Erste afrodeutsche Ministerin Aminata Touré: „Biografie ersetzt keine Politik“
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Aminata Touré (Bündnis 90/Die Grünen), zukünftige Ministerin für Soziales, Jugend, Familie, Senioren, Integration und Gleichstellung in Kiel, auf dem Landesparteitag in Neumünster.
© Quelle: Marcus Brandt/dpa
Kiel. Die neue schwarz-grüne Landesregierung in Schleswig-Holstein wird am Mittwoch vereidigt. Zwei ungewöhnliche Personalien stechen im Kieler Kabinett von Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hervor. Wirtschaftsminister auf CDU-Ticket wird der parteilose Claus Ruhe Madsen, seit 2019 Oberbürgermeister von Rostock und der erste Däne in einem deutschen Kabinett. Sozialministerin und zuständig für Integration wird die Grüne Aminata Touré, erst 29 Jahre alt und schon länger als großes politisches Talent zwischen den Meeren gehandelt. Bei der Landtagswahl im Mai war sie Co-Spitzenkandidatin neben Finanzministerin Monika Heinold. Touré wurde in Neumünster geboren, ihre Eltern flohen 1991 nach einem Putsch aus Mali.
Dem RedaktionsNetzwerk Deutschland und den „Kieler Nachrichten“ gab sie ihr erstes Interview als zukünftige Ministerin.
Frau Touré, Sie sind die erste afrodeutsche Ministerin der Bundesrepublik. Was bedeutet das für Sie persönlich und für schwarze Menschen in Deutschland?
Natürlich ist das eine besondere Rolle. Ich bekomme jetzt schon zahlreiche Nachrichten von Menschen, die mir schreiben, dass ihnen das ganz viel bedeutet. Das Ganze hat auch eine Signalwirkung. Wichtig ist, damit verantwortungsvoll umzugehen.
Sie sind 1992 in Neumünster geboren, Schleswig-Holstein ist Ihre Heimat.
Stimmt genau. Aber die Frage, schwarz und hier in Deutschland aufgewachsen zu sein, hat in meinem Leben natürlich immer eine Rolle gespielt – mit positiven und negativen Erlebnissen. Ich habe die Auseinandersetzung damit, schwarz zu sein, vor allem damit gehabt, dass andere Menschen einen ständig und ununterbrochen damit konfrontieren.
Wenige Menschen in der Spitzenpolitik haben Ihre biografischen Erfahrungen gemacht: eine Kindheit im Asylbewerberheim, eine Familie, die zeitweise auf Transferleistungen angewiesen war, andauernde Erfahrungen mit Alltagsrassismus. Nun werden Sie Sozial- und Integrationsministerin in Kiel. Wie wird Ihre Biografie Ihre Politik prägen?
Das hat sie schon immer getan. Aber Biografie ersetzt keine Politik. Eigene Erfahrungen können einen sensibilisieren und dazu führen, dass man eine Perspektive für die Menschen einnimmt, für die man politisch Verantwortung trägt. Das war immer der Kontrast, den ich in meiner Kindheit und Jugend feststellte: Viele haben über Menschen wie mich gesprochen, wussten aber nichts darüber, wie die Lebensrealität von Menschen ist, die in Asylbewerberheimen leben, die arm sind und bei einer alleinerziehenden Mutter aufwachsen. Das ist schon relevant, um zu verstehen, warum es bestimmte Maßnahmen braucht. Man kann über alles theoretisch sprechen und trotzdem nicht verstehen, worum es geht. Und trotzdem glaube ich, dass es total notwendig ist, sich mit den Menschen, die jetzt diese Herausforderung haben, auseinanderzusetzen und politische Konzepte zu haben. Die Kombination aus allem macht Politik.
Ihre Lebenserfahrung dürfte Ihnen sagen, dass es sich lohnt, sich anzustrengen. Prägt das? Führt es sogar dazu, dass man andere Menschen auffordert: Nun strengt euch mal ein bisschen an?
Meine Eltern haben uns immer sehr deutlich gemacht: Gerade, weil wir zu einer Minderheit in Deutschland gehören und die Bedingungen nicht nur leicht sind, haben wir immer 200 Prozent geben müssen, wo andere nur 100 Prozent geben. Das hat sich mir eingetrichtert. Aber am Ende des Tages wünsche ich mir eine Gesellschaft, in der die Notwendigkeit nicht besteht, dass man immer doppelt so viel geben muss, nur weil man in irgendeiner Form anders ist. Alle sollen die gleichen Chancen und Möglichkeiten haben.
Als sie vor fünf Jahren Ihre erste Rede im Landtag gehalten haben, sagten Sie: „Wie gut meine Familie und ich integriert sind, sieht man heute.“ Später haben Sie sich über diesen Satz geärgert. Warum?
Mich hat im Nachhinein der Druck geärgert, mich immer beweisen zu wollen. Auch wenn wir faul gewesen wären und uns nicht so angestrengt hätten, hätten wir trotzdem eine Daseinsberechtigung.
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Aminata Touré (Dritte von rechts), Bündnis90/Die Grünen, bei der Vorstellung des Koalitionsvertrags für Schleswig-Holstein.
© Quelle: Axel Heimken/dpa
Sehen Sie eine Möglichkeit, darauf hinzuwirken, dass die Berliner Ampelkoalition die Abschiebehaft abschafft?
Diesen Grundsatz hat die Ampel in den Koalitionsverhandlungen nicht festgeschrieben. Es ist uns nicht gelungen, das hinzubekommen, weil weder die SPD noch die FDP dieses Instrument für problematisch halten. Nichtsdestotrotz ist der Bund der Ort, an dem eine Abschiebehaft abgeschaltet werden kann.
Sie selbst sind eine glühende Gegnerin solcher Einrichtungen?
Ja, weil ich glaube, dass sie problematisch sind und man Rückführungen, wenn sie nötig sind, auch über andere Wege, zum Beispiel durch freiwillige Ausreisen, ermöglichen kann.
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Die Landesregierung hält an der Abschiebehaft in Glückstadt gleichwohl fest.
Genau, weil es keinen Unterschied gemacht hätte, auf Landesebene auszusteigen. Dann hätten wir die Leute zum Beispiel in Sachsen unterbringen müssen.
CDU-Ministerpräsident Daniel Günther und der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck dringen beide auf LNG-Terminals in Brunsbüttel. Befürchten Sie Probleme mit der Basis und der Grünen Jugend, wenn die Landesregierung solche fossilen Projekte durchwinken muss?
Diese Debatte führen wir schon seit Monaten. Unsere Partei hat einen klaren Beschluss gefasst: LNG ist für uns absolut keine Zukunftstechnologie. Finanzministerin Monika Heinold, der neue Umweltminister Tobias Goldschmidt und ich haben auf dem Parteitag sehr deutlich gemacht, dass es eine gewisse Versorgungsunsicherheit gibt. Und trotzdem ist es klimapolitisch nicht der richtige Weg, muss man ehrlich sagen. Es geht nur um einen Übergang, um dann darüber zu sprechen, wie man Wasserstoff nutzen kann und vor allem die Erneuerbaren ausbaut.
Nicht nur Energie, sondern auch Lebensmittel haben sich stark verteuert. Wie können Sie auf Landesebene den Menschen helfen, die sich immer öfter kaum noch das Nötigste leisten können?
Es gibt unterschiedliche Wege, und insgesamt werden wir es mit dem Bund machen müssen. Es geht um Entlastungspakete für alle Bevölkerungsgruppen, das war das letzte Mal nicht gut genug. Wir als Land werden darauf hinwirken, insbesondere Rentnerinnen und Rentner und Menschen, die Hartz IV bekommen, stärker im Blick zu behalten.
Wir wollen auf Landesebene einen Fonds für soziale Härten fortführen, wir wollen die Tafeln durch ein Sofortprogramm unterstützen. Und wir wollen die Grundsicherung für Kinder und Jugendliche beim Bund positiv begleiten. Es geht um die Grundstruktur.
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Sie machen Sozialpolitik zur grünen Chefsache. Kam das in den vergangenen Jahren in Ihrer Partei zu kurz?
Intern haben wir das immer viel diskutiert. Aber in der Außenwirkung haben nicht so viele wahrgenommen, dass wir für Sozialpolitik stehen. Viele verbinden mit einer Partei oft nur ein Kernthema, aber das sind Klischees: Bei der CDU ist die innere Sicherheit, bei der SPD das Soziale, wir sind die Klimapartei und die FDP ist die Partei der Reichen. Ich bin aber aufgrund der Sozialpolitik, der Gleichstellung und Integrationspolitik zu den Grünen gekommen.
Wollen die Grünen die bessere SPD werden?
Ich vergleiche mich nicht mit der SPD. Aber ich will schon, dass wir auch als sozialpolitische Partei wahrgenommen werden.
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