Interview mit FES-Chef in Kasachstan: „Viele Menschen wünschen sich mehr Teilhabe“
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Christoph Mohr (36) leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kasachstan.
© Quelle: privat/Christoph Mohr
Brüssel/Almaty. Kasachstan erlebt seit Tagen schwere Ausschreitungen. Die Unmut über gestiegene Treibstoffpreise schlug in vielerorts friedliche, aber teils auch gewaltsame Proteste gegen die Staatsführung um. Im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) erläutert Christoph Mohr, Regionaldirektor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kasachstan, die Gründe für die Proteste.
Herr Mohr, Sie leben seit knapp drei Jahren in Kasachstan. Sind Sie von den Unruhen überrascht worden?
Die Proteste kamen überraschend schnell und heftig, aber nicht unerwartet. Schon vor drei Jahren, als sich der Langzeitpräsident Nursultan Nasarbajew vom Präsidentenamt zurückgezogen hat, gab es lokal Proteste.
Und warum eskalieren die Proteste jetzt so?
Da kommen verschiedene Ursachen zusammen. Das eine ist der Frust der Menschen über die gestiegenen Energiepreise und allgemeine Verteuerungen. Dazu muss man wissen, dass Kasachstan zwar in den letzten Jahren wegen seines Rohstoffreichtums ein großes Wirtschaftswachstum hatte. Doch ausgerechnet im Westen des Landes, wo das Öl und das Gas abgebaut werden, ist wenig von dem Wachstum zu spüren. Das Geld kommt oft nicht bei den Leuten an. Das bringt sie auf die Palme.
Und die andere Ursache?
Das ist der Wunsch nach politischem Wandel in einem Land, das seit seiner Unabhängigkeit vor 30 Jahren von derselben politischen Führung beherrscht wird. Kasachstan hat vor ein paar Wochen 30 Jahre Unabhängigkeit gefeiert. Viele Menschen wünschen sich mehr Partizipationsmöglichkeiten und Teilhabe.
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Christoph Mohr (36) leitet das Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kasachstan.
© Quelle: privat/Christoph Mohr
Wird sich der Wandel einstellen?
Das lässt sich momentan noch nicht sagen. Spannend wird die Frage sein, wie viele Zugeständnisse an die Menschen gemacht werden. Derzeit spricht der Schießbefehl von Präsident Tokajew aber für eine zunehmende Eskalation. Die Demonstranten sind dabei keine homogene oppositionelle Gruppe mit einem oder mehreren politischen Anführern: Da gehen Leute auf die Straße, die ihre wirtschaftliche Not beklagen. Da gibt es Menschen, die politische Forderungen erheben. Und schließlich mischen auch noch Kriminelle, die einen massiven Anteil an der Eskalation haben, mit. Die Regierung spricht in diesem Zuge von bis zu 20.000 Banditen beziehungsweise Terroristen.
Stimmt das denn?
Das ist schwer zu beurteilen, aber ich habe große Zweifel, dass ein Großteil der Demonstranten gewaltbereite Plünderer oder Banditen sind. Viele Demonstranten versuchen sich gezielt von denen zu unterscheiden, um ihren legitimen Forderungen Gehör zu verschaffen. Die immer noch unübersichtliche Lage erlaubt hier keine bessere Einschätzung.
Moskau hat jetzt sogenannte Friedenstruppen nach Kasachstan geschickt. Werden die wieder abziehen?
Es ist noch zu früh, um diese Frage zu beantworten. Ich weiß aber, dass sich einige Menschen in Kasachstan deswegen Sorgen machen. Man wird sehen, wie lange diese Truppen eingesetzt werden. Aktuell spricht die kasachische Regierung von einem kurzen Zeitraum.
In Europa sagen einige Politiker, der Kurs Kasachstans Richtung Westen sei durch die Intervention der russischen Soldaten beendet. Sagen Sie das auch?
Abwarten. Bislang ist es der Regierung gelungen, eine eher balancierte Außenpolitik zu betreiben. Die Regierung wollte sich nicht in eine einseitige Abhängigkeit zu einem der großen Player Russland, China und EU begeben. Dies war ein erfolgreicher Weg für Kasachstan in den letzten 30 Jahren. Die russische Militärhilfe könnte nun darauf hindeuten, dass die multivektorale Außenpolitik zumindest im Politikfeld der Sicherheitspolitik zunehmend an Bedeutung verliert.
Sie sind zurzeit in Deutschland. Wie geht es Ihren Mitarbeitern in Kasachstan?
Unsere Mitarbeiter sind in Sicherheit. Ich hoffe, dass das auch so bleibt. Viele meiner Mitarbeiter haben die Großstadt Almaty, in der die Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizei eskalieren, inzwischen verlassen. Auf dem Land ist es sicherer.
Wann fliegen Sie zurück?
Geplant war Ende Januar. Aber ich habe keine Ahnung, ob das klappt.