sich US-Präsident Joe Biden und sein russischer Amtskollege Wladimir Putin im Juni in Genf zu einem Gipfelgespräch trafen, war die Stimmung im Vorfeld schon deutlich angespannt: Im März 2021 hatte Biden den russischen Präsidenten als „Killer“ bezeichnet, woraufhin russische Staatsmedien alles taten, um Biden als altersschwachen Greis zu verhöhnen.
Solche Verbalinjurien hat es zuletzt zwischen den beiden Staatsführern nicht mehr gegeben, doch als sie am Dienstagabend in einer Videokonferenz aufeinandertrafen, hatten sich die Rahmenbedingungen des Gesprächs inzwischen trotzdem verhärtet. Obwohl die Face-to-Face-Kommunikation vom Juni statt in der Realität nun lediglich im virtuellen Raum ihre Fortsetzung fand.
Verhandlungen um die Sicherheit in Europa
Auf dem diplomatischen Parkett ist das als ein Treffen auf geringerer Stufe einzuschätzen, aber in Wahrheit ging es um viel mehr als damals im Juni: Es wurde um nichts weniger verhandelt als die strategische Sicherheit in Europa.
Eines der Kernthemen, um das es ging, sind die enormen Truppenverlagerungen der russischen Armee in die Grenzregionen der Ukraine. Die amerikanischen Geheimdienste gehen davon aus, dass bis Anfang nächsten Jahres ein Kontingent von 175.000 russischen Soldaten an der Grenze zur Ukraine stehen wird.
Um zu wissen, dass das wohl so sein wird, dazu bedarf es inzwischen gar keiner Geheimdienste mehr. Auf TikTok und anderen sozialen Medien werden die enormen Truppenverlagerungen aus bis zu weit entlegenen Regionen Sibiriens auch innerhalb Russlands dokumentiert.
Furcht vor der Invasion der Ukraine
Die wichtigere Frage ist allerdings, was das bedeuten soll, und das weiß im Augenblick niemand so genau. Der Westen befürchtet, dass eine Invasion Russlands in die Ukraine bevorsteht. Russland bestreitet das trotz aller Muskelspiele, hält sich diese Option aber ganz offensichtlich offen. Andererseits hatte sich der Kreml mit dem Treffen „Biden-Putin“ um eine Gesprächsgrundlage bemüht.
Um was geht es: Die USA wollen nicht, dass das Selbstbestimmungsrecht der Ukraine angetastet wird, deren Regierung sich derzeit gesellschafts- und verteidigungspolitisch eher dem Westen zugehörig fühlt.
Russland betrachtet die Ukraine allerdings als seine Interessensphäre, was sich angesichts der geografischen Nähe, der gemeinsamen historischen Wurzeln und der großen russischen Minderheit in der Ukraine als nachvollziehbar darbietet.
Das ergibt eine Konstellation, die kaum auflösbar erscheint: Das Selbstbestimmungsrecht der Völker gegen die geostrategischen Interessen ihrer mächtigen Nachbarn – die USA haben ähnliche gelagerte Probleme in ihrem Vorhof mit Gewalt gelöst. Darf das Russland nicht tun?
Eine Eskalation kann keine Seite wollen
Es wäre gut, wenn es nicht so geschehen würde. Alleine schon deswegen, weil sich viele Ukrainer schon aufgrund ihrer familiären Wurzeln den Russen zugehörig fühlen. Und andersrum ist es mit den Russen und ihren ukrainischen Verwandten genauso.
Stur auf der eigenen Position zu beharren, ist in dieser Gemengelage wohl die falscheste aller Reaktionen. In Wahrheit ist es ja so, dass beide Seiten an einer politischen und militärischen Deeskalation in Europa gelegen sein muss. Der neue „Kalte Krieg“ bahnt sich für die Weltmacht USA gerade im Pazifik-Raum an. Und Russland hat viele innenpolitische Probleme, wenn da jetzt außenpolitischer Druck hinzukommt, wird das Land zu einem noch größeren Unsicherheitsfaktor, den in Europa im Augenblick niemand braucht.