Intensivmediziner warnen: „Wir dürfen nicht leichtsinnig werden“

Ein zerstörtes Schild mit Aufschrift „Maskenpflicht von 8 bis 22 Uhr“ hängt an einem Lichtmast in der Innenstadt von Frankfurt.

Ein zerstörtes Schild mit Aufschrift „Maskenpflicht von 8 bis 22 Uhr“ hängt an einem Lichtmast in der Innenstadt von Frankfurt.

Gernot Marx ist seit Januar diesen Jahres Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi). Er arbeitet als Direktor der Klinik für Operative Intensivmedizin und Intermediate Care im Aachener Universitätsklinikum.

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Herr Professor Marx, die Delta-Variante des Coronavirus dominiert inzwischen in Deutschland. Bemerken Sie irgendeine Veränderung auf den Intensivstationen?

Nein, noch nicht. Die Zahl der Patienten, die auf den Intensivstationen wegen Covid-19 liegen, sinkt nach wie vor. Aktuell werden noch 484 Patienten behandelt, die sich schon in der dritten Welle im Frühjahr angesteckt hatten. Neuaufnahmen gibt es nur vereinzelt. Derzeit wird zusammen mit dem Robert Koch-Institut ermittelt, ob sich diese Patienten tatsächlich mit der Delta-Variante infiziert haben.

In Großbritannien scheinen schwere Erkrankungen und Todesfälle nicht zuzunehmen, obwohl die Infektionszahlen nach oben gehen. Stimmt die bisherige Formel „Intensiv folgt Inzidenz“ also nicht mehr?

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Wir wissen, dass Delta viel ansteckender ist als die bisher dominante Alpha-Variante. In Großbritannien dürften sich vor allem jüngere Menschen infiziert haben, weshalb es nicht so viele schwer Erkrankte gibt. Wenn aber die Zahl der Infizierten insgesamt stark steigt, wird es auch wieder mehr Intensivpatienten geben.

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Genau dieser Zusammenhang kann aber wegen der zunehmenden Impfquote bezweifelt werden, oder nicht?

Das genaue Verhältnis kennen wir noch nicht. Aber klar ist doch: Insbesondere in der Altersgruppe der 30- bis 60-Jährigen, in der das höchste Risiko für lebensbedrohliche Verläufe besteht, sind Millionen Menschen noch gar nicht oder nicht vollständig geimpft. Sie sind extrem gefährdet, sich mit der Delta-Variante zu infizieren. Und es darf nicht vergessen werden, dass selbst ohne akute Erkrankung schwere Long-Covid-Syndrome auftreten können, auch bei Kindern.

Aber ist der Vorwurf der Panikmache nicht berechtigt, wenn die genauen Auswirkungen von Delta noch gar nicht bekannt sind?

Es gibt keinen Grund zur Panik. Aber wir haben die Pandemie noch nicht besiegt. Wir dürfen nicht leichtsinnig werden, sondern müssen vorsichtig sein und vernünftig bleiben. Es bleibt dabei, dass Covid-19 eine hochgefährliche Erkrankung ist, die in vielen Fällen zum Tode führt. Wenn es wieder mehr Infektionen gibt, werden auch mehr Patientinnen und Patienten auf die Intensivstationen kommen und es werden wieder mehr Menschen sterben. Wir müssen also weiterhin alles tun, um Ansteckungen zu verhindern. Jeder schwer kranke Covid-19-Patient ist einer zu viel.

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Was aus Ihrer Sicht muss passieren?

Entscheidend ist, dass sich ganz viele Menschen impfen lassen. Erst mit einer Impfquote von 85 Prozent bei den über 18-Jährigen werden wir die Pandemie für beendet erklären können. Bis dahin müssen wir weiterhin viel testen, wir müssen die Infektionsketten nachverfolgen und Hygieneregeln einhalten. Dazu gehört mindestens das Tragen von OP-Masken in allen Innenräumen. Darauf können und dürfen wir nicht verzichten.

Und wenn die Infektionszahlen wieder steigen?

Wir haben eine gute Ausgangsbasis, weil die Inzidenz derzeit so niedrig ist. Steigt der R-Wert eine längere Zeit über 1, haben wir drei bis vier Wochen Zeit, um die dann drohende Welle durch intensivere Maßnahmen zur Kontaktvermeidung zu verhindern oder zumindest abzuflachen. Dann käme zum Beispiel wieder die Pflicht zur FFP2-Maske infrage.

Halten Sie die Aufrechterhaltung der Maskenpflicht auch in den Schulen für notwendig?

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Auch hier ist es sinnvoll, an den bisherigen Maßnahmen festzuhalten. Kinder und Jugendliche sollten in Innenräumen mindestens eine OP-Maske tragen. Zudem muss weiterhin regelmäßig getestet werden.

Einige Politiker fordern die Aufhebung sämtlicher Beschränkungen, wenn allen Menschen ein Impfangebot gemacht wurde – also auch die Maskenpflicht. Ist das vernünftig oder fahrlässig?

Es ist die falsche Herangehensweise. Wir behandeln jede Bürgerin und jeden Bürger, auch wenn sie ein Impfangebot abgelehnt haben. Noch mal: Solange eine Impfquote von 85 Prozent unter den Erwachsenen nicht erreicht ist, sollten wir auf weitere Lockerungen verzichten und an der Maskenpflicht festhalten. Andernfalls besteht die Gefahr, dass wir im Herbst in eine vierte Welle kommen. Wir haben es selbst in der Hand, das zu verhindern.

Wie kann die Impfkampagne beschleunigt werden?

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Wir müssen die Impfung zu den Menschen bringen – nicht umgekehrt. Es muss so einfach wie möglich sein, sich impfen zu lassen. Sinnvoll wären also zum Beispiel Impfstationen in Einkaufszentren. Zudem müssen mehr mobile Impfteams in die sozialen Brennpunkte gehen. Auch über Lotterien, Gutscheine oder andere Motivierungen sollte man nachdenken. Gleichzeitig sind mehr Informationskampagnen nötig, in denen über Risiko und Nutzen aufgeklärt wird. Denn klar ist: Der Nutzen ist so unglaublich viel größer, dass man sich impfen lassen sollte.

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