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Kein Ringen, nur Erlasse – Macrons einsame Corona-Politik

Emmanuel Macron, Staatspräsident von Frankreich.

Emmanuel Macron, Staatspräsident von Frankreich.

Paris. Das Ritual fand nun achtmal in 17 Monaten Corona-Pandemie statt: Der Élysée-Palast kündigt jeweils eine Ansprache des Staatspräsidenten zu den neuen Maßnahmen an. Spätestens dann beginnen in den Medien die Spekulationen darüber, was die Rede enthalten könnte. Ein paar Details werden vorab bekannt, aber nicht so viele, um nicht trotzdem Millionen Zuschauer zur Hauptnachrichtenzeit vor die Fernseher zu locken.

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Es erklingt die Marseillaise, Frankreichs Nationalhymne – und der Präsident spricht. Er verkündet, was er entschieden hat: einen Lockdown, dessen Verlängerung oder Lockerungen, je nach Situation. Besprochen wurden sie in einem sehr kleinen Kreis eines „Sicherheits- und Verteidigungsrates“. Manchmal sind nicht einmal Emmanuel Macrons engste Mitarbeiter oder betroffene Minister vorher eingeweiht.

Das Parlament darf die Maßnahmen dann noch abnicken, nachdem es sie vielleicht geringfügig verändert hat. Es ist, als schlüpfe Macron, der in seiner Jugend Laienschauspieler war und das Theater immer noch liebt, jeweils in verschiedene Rollen. Mal ist er eine Art Kriegsführer, der die „Schlacht gegen das Virus“ eröffnet, mal der verständnisvolle Landesvater, der auf das vernunftbegabte Handeln der Bürger setzt.

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So gab es in Frankreich ab März 2020 einen besonders strikten Lockdown mit dem Verbot, sich ohne nachweislich triftigen Grund länger als eine Stunde und weiter als einen Kilometer von seiner Wohnung entfernt draußen aufzuhalten.

Zu Jahresbeginn 2021 aber, als die Inzidenzwerte längst in die Höhe schossen, zögerte Macron lange mit Maßnahmen. Einmal hörte er auf Mediziner und Wissenschaftler, dann wieder schlug er deren CORatschläge in den Wind. So entstand der Eindruck der Unvorhersehbarkeit, ja, der Willkür.

Wie Macron die Impfpflicht ankündigte

Bei der jüngsten Rede Mitte Juli schlüpfte der 43-Jährige in das Kostüm des gestrengen Lehrers. Hatte Macron bislang immer versichert, er sei gegen die Impfpflicht, so verkündete er sie nun für jene, die im Gesundheits- oder Pflegebereich arbeiten. Alle anderen müssen künftig beim Betreten eines Kinos, Restaurants oder Zugs negativ getestet oder geimpft sein, während die Tests ab September kostenpflichtig werden. Viele fühlten sich vor den Kopf gestoßen.

Unabhängig von der Frage, ob eine Impfpflicht sinnvoll und richtig ist, stellt sich hier auch jene nach der Art, wie sie beschlossen wird. Die eigenmächtigen Entscheidungen des Staatschefs werden damit gerechtfertigt, dass er direkt gewählt wurde.

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In Frankreich gilt die Präsidentschaftswahl als eine „Begegnung zwischen einem Mann und dem Volk“ – einer Frau ist eine solche Begegnung bislang nicht gelungen. Die Verfassung der Fünften Republik sieht eine große Machtfülle für den Staatschef vor und so reiht sich Macron hinter seine Vorgänger ein, die auch schon weitgehend alleine über Militäreinsätze entschieden haben. Das Parlament erhält höchstens eine Nebenrolle ohne nennenswerten Einfluss.

Kein öffentliches Ringen

In der Coronavirus-Pandemie zeigte dieses Modell seine Grenzen auf. Zwar fielen wohl keiner Regierung dieser Welt die oftmals weitreichenden Entscheidungen leicht. Auch in Deutschland mit seinem föderalistischen System ringen die politisch Verantwortlichen um eine einheitliche Linie oder die Frage, ob diese wirklich notwendig ist, wenn das Pandemiegeschehen je nach Bundesland unterschiedlich ausfällt.

In Frankreich aber gibt es kein öffentliches Ringen, sondern nur Erlasse. Es dauerte Monate, bis regionale Differenzierungen der Maßnahmen durchgeführt wurden. Lange ließ man Entscheidungsträger vor Ort außen vor, was sich am absurdesten darin zeigte, dass in der anfänglichen Zeit der Knappheit von Masken zum Mund- und Nasenschutz eine von einer Regionalratspräsidentin für ihr Verantwortungsgebiet bestellte Lieferung vom Staat konfisziert wurde.

In einem zentralistischen System, in dem Entscheidungen von oben kommen, fallen diese selten schnell und pragmatisch. Macron, so vermeintlich modern er auch auftritt, hat diese Tendenzen verstärkt. Denn dieser politische Schnellaufsteiger delegiert bei Entscheidungsfindungen wenig und scheint vor allem sich selbst zu vertrauen.

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Tun das aber auch die Franzosen, wenn ihr Präsident so wechselhaft auftritt? Das zeigt sich im April 2022 bei der nächsten Begegnung mit dem Volk.

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