Kasachstan will mit einem Referendum mehr Demokratie wagen
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/LC5JBSSTGJCMZBGTDN3Z5KAW5A.jpeg)
Polizisten stoppen Demonstranten: Anfang Januar kam es in der kasachischen Metropole Almaty zunächst zu Protesten gegen hohe Energiepreise und dann zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit Toten und Verletzten.
© Quelle: Vladimir Tretyakov/AP/dpa
Berlin. „Wir bauen ein neues Kasachstan!“ Es klingt euphorisch, wenn Dauren Karipov über das bevorstehende Referendum in seinem Land spricht.
Tatsächlich sind die Kasachen am 5. Juni aufgerufen, über ein Reformpaket abzustimmen, dass auch westliche Beobachter als „historisch“ bezeichnen. Mit dem Referendum werde ein neuer Kurs in Richtung Präsidialsystem mit starkem Parlament eingeschlagen, sagt Christoph Mohr, Regionaldirektor der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kasachstan, am Montag bei einem von der Botschaft organisierten virtuellen Runden Tisch.
Verwandte des Präsidenten dürfen künftig keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden
Die von Präsident Kassim-Schomart Tokajew nach den Massenunruhen zu Jahresbeginn mit über 200 Toten angeschobenen Reformen umfassen ein Drittel aller Artikel der jetzigen Verfassung und betreffen auch sein Amt. So wird der Präsident künftig verpflichtet, die Mitgliedschaft in einer Partei während seiner Amtszeit ruhen zu lassen. Um der Clanwirtschaft entgegenzuwirken, dürfen nächste Verwandte des Präsidenten künftig keine öffentlichen Ämter mehr bekleiden. Es wird ein Verfassungsgericht eingerichtet, bei dem jeder Bürger Klage führen kann.
Das Recht des Präsidenten, Gouverneure auf lokaler Ebene abzuberufen, wird abgeschafft. Das Verfahren zur Gründung neuer Parteien wird vereinfacht und die Mindestgröße von jetzt 1000 auf 700 Personen abgesenkt. Auch parteilose Bürgerinnen und Bürger können ins Parlament gewählt werden.
70 Prozent der Mitglieder des Parlaments werden durch Verhältniswahl und 30 Prozent durch Mehrheitswahl gewählt. Die 7-Prozent-Hürde zum Einzug ins Parlament wird auf 5 Prozent abgesenkt.
„In der Vergangenheit wurde die Zentralgewalt immer mehr gestärkt, jetzt bekommen wir endlich mehr Entscheidungsbefugnis auf der lokalen Ebene“, sagt Murat Abenov, Vizepräsident der Zivilallianz Kasachstans. „Viele Fragen in kleinen Städten und Dörfern kann man gar nicht in der Hauptstadt klären. Jetzt bekommen wir mehr kommunale Selbstverwaltung. Das ist gut so.“
Auch Andrej Chebotarev, Direktor des Forschungszentrums „Alternative“, sagt, Kasachstan gehe „Zeiten einer neuen Offenheit“ entgegen, wenn jetzt beispielsweise das 1995 abgeschaffte Verfassungsgericht wieder eingerichtet wird, wo die Bürger ihre Rechte einklagen können. „Die Menschen bekommen insgesamt mehr Möglichkeiten, an der Gestaltung politischer Prozesse teilzunehmen“, sagt Cheboratev, warnt aber auch davor, schon von einer „100-prozentigen Demokratie“ zu sprechen.
Das sieht auch Beate Eschment so, Zentralasienexpertin beim Zentrum für Osteuropa und internationale Studien (ZOiS) in Berlin. Sie lobt das neue Wahlrecht und die stärkere Rechtssicherheit für die Bürger.
Eschment ist überzeugt, dass das Referendum am 5. Juni angenommen wird, zugleich aber auch etwas skeptisch, ob der Präsident nicht doch weiterhin Einfluss nehmen kann, wenn auch nicht direkt, so aber über seine Umgebung. Auch bleibe viel zu tun beim Thema Frauenrechte und häusliche Gewalt. Eschment: „Das beginnt damit, dass eine Frau erst einmal ernst genommen wird, wenn sie bei der Polizei vorspricht.“
Botschafter Karipov kündigte an, dass das Referendum von zahlreichen internationalen Wahlbeobachtern verfolgt werden wird. Volker Frobarth, Leiter des Büros der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in der Hauptstadt Nur-Sultan, bestätigte, dass auch eine „kleine OSZE-Mission“ mit zehn Kräften dazugehören werde.