Gipfel-Organisatorin Beate von Miquel: „G7-Männerrunde darf Gleichstellung nicht in Hintergrund drängen“
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Beate von Miquel ist Vorsitzende des Deutschen Frauenrats.
© Quelle: Barbara Dietl
Berlin. Frau von Miquel, der Women7-Gipfel tagt unter dem Motto „Zeit zu liefern“. Warum?
Es gibt oft sehr klare engagierte Zusagen aus der Politik zur Geschlechtergerechtigkeit. Aber das reicht nicht. Jetzt brauchen wir die Umsetzung. Es gibt keine Zeit zu verlieren.
Das heißt, es gibt viele schöne Worte und dann folgt wenig?
Wir sind froh, dass sich so viele Politiker und Politikerinnen zum Feminismus bekennen. Aber für viele hat das Thema keinen Platz ganz oben auf der politischen Agenda – wo es aber hingehört.
Wo drängt es besonders?
Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll, so viel gibt es zu tun. Die Corona-Pandemie hat jede Menge strukturelle Probleme auch in Deutschland ziemlich gnadenlos aufgedeckt. Außerdem trifft die Klimakrise die Frauen besonders hart. Und in vielen Krisen spielt geschlechtsspezifische Gewalt eine Rolle. Das sehen wir im Krieg gegen die Ukraine. Vergewaltigungen werden als Kriegswaffe genutzt.
Inwiefern sind Frauen von der Klimakrise in anderer Weise betroffen als Männer?
Die Vereinten Nationen schätzen, dass 80 Prozent der wegen der Klimakrise Vertriebenen Frauen sind. In Notunterkünften sind Frauen oft nicht ausreichend vor Gewalt geschützt. Da hängen die Themen also zusammen. In vielen Ländern arbeiten Frauen zudem in Sektoren wie der Landwirtschaft, die besonders stark von Hitzewellen, Dürren oder Überschwemmungen betroffen sind.
Gibt es bei der Gleichstellung eher Fortschritte oder Rückschritte?
Es gibt leider einen Rückschritt. Die Pandemie hat zu einer Re-Traditionalisierung von Geschlechterrollen geführt. Um die Kinder, die zu Hause bleiben mussten, haben sich vornehmlich Frauen gekümmert: Sie haben ihre Jobs zurückgestellt, sind wieder nach Hause gegangen und Homeschooling organisiert und Betreuung übernommen. Nach einer Schätzung des Weltwirtschaftsforums ist die Gleichstellung durch die Pandemie weltweit um eine ganze Generation, von 99 auf 135 Jahre zurückgeworfen worden. Das ist eine unfassbare Zahl. Wir ganz persönlich werden also das Erreichen der Gleichstellung auf globaler Ebene nicht mehr erleben.
Alle G7-Staaten werden nach dem Abtritt von Angela Merkel von Männern geleitet. Was erwarten Sie von Bundeskanzler Olaf Scholz?
Wir erwarten, dass die Forderungen von Frauen aus der Zivilgesellschaft in die G7-Verhandlungen aufgenommen werden. Es wäre fatal, wenn so eine Männerrunde das in den Hintergrund drängt. Wichtig ist vor allem, Frauen an die Verhandlungstische zu holen. Das gilt auch beim Ukraine-Krieg. Wenn da verhandelt wird, müssen Frauen dabei sein. Das gilt auch für alle politischen und wirtschaftlichen Entscheidungsgremien, weltweit aber auch in Deutschland. Und Frauen brauchen den gleichen Zugang zu finanziellen Ressourcen.
Was bedeutet das?
Die Haushaltspolitik muss geschlechtergerecht sein. In den Konjunkturpaketen, die es nach der Pandemie überall gibt, werden Frauen, die Sorgearbeit übernehmen, kaum bis gar nicht berücksichtigt. Die Pakete beschäftigen sich vor allem damit, männliche Industriearbeiter über die Krise zu bringen. Das ist wichtig, aber es ist eben bei Weitem nicht alles. Die unbezahlte Sorgearbeit spielt eine erhebliche Rolle, um den Laden am Laufen zu halten. Das ist diskutiert worden, aber ohne Folge geblieben. Frauen haben ihre Karriere abgebrochen oder unterbrochen. Mehr Frauen als Männer haben ihre Jobs verloren, unter anderem, weil sie oft in Teilzeit oder in Minijobs arbeiten, die nicht krisenfest sind.
Was ändert es, wenn in ein Gremium Frauen einziehen? Können nicht auch Männer sich in Frauen reindenken?
Schön wäre es. Aber es passiert nicht. Das zeigt sich ja eben in der Corona-Pandemie. Es hat so lange gedauert, bis in den Expertinnen- und Expertengremien auch Frauen aufgenommen wurden. Dann bekam die Diskussion eine ganz andere Richtung und es ging endlich auch um die Situation von Familien und um die Belastung von Frauen und Kindern. Vorher war es eine reine Debatte über gesundheitspolitische Maßnahmen und den Lockdown.
Die Begriffe feministische Politik oder Gender Mainstreaming triggern oft Abwehrreaktionen oder Spott. Wie erklären Sie sich das?
Das ist nicht überraschend. Es geht ja um viel – auch für die Männer. Wenn Frauen mehr beteiligt werden und mehr Zugang zu Ressourcen bekommen, bedeutet das, dass Männer etwas abgeben müssen. Besitztümer werden nun mal ungern aufgegeben. Es ist auch einfacher, etwas lächerlich zu machen, als etwas als politische Aufgabe zu begreifen.
Wie der Alltag von den Menschen in Kiew jetzt aussieht
Die Menschen in Kiew trotzen ihrer Angst. Sie strömen trotz der Gefahr von Luftangriffen in die Frühlingssonne und auf die Terrassen der Cafés und Bars. Einsamkeit und Angst verbergen sich hinter der Lebenslust. Kiew nimmt sich keine Zeit zum Trauern.
Auch Angela Merkel hat sich als Bundeskanzlerin schwer getan mit dem Begriff Feministin. Letztes Jahr. Wie wichtig sind solche Bekenntnisse?
Solche Bekenntnisse sind extrem wichtig, wenn sie ernst gemeint sind. Sie schaffen Aufmerksamkeit. Merkel kann man es hoch anrechnen, dass sie ihren Entwicklungsprozess so deutlich gemacht hat. Das zeigt, dass sie es jetzt ernst meint.
Sollte Olaf Scholz auch sagen: „Ich bin Feminist.“?
Das hat er ja schon, bereits als Kanzlerkandidat. Ich gehe davon aus, dass wir ihn bei der Geschlechtergerechtigkeit an unserer Seite haben. Der Koalitionsvertrag ist ein ambitioniertes gleichstellungspolitisches Papier – da muss er ja mindestens dahinter stehen. Bis 2030 soll in Deutschland Geschlechtergerechtigkeit erreicht werden. Das ist ein enormes Ziel.
Derzeit steht Verteidigungsministerin Christine Lambrecht massiv in der Kritik. Welchen Anteil daran hat es, dass sie eine Frau ist?
Krieg ist eine männliche Domäne, da wird eine weibliche Verteidigungsministerin doppelt kritisch beäugt. Es sprechen Generäle und die meisten außenpolitischen Experten sind ebenfalls Männer. Und wir erleben immer wieder, dass Frauen in Führungspositionen besonders im Fokus stehen und schneller zur Zielscheibe von anti-feministischen Reaktionen werden. Das hat sich bei der Kanzlerinnenkandidatur von Annalena Baerbock gezeigt. Dahinter steckt mehr als sachliche Kritik. Frauen sind in diesen Positionen weniger akzeptiert – nach wie vor.
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