Ginsburg-Nachfolge: Amy Coney Barrett, die Stimme des Dogmas
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Amy Coney Barrett, Richterin in den USA: Barrett gilt aktuell als wahrscheinlichste Kandidatin für die Ginsburg-Nachfolge.
© Quelle: -/Rachel Malehorn rachelmalehorn
Washington. Die prominente Verfassungsrichterin Ruth Bader Ginsburg ist noch nicht beerdigt, da hat sich der amerikanische Präsident offenbar bereits für eine Nachfolgerin entschieden, die wie das lebende Dementi der verstorbenen liberalen Justizikone wirkt: Nach übereinstimmenden amerikanischen Medienberichten will Donald Trump am heutigen Samstagnachmittag (US-Zeit) die 48-jährige Amy Coney Barrett als neues Mitglied des Supreme Courts nominieren. Er dürfte damit seine Basis elektrisieren, zugleich aber einen erbitterten politischen Streit auslösen, der das Land noch weiter spalten dürfte.
Barrett hat nämlich noch keine lange Rechtsprechungspraxis vorzuweisen, die sie für den angesehenen Posten zwingend qualifizieren würde.
Katholikin, Abtreibungsgegnerin
Ihre wichtigsten Vorzüge sind aus Trumps Sicht vielmehr, dass sie eine streng konservative Katholikin und Abtreibungsgegnerin und zudem vergleichsweise jung ist. Die evangelikalen Rechten in den USA dringen seit Langem auf eine Revision des 1973 vom Supreme Court beschlossenen Rechts auf Schwangerschaftsabbruch, und die Personalie gibt diesen Erwartungen mächtig Auftrieb.
Da die Verfassungsrichter in Amerika auf Lebenszeit berufen werden, könnte Barrett zudem für mehrere Jahrzehnte am Obersten Gericht wirken. Auch die beiden bereits früher von Trump berufenen konservativen Richter Brett Kavanaugh und Neil Gorsuch sind mittleren Alters.
Für eine ganze Generation zementiert
Wenn der Senat zustimmt – was derzeit höchst wahrscheinlich erscheint –, dann könnte die rechte Mehrheit am neunköpfigen Supreme Court für eine Generation zementiert sein.
Nicht nur diese Aussicht stürzt das linksliberale Amerika in Frustration und Sorge. Barretts frühere Äußerungen und Urteile lassen nämlich vermuten, dass sie vom Abtreibungs- über das Waffen- und das Einwanderungsrecht bis hin zur Krankenversicherung andere Positionen als die bisherige Mehrheit des Supreme Courts vertritt und bei anstehenden Verfahren entsprechend urteilen könnte.
Recht auf Waffen bei Vorstrafe
So hat sie in früheren Urteilen oder Minderheitsvoten unter anderem befunden, dass Minderjährige vor einer Abtreibung ihre Eltern informieren müssen und dass Schwangerschaftsabbrüche nicht aufgrund einer erwartbaren Behinderung des Neugeborenen vorgenommen werden dürfen. Einem vorbestraften Mann wollte sie das Recht auf Waffenbesitz zusprechen.
Besondere Sorgen machen sich die Demokraten zudem um die Zukunft von Obamacare. Schon eine Woche nach der Wahl muss der Oberste Gerichtshof über eine Klage gegen das Krankenversicherungssystem beraten. Barrett hat 2017 in einem Artikel geschrieben, dass Obamacare nach ihrer Auffassung zu weit in persönliche Freiheitsrechte eingreife.
Mitglied in erzkonservativer Sekte
Die verheiratete Richterin hat selbst fünf leibliche und zwei adoptierte Kinder. Sie wuchs in Louisiana als ältestes von ebenfalls sieben Kindern auf und schloss später ihr Jurastudium an der katholischen Universität von Notre Dame in Indiana mit summa cum laude ab.
Wie der frühere konservative Verfassungsrichter Antonin Scalia, bei dem sie ihre juristische Laufbahn begann, ist sie der Auffassung, dass die amerikanische Verfassung von 1787 wortgetreu umgesetzt werden muss und nicht neu interpretiert werden darf.
Für Befremden sorgt im liberalen Lager auch ihre Mitgliedschaft in der erzkonservativen christlichen Sekte People of Praise, die strenge moralische Regeln für ihre Mitglieder aufgestellt hat und an das Reden in Zungen und die göttliche Heilung von Krankheiten glaubt.
Schon 2017 stand Barrett einmal im öffentlichen Rampenlicht. Damals wurde sie an das Chicagoer Bundesberufungsgericht berufen. Bei der Anhörung gab es einen hitzigen Wortwechsel mit der demokratischen Senatorin Dianne Feinstein, die der Kandidatin vorwarf, dass sie offenbar ihre religiösen Überzeugungen an erste Stelle setzen wolle. „Das Dogma tönt laut aus ihnen“, kritisierte Feinstein. Katholische Fundamentalisten nahmen das als Auszeichnung und druckten T‑Shirts und Kaffeebecher mit diesem Slogan.
Wenn es um die eigene Person geht, ist die Juristin allerdings nicht ganz so prinzipientreu. 2016 hatte die damalige Juraprofessorin die Berufung des Obama-Kandidaten Merrick Garland an den Supreme Court neun Monate vor der Wahl als “unangemessen” abgelehnt.
Dadurch, so ihre damalige Begründung, würden kurz vor dem Urnengang die Machtverhältnisse am Obersten Gericht “dramatisch verkehrt”.
Genau das passiert jetzt, und sie ist die zentrale Akteurin.