Kiews Bunker in katastrophalem Zustand: Selenskyj droht Klitschko mit „Knock‑out“
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Der Bürgermeister von Kiew, Vitali Klitschko, besucht einen Bunker in der Hauptstadt während eines Luftalarms am 1. Juni 2023.
© Quelle: picture alliance / NurPhoto
Kiew. Auch mehr als 15 Monate nach Beginn von Russlands Überfall auf die Ukraine terrorisieren russische Raketen- und Drohnenangriffe fast täglich die ukrainische Hauptstadt Kiew. Schutzsuchende Ukrainerinnen und Ukrainer standen bei vielen Bunkern in Kiew zuletzt jedoch vor verschlossenen Türen. Am Donnerstag starben deswegen offenbar drei Menschen – darunter ein neun Jahre altes Kind.
Präsident Wolodymyr Selenskyj hat nun seine eigenen Reihen scharf kritisiert. „Als ob die Feinde in Russland nicht genug wären, beginnt man, nach inneren Feinden zu suchen“, wird der ukrainische Präsident etwa von „T‑Online“ zitiert. „Lassen Sie es mich so sagen: Es kann zu einem Knock-out kommen“, so Selenskyj mit Blick auf Kiews Bürgermeister und ehemaligen Boxchampion Vitali Klitschko.
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„Dieses Ausmaß an Nachlässigkeit in der Stadt kann nicht durch irgendwelche Rechtfertigungen gedeckt werden“, sagte Selenskyj. Er wies die Regierung an, sich um eine Besserung der Lage zu kümmern. Nach allem, was am Donnerstag passiert sei in Kiew, sei dieser Zustand untragbar.
Klitschko spricht von „Sabotage“ und Veruntreuung
Klitschko machte zuvor selbst Selenskyj für das Behördenversagen rund um die Bunker in der Hauptstadt verantwortlich. Die Schuld werde geteilt, mahnte der Bürgermeister auf dem Onlinenachrichtendienst Telegram. „Ich möchte Sie aber auch daran erinnern, dass die zuständigen Bezirksleiter der Hauptstadt vom Präsidenten ernannt werden“, so Klitschko weiter.
Angesichts der schweren Mängel bei den Schutzbunkern warf er den Kiewer Bezirkschefs sogar „Sabotage“ und Veruntreuung vor. „Heute betone ich gegenüber den Bezirksvorstehern, dass ich keine Sabotage dulden werde! Bezirke der Hauptstadt sind keine separaten Fürstentümer, in denen man in weißen Handschuhen herumlaufen und seine Pflichten vernachlässigen kann“, schrieb Klitschko auf Telegram, „Sie sind Vertreter der Hauptstadtbehörden!“
Die Stadt habe in den vergangenen zwei Jahren umgerechnet mehr als 30 Millionen Euro für die Einrichtung von Notunterkünften ausgegeben. Die Verwendung dieser Mittel durch die Leiter der Stadtbezirke sei bislang allerdings „äußerst unbefriedigend“, so der Bürgermeister.
Nüchterne Erkenntnisse nach Bunkerkontrollen
Klitschko hatte bereits nach den Raketenangriffen am Donnerstag intensive Kontrollen angeordnet. Zuvor hatte Selenskyj gefordert, dass eine ausreichende Zahl an Bunkern überall zugänglich sein müsse. Es sei die Pflicht der Kommunen, dafür zu sorgen, dass die Schutzräume rund um die Uhr geöffnet seien.
Erste Besuche der Bunker zeichnen ein katastrophales Bild: Nach Angaben des Innenministers der Ukraine, Igor Klymenko, habe man bereits mehr als 4800 Notunterkünfte überprüfen können. Davon seien 252 Objekte verschlossen gewesen und 893 gänzlich unbrauchbar.
Auch Industrieminister Alexander Kamyschin kritisierte die Zustände. Nach seinen Kontrollen wolle er gemeinsam mit Kiews Bürgermeister Klitschko einen Plan zum Wiederaufbau der Bunker entwickeln. Das schrieb Kamyschin am Freitag auf Twitter. In der Ukraine gibt es neben großen Schutzräumen wie U‑Bahnstationen auch viele kleine Bunker in Wohnhäusern oder Kliniken. Vor allem diese wiesen zuletzt Mängel auf.
Verschlossener Bunker: Behörden leitet Strafverfahren ein
Auch Klitschko selbst habe am Freitag mehrere Bunker unangekündigt inspiziert, über die sich Bürgerinnen und Bürger zuvor beschwert hatten. „Wenn die dafür zuständigen Bezirksvorsteher keine ordnungsgemäße Arbeit organisieren können – für die sie Gelder erhalten haben – muss eben der Bürgermeister reisen“, schrieb der Ukrainer auf Telegram. Darüber hinaus rief er Ukrainerinnen und Ukrainer auf, den Zustand der Notunterkünfte festzuhalten und über eine digitale Plattform zu melden. „Kontrollgruppen werden schnell reagieren und wir werden die Situation korrigieren“, versprach Klitschko.
Indes berichteten Medien in Kiew am Freitag, dass gegen vier Verantwortliche wegen des verschlossenen Zugangs zu einem Bunker einer medizinischen Einrichtung Strafverfahren eingeleitet worden seien. Die Staatsanwaltschaft von Kiew teilte mit, dass gemeinsam mit der Polizei der Zustand der Bombenschutzbunker überprüft werde. Geprüft werde auch, ob womöglich im Zuge des Krieges bereitgestellte Gelder zur Reparatur der Schutzräume veruntreut worden seien.
RND/dpa/hyd