Kopftuch-Verbot: Das müssen Sie zum Karlsruher Urteil wissen
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Eine junge Frau mit Kopftuch geht an einem Behördenschild mit dem Bundesadler vorbei (Symbolfoto).
© Quelle: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dp
Eine Frau mit Kopftuch auf der Richterbank - kann es das in deutschen Gerichtssälen geben? Der Fall einer muslimischen Rechtsreferendarin aus Hessen geht bis vor das Bundesverfassungsgericht. Am Donnerstag haben die Karlsruher Richter ihre Entscheidung veröffentlicht. (Az. 2 BvR 1333/17)
Warum hat die Frau geklagt?
Die in Frankfurt geborene Deutsch-Marokkanerin trägt in der Öffentlichkeit Kopftuch. Als sie im Januar 2017 ihren juristischen Vorbereitungsdienst antritt, wird das zum Problem. Denn in Hessen können Rechtsreferendarinnen ihre Ausbildung zwar mit Kopftuch machen. Sie dürfen damit aber keine Aufgaben übernehmen, bei denen sie als Repräsentantinnen der Justiz oder des Staates wahrzunehmen sind. Das verfügt das hessische Justizministerium 2007 per Erlass. Die Frau wird vor Ausbildungsbeginn darauf hingewiesen.
Was heißt das für Betroffene?
Sie dürfen Gerichtsverhandlungen nicht wie die anderen Referendare von der Richterbank verfolgen, sondern müssen sich in den Zuschauerraum setzen. Außerdem dürfen sie keine Sitzungen leiten oder Beweise aufnehmen und auch nicht die Staatsanwaltschaft vertreten. Ursprünglich drohte Juristinnen mit Kopftuch deshalb eine schlechtere Gesamtnote. Davon sieht Hessen aber inzwischen ab. Seit 2017 dürfen die fehlenden Leistungen durch andere kompensiert werden.
Was haben die Verfassungsrichter entschieden?
Das Verbot ist in dieser Form verfassungsgemäß - auch weil es sich nur auf wenige eng umrissene Aufgaben bezieht. Die Richter erkennen zwar an, dass gläubige Muslimas ein Kopftuch nicht einfach ablegen können wie Christen eine Halskette mit Kreuz. Eine Juristin, die das Zweite Staatsexamen anstrebe, habe auch keine andere Wahl, als ein Referendariat zu absolvieren. Der Eingriff in die Glaubensfreiheit sei aber durch andere Verfassungsgüter gerechtfertigt.
Was kann ein Verbot rechtfertigen?
Genannt wird der Grundsatz der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates, der letztlich alle Amtsträger verpflichte. Außerdem fuße die Funktionsfähigkeit der Rechtspflege darauf, dass die Bevölkerung den Richtern und der Justiz vertraue. Ein dritter Grund ist die sogenannte negative Religionsfreiheit der Menschen vor Gericht - damit ist gemeint, dass sich im Gerichtssaal niemand unausweichlich mit religiösen Symbolen konfrontiert sehen soll, die er vielleicht ablehnt. Nichts davon ist für die Richter allerdings so überragend wichtig, dass sie ein Verbot für zwingend halten. Die Entscheidung des Gesetzgebers in Hessen sei aber zu respektieren.
Wie ist die Rechtslage in anderen Bundesländern?
Die Frage ist je nach Land unterschiedlich geregelt. Ein ähnliches Verbot gilt zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Berlin und Bremen. Niedersachsen bringt gerade ein entsprechendes Gesetz auf den Weg. Es gebe regelmäßig Referendarinnen mit dem Wunsch, Kopftuch zu tragen, heißt es von dort. In anderen Ländern gibt es gar keine Regelung. Teils ist das Problem dort nie aufgetaucht, teils hat man eine einvernehmliche Lösung gefunden. So gab es etwa in Brandenburg eine Referendarin, die mit Kopftuch eine Gerichtsverhandlung leiten und als Staatsanwältin auftreten durfte.
Wie sehen Muslime das Verbot?
Im Verfahren hatten mehrere Verbände eine Stellungnahme abgegeben. Der Zentralrat der Muslime in Deutschland beanstandet darin, das Verbot berücksichtige die vorurteilsbeladene Sicht Dritter. Die Religionszugehörigkeit stelle noch keinen Befangenheitsgrund dar. Der Islamrat meint, die anderen Repräsentanten des Gerichts würden das Kopftuch mit ihrem Glauben oder ihrer Weltanschauung ausgleichen. Das Aktionsbündnis muslimischer Frauen in Deutschland kritisiert, die Referendarinnen würden auch wegen ihres Geschlechts diskriminiert. Für sie werde „eine Juristenausbildung zweiter Klasse geschaffen“.
Was gilt sonst im öffentlichen Dienst?
Das Bundesverfassungsgericht hat sich schon zweimal in wichtigen Entscheidungen mit dem Kopftuch bei Lehrerinnen befasst. Nach dem neuesten Beschluss von 2015 darf das Kopftuch an öffentlichen Schulen nicht pauschal verboten werden. Als Voraussetzung muss die konkrete Gefahr gegeben sein, dass der Schulfrieden oder die staatliche Neutralität beeinträchtigt werden. Vom Kopftuch allein gehe „kein werbender oder gar missionierender Effekt“ aus. Bekenntnisoffene Schulen sollten Toleranz gegenüber anderen Religionen vermitteln. In diesem Punkt sehen die Richter auch den Hauptunterschied zum Gerichtssaal: Die Justiz trete dem Bürger hoheitlich gegenüber.
RND/dpa