Japan – der unterschätzte weltweite Spieler
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Japans Premierminister führte nicht nur politische Gespräche in der ukrainischen Hauptstadt, sondern gedachte auch der Opfer jüngster russischer Verbrechen an der Zivilbevölkerung: Fumio Kishida am 21. März 2023 im Kiewer Vorort Butscha.
© Quelle: Imago
Die Reise nach Kiew, das wusste Japans Regierungschef, konnte er nicht mehr lange aufschieben. Sonst wäre es irgendwann peinlich geworden.
Fumio Kishida (65) ist in diesem Jahr Gastgeber der G7-Runde. Er hat für Mitte Mai nach Hiroshima eingeladen. Erneut wird in diesem Kreis Russlands völkerrechtswidriger Angriff auf die Ukraine das Topthema sein. Kishidas Problem war: Die übrigen Regierungschefs, aus den USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich, Kanada und Italien, hatten sich schon mal in Kiew blicken lassen – nur er nicht. Japans Medien stichelten schon.
Jetzt hat Kishida die Sache elegant erledigt. Das Timing ließ seine Kiew-Reise sogar wirken wie ein gezielter weltpolitischer Konter gegen Wladimir Putin und Xi Jinping. Ausgerechnet in einem Moment, in dem der russische und der chinesische Diktator in Moskau zusammensaßen, tauchte Japans Premier überraschend in Kiew auf – und versicherte der ukrainischen Regierung „die Solidarität und unerschütterliche Unterstützung Japans und der G7-Staaten“.
Taiwan-Besuch von Forschungsministerin Stark-Watzinger verärgert China
Die Bundesforschungsministerin hat ein Technologie-Kooperationsabkommen mit Taiwans Wissenschaftsminister Wu Tsung-tsong unterzeichnet.
© Quelle: Reuters
Die globale Gegenwehr hat begonnen
In Nato-Kreisen ist die Begeisterung über die „coole Aktion“ des Japaners groß. Ein Beamter aus dem Hauptquartier der Allianz sprach von einer politischen Botschaft, die in den Regierungszentralen rund um den Globus sehr genau registriert werde: „Wir stehen als Westen in diesem Kräftemessen nicht allein da.“
Tatsächlich ist Putins Krieg in Europa auch für die gesamte demokratische Staatenwelt des Pazifiks ein Schlag auf den Gong. Sollte sich Russland militärisch durchsetzen, so lautet die Sorge in Asien, werde der machtgierige Xi sich an Putin ein Beispiel nehmen und ebenfalls seine Nachbarn überfallen: erst Taiwan, dann wohl Japan, früher oder später das rohstoff- und energiereiche Australien.
Die globale Gegenwehr allerdings hat begonnen. Putin und Xi haben durch ihr augenfälliges Zusammenrücken das Misstrauen ihren Staaten gegenüber gesteigert – und weltpolitische Neuerungen von historischem Format beflügelt.
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Zusammenrücken gegen China und Russland: Australiens Premier Anthony Albanese, US-Präsident Joe Biden und der britische Regierungschef Rishi Sunak haben am 13. März 2023 in San Diego die künftige gemeinsame Produktion atomgetriebener U-Boote besiegelt.
© Quelle: IMAGO/UPI Photo
Das ferne Australien etwa lieferte der Ukraine verblüffend schnell und unbürokratisch gepanzerte Mannschaftstransporter vom Typ Bushmaster. Zugleich beeilt sich Australien gerade, in eigener Sache nie da gewesene Rüstungsprogramme anzuschieben, unter anderem im neuen AUKUS-Pakt: Mitte März besiegelte Australiens Premier Anthony Albanese mit US-Präsident Joe Biden und dem britischen Premier Rishi Sunak im kalifornischen San Diego die künftige gemeinsame Produktion atomgetriebener U-Boote auf drei Kontinenten.
Japan rüstet wie noch nie
Mancher Dreh wurde weltweit kaum wahrgenommen, ist aber eine schlechte Nachricht für Putin und Xi. Die Regierung in Seoul zum Beispiel erteilt neuerdings, um der Ukraine zu helfen, Drittstaaten Exportlizenzen für Waffensysteme aus südkoreanischer Hightechfertigung. Die Regierung in Manila erlaubt den USA den Bau von vier weiteren Militärstützpunkten in der philippinischen Inselwelt.
Die spektakulärsten Veränderungen aber wurden in Japan vorangetrieben. In keinem Land in Asien scheint eine Regierung weniger gewillt zu sein, sich in Zukunft einem Bündnis aus China und Russland unterzuordnen.
- Um China in Schach zu halten, schob Japans Premier Kishida das größte Rüstungsprogramm aller Zeiten an. Bewilligt wurden neben dem bisherigen Haushalt zusätzliche Militärausgaben von 294 Milliarden Euro. Geplant ist der Kauf amerikanischer Systeme ebenso wie die Entwicklung eigener neuer Waffen, darunter Laserkanonen und Mikrowellensysteme zur Flugabwehr. Japanische Konzerne wie Kawasaki arbeiten zu diesem Zweck bereits mit weltweit führenden Entwicklern in Israel zusammen.
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Drei Demokratien demonstrieren ihr Zusammenwirken: Kriegsschiffe aus Südkorea, den USA und Japan am 22. Februar 2023 bei einer gemeinsamen Übung im Südchinesischen Meer.
© Quelle: South Korean Defense Ministry vi
- Japan hat unter Kishida seine seit dem Zweiten Weltkrieg rein defensive Militärstrategie geändert. Das Land will künftig in der Lage sein, auch in großer Entfernung vernichtende Gegenschläge durchzuführen – deshalb werden jetzt in großem Stil Marschflugkörper beschafft.
- Parallel laufen neue diplomatische Bemühungen Japans zur Eindämmung Chinas und Russlands. Dazu dienen unter anderem die Quad-Runden (Quadrilateral Security Dialogue) mit Vertretern aus Japan, den USA, Australien und Indien. Tokio bemüht sich zugleich, historische Gräben zu überwinden, die im Zweiten Weltkrieg und in Japans kolonialer Vergangenheit entstanden sind. Spürbar verbessert hat sich in jüngster Zeit das Verhältnis Japans zu Südkorea. Auch mit Indien läuft es besser. Kishida hatte, bevor er sich am Dienstag überraschend nach Kiew aufmachte, in Neu-Delhi gerade den indischen Premier Narendra Modi getroffen.
- Der Ukraine half Japan zwar nicht mit eigenen Waffen, aber mit Finanzhilfen, die im weltweiten Vergleich beeindruckend sind. Im Februar 2023 kündigte Kishida ein neues Hilfsprogramm für Kiew im Umfang von 5,5 Milliarden US-Dollar an.
- Partnern in Europa schenkt Japan eine neue Aufmerksamkeit. Die deutsche Regierung war Mitte März erstmals komplett in Tokio zu Beratungen mehrerer Ressorts gleichzeitig eingeladen. Kanzler Olaf Scholz hob anschließend Möglichkeiten zur Zusammenarbeit bei den Themen Rohstoffe, Klimaschutz und Wasserstoff hervor. Verteidigungsminister Boris Pistorius sprach von interessanten gemeinsamen Perspektiven in Rüstungsfragen.
Neuer Trotz und neuer Wehrwille
Kaum bekannt ist, dass Japan und Deutschland bereits seit dem Jahr 2021 auf der Grundlage eines Geheimschutzabkommens hochvertrauliche Daten austauschen. Da das Zusammenspiel der einstigen „Achsenmächte“ Deutschland und Japan im Zweiten Weltkrieg in vielen Teilen der Erde bis heute ungute Erinnerungen weckt, haben Berlin und Tokio militärische Themen stets geräuschlos behandelt. Das neuerdings stärker sichtbare Zusammenrücken von Berlin und Tokio gehört – wie die anstehende Norderweiterung der Nato um Finnland und Schweden – zu den ungewollten politischen Konsequenzen der Kriegspolitik Putins.
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„Interessante gemeinsame Perspektiven in Rüstungsfragen“: Deutschlands Verteidigungsminister Boris Pistorius und sein japanischer Amtskollege Yasukazu Hamada am 18. März 2023 in Tokio.
© Quelle: Getty Images
Auf die Kiew-Reise Kishidas reagierte Putin jetzt, indem er noch am gleichen Tag zwei atomwaffenfähige strategische Bomber der russischen Luftwaffe über das Japanische Meer fliegen ließ. Drohgebärden dieser Art aber haben in letzter Zeit in Japan nicht zu mehr Angst geführt, sondern zu neuem Trotz und neuem Wehrwillen. Aus dem Verteidigungsministerium in Tokio kam zum Beispiel mehr als einmal der Hinweis, die russische Marine, die rund um Japan oft provozierend auftritt, werde, sobald sie etwas Völkerrechtswidriges unternehme, „Bekanntschaft machen mit der Vernichtungswirkung der präzisesten und modernsten Waffen der Welt“.
Tokio hat, anders als die Europäer, auch bereits beim Tonfall nachgerüstet.