Putin laufen die Freunde davon

Kasachstans Präsident Tokajew: der Spieler zwischen den Blöcken

Kassym-Jomart Tokajew, Präsident von Kasachstan, bei einem Tischtennismatch in Astana gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Kassym-Jomart Tokajew, Präsident von Kasachstan, bei einem Tischtennismatch in Astana gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Außenministerin Annalena Baerbock fand bei ihrem Besuch in Kasachstan warme Worte für das Gastgeberland: Ihre Reise sei „ein Zeichen: Deutschland wendet sich nicht ab, im Gegenteil: Wir bleiben mit Zentralasien verbunden.“ Russlands Krieg stelle alle Nachfolgestaaten der Sowjetunion vor die Frage, ob auch ihre Staatlichkeit zur Disposition gestellt werden könne.

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Die Grünen-Politikerin wird von einer Wirtschaftsdelegation begleitet. Um die Chancen zur Zusammenarbeit zu nutzen, „müssen wir endlich damit vorankommen, Zentralasien besser mit Europa zu vernetzen“.

Noch im Januar galt der jetzt umworbene Präsident Kassym-Schomart Tokajew als erledigt und als Buhmann des Westens. Dem Regime entglitt die Kontrolle über wichtige Zentren des Landes wie die Hauptstadt Astana, die Sicherheitsorgane kollabierten. Nur mithilfe einer „Friedenstruppe“ des von Russland angeführten Militärbündnisses OVKS (Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit) konnten die Unruhen befriedet werden. Offizielle Angaben gehen von 225 Getöteten und 4300 Verletzten aus.

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Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, spricht bei ihrer Reise nach Kasachstan und Usbekistan in der Schule Nr. 60 mit einer Schülerin in traditioneller Kleidung. Bei der Reise in die früheren Sowjetrepubliken dürfte angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auch die Energiekrise eine Rolle spielen.

Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, spricht bei ihrer Reise nach Kasachstan und Usbekistan in der Schule Nr. 60 mit einer Schülerin in traditioneller Kleidung. Bei der Reise in die früheren Sowjetrepubliken dürfte angesichts des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine auch die Energiekrise eine Rolle spielen.

Präsident Tokajew, so schien es, schrumpfte vollends zu einem Herrscher von Moskaus Gnaden. Umso erstaunter wurde nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine Ende Februar registriert, dass ausgerechnet Kasachstan zum lautesten Kritiker des Kreml im Lager seiner Verbündeten wurde. Was für Staatschef Tokajew ein enormes Risiko birgt, denn gut ein Fünftel der fast 18 Millionen Einwohner des Landes sind Russen – etwa 3,8 Millionen Menschen.

Zunächst verbot Tokajew das russische Kriegssymbol Z, dann verweigerte er zum 9. Mai die traditionelle Sieges- und Militärparade und kündigte an, sich an die EU-Sanktionen gegenüber Russland halten zu wollen. Bis heute haben gut 200.000 flüchtige Reservisten aus Russland die Grenze passiert, viele wollen bleiben.

Tokajew begrüßte die Flüchtlinge herzlich: „In den letzten Tagen kamen viele Menschen aus Russland zu uns. Die meisten von ihnen sind aufgrund der derzeitigen aussichtslosen Lage gezwungen, das Land zu verlassen. Wir müssen uns um sie kümmern und für ihre Sicherheit sorgen.“

Russland reagiert ungehalten, gegenüber dem südlichen Nachbarn wird seitens der Politik und in Medien ein Ton angeschlagen, der an den Umgang mit der Ukraine vor der Invasion erinnert: Die ganze ehemalige Sowjetunion sei historisch gesehen russisch, hatte Präsident Putin im Juni in einer Diskussion am Rande des Petersburger Wirtschaftsforums gesagt. Offen widersprach ihm der kasachische Autokrat Tokajew – ein Affront.

Zwischen Gewährleistung der territorialen Integrität von Staaten und dem Recht auf Selbstbestimmung von Völkern gebe Kasachstan Ersterem den Vorzug. Zudem werde Kasachstan weder die abtrünnigen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien als eigenständige Staaten anerkennen noch die „Quasi-Staaten“ Luhansk und Donezk.

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Putin-Vertrauter droht Kasachstan mit „Ukraine-Szenario“.

Daraufhin drohte der bekannte Journalist und Putin-Vertraute Tigran Keosajan Kasachstan mit einem „Ukraine-Szenario“. Tatsächlich ist die Situation explosiv, im Norden Kasachstans leben mehr als zwei Millionen Russen. Schon lange fordern die russischen Nationalisten einen Anschluss dieser Gebiete an Russland. Viele Kasachen haben nun die Befürchtung, dass nach dem Krieg in der Ukraine Putin gegen ihr Land vorgehen könnte.

Seitdem versucht Tokajew einen Spagat: In einer Rede vor Bürgern der Stadt Schymkent bekundete er, Kasachstan werde alle Anstrengungen unternehmen, um die Beziehungen zum Verbündeten Russland aufrechtzuerhalten. Aber auch die Partnerschaft mit der Europäischen Union stehe im Vordergrund, fügte er hinzu.

Vom  Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums veröffentlichtes Foto, das russische Soldaten während des Aufstandes im Januar 2022 in Kasachstan zeigt.

Vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums veröffentlichtes Foto, das russische Soldaten während des Aufstandes im Januar 2022 in Kasachstan zeigt.

Kasachstan hat enorme Rohstoffvorkommen – Öl, Gas und seltene Erden. Es ist Deutschlands wichtigster Wirtschaftspartner in Zentralasien. Wie abhängig es aber vom großen Nachbarn ist, verdeutlicht allein die Tatsache, dass 80 Prozent des in Kasachstan geförderten Rohöls aus dem Tengis-Feld über eine Pipeline in die südrussische Hafenstadt Noworossijsk gepumpt werden, weil Kasachstan keinen Zugang zum Meer hat – weshalb Kasachstan plant, eine Pipeline durch das Kaspische Meer in Richtung Westen zu bauen. Kasachisches Öl könnte so über Aserbaidschan unter Umgehung Russlands Richtung Westen gelangen.

Unabhängig davon, wie sich die internationale Lage entwickelt, werden wir Kasachstan weiterhin entschieden beim Schutz seiner Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität unterstützen.

Chinas Präsident Xi Jinping

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Russland wird sich gegen eine wirtschaftliche Neuausrichtung Kasachstans stemmen. Doch gleich mehrere Regional- und Supermächte buhlen um den neuntgrößten Flächenstaat der Erde. Chinas Präsident Xi Jinping überraschte während seines Besuches in Astana am 14. September mit der Aussage, Russlands Politik in Zentralasien habe eine „rote Linie“: „Unabhängig davon, wie sich die internationale Lage entwickelt, werden wir Kasachstan weiterhin entschieden beim Schutz seiner Unabhängigkeit, Souveränität und territorialen Integrität unterstützen“, so Xi laut dem kasachischen Nachrichtenportal „Vlast“. Im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine richtete sich diese Botschaft direkt an Wladimir Putin, der seine expansionistischen Tendenzen nicht auf Zentralasien ausweiten solle.

China bezieht rund 20 Prozent seiner Gasimporte aus oder über Kasachstan

China und Kasachstan haben eine bedeutende Wirtschaftspartnerschaft: Die Volksrepublik bezieht rund 20 Prozent seiner Gasimporte aus oder über Kasachstan. Das zentralasiatische Land ist ein Dreh- und Angelpunkt in der chinesischen Belt and Road Initiative (BRI), mit der China in großem Umfang in Infrastruktur in strategisch wichtigen Ländern investiert.

Die Türkei setzt auf die gemeinsamen „turksprachigen“ Wurzeln mit Kasachstan und gründete 2009 den „Türkischen Rat“, der 2021 in OTS umbenannt wurde – Organisation türkischer Staaten, der Kasachstan angehört. In Kasachstan sind zahlreiche türkische Unternehmen im Nahrungs- und Bausektor, der Chemie- und Pharmaindustrie sowie im verarbeitenden Gewerbe engagiert – 4000 türkische Unternehmen sind nach Angaben des türkischen Außenministeriums in ganz Zentralasien tätig. Allein in Kasachstan haben türkische Baufirmen rund 21 Milliarden US-Dollar investiert. Damit gehört die Türkei zu den größten Investoren in Kasachstan.

Kasachstan hat immer wieder deutlich gemacht, dass es zu der internationalen Ordnung steht.

Außenministerin Annalena Baerbock

In Konkurrenz zu Chinas Gigaprojekt „Neue Seidenstraße“ plant die EU mit ihrem Programm „Global Gateway“, bis zu 300 Milliarden Euro in die Infrastruktur von Schwellen- und Entwicklungsländern zu investieren. Mehr als 200 deutsche Unternehmen sind bereits in Kasachstan aktiv. Ein Wasserstoffprojekt in der Region am Kaspischen Meer stehe für die gemeinsame und nachhaltige Zukunft, sagte Baerbock in Astana.

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Ab 2030 könnten drei Millionen Tonnen grüner Wasserstoff durch Windenergie und Elektrolyse mit Wasser aus dem Projekt produziert werden. Man wolle die Technologie vorantreiben und so die zentralasiatische Region enger an Europa binden, sagte Baerbock. Gemeinsam mit der Europäischen Union werde Deutschland Projekte für Infrastruktur in den Bereichen Digitales, Energie und Transport auf den Weg bringen.

Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AP

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