Kickt die Diktaturen raus: Freie Spiele für eine freie Welt
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Keine guten Partner für die Welt des Sports: Xi Jinping (China), Wladimir Putin (Russland), Ali Khamenei (Iran).
© Quelle: PopArt-Montage / mko
Die arme Nancy Faeser. Als die deutsche Innenministerin mit ihrer „One Love“-Armbinde etwas einsam auf der Ehrentribüne im WM-Stadion saß, beugte sich Fifa-Präsident Gianni Infantino zu ihr herab und lächelte gönnerhaft in die Kameras. Das Foto geriet zum doppeldeutigen Dokument deutscher Menschenrechtspolitik. Es zeigt beides gleichzeitig: guten Willen und Armseligkeit.
Seien wir ehrlich: Die Katar-Debatten dieser Tage kommen zu spät. Überfordert sind jetzt nicht nur einzelne Ministerinnen und Minister. Überfordert sind jetzt vor allem die Sportler. Es ist unfair, ihnen mit ausgestrecktem Zeigefinger vom Sessel aus abzuverlangen, nun dieses oder jenes „Zeichen“ zu setzen – als könne man im Nachhinein auf dem Rasen noch etwas drehen an einer Entscheidung, zu der es nie hätte kommen dürfen.
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Der Ball liegt im Feld der Politik, und zwar bei den Regierungschefs. Das Thema Sport muss endlich auf einer höheren Ebene behandelt werden und mit größerem Ernst, denn es geht jetzt nicht mehr um Einzelentscheidungen. Die Zeit ist reif für den disruptiven Neustart einer globalen Sportpolitik.
Eine weltpolitische Idiotie
Seit Jahrzehnten geht der Diener, den die Fifa und auch das Internationale Olympische Komitee (IOC) vor Diktaturen machen, viel zu tief. Schon die WM 1978 in Argentinien hätte nicht stattfinden dürfen, sie zementierte eine Militärdiktatur. Mit der Fußball-WM 2018 in Russland stärkte die Welt Wladimir Putin vier Jahre nach dessen Annexion der Krim den Rücken. Wäre es nicht besser gewesen, ihn schon damals weltpolitisch zu isolieren?
Der Gipfel westlicher Wertevergessenheit waren die Olympischen Winterspiele in diesem Jahr in China. Da defilierten westliche Sportler huldvoll unter den Logen gnädig grüßender Mächtiger, die allen Ernstes eine demokratiefreie Weltherrschaft planen.
Sich an solchen Szenen zu beteiligen ist für jeden Menschen ein Problem, der sich und seinen Kindern ein Leben in Würde und Freiheit wünscht. Vor allem aber ist es eine weltpolitische Idiotie. Xi Jinping und sein spezieller Gast Wladimir Putin riefen kurz vor Beginn der Spiele im Februar in Peking das neue Zweierbündnis ihrer Diktaturen aus – und schon am Tag nach der Schlussfeier startete Putin den schlimmsten Krieg in Europa seit 1945. Höhnischer können Mächtige mit dem Weltsport nicht umgehen.
Weniger Naivität, mehr Klarheit
Es wird Zeit, dass die demokratischen Staaten der Erde endlich ihre Naivität abschütteln, zu mehr Selbstachtung finden - und zu mehr intellektueller Klarheit. So schwer, wie viele tun, ist das alles nicht. Statt sich von achselzuckenden Sportfunktionären immer wieder in irgendein labyrinthisches Dilemma entführen zu lassen, muss die Politik vorab klare Kriterien definieren.
- An Austragungsorten des Weltsports muss ein Mindestmaß an politischer Liberalität herrschen. China scheidet da sofort aus. In dieser heillos angespannten Diktatur folgen schon auf die vollkommen friedliche Entfaltung eines DIN-A-Blatts in der Öffentlichkeit mit einer für die Staatsmacht unwillkommenen politischen Forderung (etwa „Free Hongkong“) Festnahme und Haft. Dass unter so unwürdigen Bedingungen, begleitet von physischer und digitaler 24/7-Überwachung, im Jahr 2022 die Jugend der Welt nach Peking geschickt wurde, war eine Beleidigung der olympischen Idee.
- Zudem kommen als Austragungsorte des Weltsports keine Staaten in Betracht, in denen Lesben und Schwulen strafrechtliche Verfolgung droht. Mit dieser simplen Festlegung hätte man sich die komplette seit zwölf Jahren laufende Katar-Debatte von vornherein ersparen können.
- Unzumutbar ist für den Rest der Weltgemeinschaft selbstverständlich auch die Teilnahme von Staaten, die gerade einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg begonnen haben - deshalb wurde Russland völlig zu Recht von der Fußball-WM ausgeschlossen.
- Unzumutbar ist allerdings auch die Teilnahme von Staaten, die gerade massive Menschenrechtsverletzungen im eigenen Land begehen. So müsste derzeit der Iran ausgeschlossen werden, der mit unerhörter Brutalität gegen seine Demokratiebewegung vorgeht. Sollten führende Gremien des Sports Schwierigkeiten bei der Einschätzung haben: Der Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen hat vor wenigen Tagen auf Antrag Deutschlands und Islands beschlossen, die Gewalttaten der iranischen Führung gegen friedliche Demonstrierende unabhängig untersuchen zu lassen. Alles spricht dafür, betreffenden Ländern im Fall derartiger UN-Beschlüsse aufzugeben, die Teilnahme an weltweiten Sportveranstaltungen für die Dauer der Untersuchung ruhen zu lassen.
Eine klipp und klar an den Menschenrechten orientierte internationale Sportpolitik? Manche schütteln sich da und glauben, das sei nicht durchsetzbar. In vielen Köpfen hat sich ein inakzeptabler Gedanke festgesetzt: Regierungen kommen und gehen, doch Fifa und IOC bleiben bestehen.
Genau diese Haltung muss jetzt aufgebrochen werden. Wenn die neue Linie auf krachende Strukturbrüche bei Fifa und IOC hinausläuft – umso besser. Schon allzu lange existieren auf dieser Ebene Missverständnisse darüber, wer wem etwas zu sagen hat. Die frei gewählten Parlamente der Europäer, Nordamerikaner, Südamerikaner, Inder und zum Beispiel auch der Japaner, Südkoreaner, Australier und Neuseeländer müssen sich von niemandem auf der Nase herumtanzen lassen. Ihre Länder haben politisch und ökonomisch genug Macht, etwas Neues und Leuchtendes auf die Beine zustellen: freie Spiele für eine freie Welt.
Wenn solche Spiele dann auch in Staaten gingen wie Botswana, Sambia oder Chile, würden wirtschaftlicher und politischer Rückenwind nicht wie allzu oft den Reichsten und Einflussreichsten helfen, sondern auch Schwächeren: allen, die bereit sind, nach den Regeln zu spielen. Nur auf diesem Weg kann der Sport zu dem werden, was er eigentlich sein will: ein Friedensstifter mit eigener Autorität und Integrität, ein Antreiber, der Hoffnung gibt und Beispiele setzt für das Miteinander in einer besseren Welt.