Zehn Antworten zum Taiwan-Konflikt
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Taipeh, 7. Oktober 2021: Ein Militärhubschrauber zieht eine riesige Taiwan-Flagge hinter sich her und fliegt aus Anlass der Feierlichkeiten des Nationalfeiertags am Hochhaus „Taipei 101“ vorbei.
© Quelle: Daniel Ceng Shou-Yi/ZUMA Press W
1. Wie kam es eigentlich zum Taiwan-Konflikt?
Taipeh. Bereits seit Jahrzehnten droht China mit einer militärischen Invasion der Insel. Daran sind Taiwan und der Rest der Welt längst gewöhnt. Der Schwebezustand dauert schon seit dem Jahr 1949 an.
Peking sieht die Sache so: Taiwan hat sich nach dem Chinesischen Bürgerkrieg vom Rest Chinas abgespalten. Die Insel sei also eine abtrünnige Provinz, die man früher oder später wieder eingliedern werde. Ziel sei, betont Chinas Staatschef Xi, „die Vollendung der staatlichen Einheit“. Insoweit kann man sogar Parallelen zur deutschen Geschichte sehen. Allerdings schließt Xi die Anwendung militärischer Gewalt zum Zweck dieser Wiedervereinigung nicht aus, sondern droht ausdrücklich damit.
Taiwan hat seinen eigenen Blick auf die Dinge. Das politische Auseinanderfallen von Insel und Festland sei, klarer Fall, eine Folge des Bürgerkriegs. Damals hatten sich die antikommunistischen Truppen auf die Insel zurückgezogen. Ihr Chef, Chiang Kai-Shek, hielt bis zu seinem Tod 1975 an einem Machtanspruch auf ganz China fest.
Für die heutige Führung in Taiwan folgt daraus die Haltung: Es steht unentschieden. Wir können gern mit Peking reden, am Ende sogar über eine Wiedervereinigung. Aber eben nur auf Augenhöhe. Keinesfalls sei, sagt Taiwan, Gewaltanwendung akzeptabel. Und keinesfalls werde Taiwan seinen eigenen Weg, seine Freiheit und seine Demokratie aufgeben.
Für diese wackere Haltung gegenüber dem Giganten China bekommt das kleine Taiwan derzeit mehr Sympathie als in früheren Jahren: in den USA, in Europa, aber auch quer durch Asien.
2. Woher kommt die aktuelle Aufregung?
China will nicht hinnehmen, dass die Chefin des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, Taiwan einen Besuch abstattet. Chinas Außenamtssprecher droht: „Wenn die US-Seite auf diesem Besuch besteht, wird China entschlossene und starke Maßnahmen ergreifen, um seine Souveränität und territoriale Integrität zu schützen.“ Einen Termin für die Reise Pelosis gibt es noch nicht. Ein erster Anlauf im Frühjahr war wegen Corona verschoben worden.
Im Westen finden viele Pekings Tonart übertrieben und verdächtig zugleich: Sucht man in China bereits einen Vorwand für eine Eskalation?
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Ein Termin für ihre Taiwan-Reise steht noch nicht fest - doch die Unruhe in Peking ist bereits enorm: Nancy Pelosi, Chefin des US-Repräsentantenhauses.
© Quelle: IMAGO/MediaPunch
Wie alle westlichen Staaten halten sich auch die USA prinzipiell an die Ein-China-Politik, wonach die Regierung offizielle diplomatische Beziehungen nur zu Peking unterhält. Dies ist Ausfluss einer wirtschaftlich begründeten Realpolitik mit Blick auf das sehr viel größere und bedeutendere China. In Taipeh gibt es auch aus EU-Staaten nur „Vertretungen“, keine Botschaften. Auf Staatsbesuche durch Regierungschefs wird verzichtet. Parlamentarier vieler Staaten aber besuchen regelmäßig Taiwan, ohne dass China bislang die Fassung verlor.
Pelosi ist Parlamentarierin und bietet als solche eigentlich wenig Grund zur Aufregung. Die Sprecherin des US-Repräsentantenhauses hat allerdings nach der amerikanischen Verfassung eine besondere Stellung: Nach einem Ausfall von Präsident Joe Biden und Vizepräsidentin Kamala Harris durch Krankheit oder Tod ginge die Befehls- und Kommandogewalt auf sie als Dritte über. Will China wegen dieser rein theoretischen Möglichkeit Pelosi anders behandeln als andere Parlamentarier? Chinas Außenminister Wang Yi ging auf Details nicht ein, unterstrich aber das Dramatische der aktuellen Debatte: Pelosis Besuch in Taiwan, warnte er, wäre „die Überschreitung einer roten Linie“.
Die politische Szene in Peking steigert sich mit Blick auf Pelosi seit Wochen in immer neue krude Szenarien hinein. Der Westen müsse „mit etwas Schockierendem“ rechnen, orakeln die Staatsmedien, eine gute Idee sei es, eine „Flugverbotszone über Taiwan“ einzurichten. Ein langjähriger Kommentator der staatlich gelenkten Zeitung „Global Times“ schlug vor, dass chinesische Kampfflugzeuge Pelosi zum Flughafen in Taipeh eskortieren – was auf eine Verletzung des taiwanischen Luftraums durch China hinausliefe.
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"Wenn sie fliegt, werden wir das Nötige tun, um ihr eine sichere Reise zu garantieren", sagt General Mark Milley, Vorsitzender der Joint Chiefs, über den möglichen Besuch Nancy Pelosis in Taiwan.
© Quelle: Alex Brandon/AP/dpa
Das amerikanische Militär indessen kontert kühl. Man wisse nicht, ob und wann Pelosi fliegt, sagte US-Stabschef Mark Milley bei einer Visite in Sydney vor Journalisten. Wenn sie aber fliege, „werden wir das Nötige tun, um ihr eine sichere Reise zu garantieren“. Mehr, fügte Milley hinzu, wolle er jetzt nicht sagen.
3. Warum war es jahrzehntelang ruhig?
Lange Zeit hatten sich China, Taiwan und auch der Rest der Welt mit dem Schwebezustand einigermaßen eingerichtet. Peking setzte zwar durch, dass es in internationalen Organisationen allein für China spricht. Auch stellte es den Rest der Welt vor die Wahl, entweder zu Peking oder zu Taipeh offizielle diplomatische Beziehungen zu pflegen.
Fast die gesamte Staatenwelt entschied sich seufzend für Peking: Wer 1,4 Milliarden Menschen vertritt, hat nun mal mehr Gewicht als eine Regierung, die nur für 23 Millionen spricht.
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Weltmarktführer bei Halbleitern: TSMC, die Taiwan Semiconductor Manufacturing Company.
© Quelle: TSMC
Doch es blieb immerhin friedlich. In Taiwan führte die Verbindung von Freiheit und chinesischem Fleiß zu einem weltweit bestaunten Wirtschaftswunder. Bei den – derzeit gerade extrem begehrten – Halbleitern etwa ist die Firma TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company) Weltmarktführer. Betrachtet man Taiwans Kaufkraft und seine Devisenreserven, müsste man es eigentlich zum G20-Gipfel einladen, es ist eines der wichtigsten Industrieländer auf dem Globus.
Sogar auf dem chinesischen Festland gehörte Taiwan bald schon zu den wichtigsten Investoren. Dies ließ zeitweise viele Beobachter hoffen, der Taiwan-Konflikt werde sich vielleicht im Laufe der Jahrzehnte im Zuge einer wie auch immer gearteten Liberalisierung Chinas in Luft auflösen.
4. Was will Xi Jinping?
Alle Liberalisierungsfantasien mit Blick auf China haben sich aber mittlerweile erledigt. Zu Zeiten der Präsidenten Jiang Zemin (1993–2003) und Hu Jintao (2003–2013) mochte es dafür noch Anhaltspunkte geben. Xi Jinping jedoch, seit 2013 Chinas Staatschef, ließ nach und nach alle Hoffnungen dieser Art platzen.
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Seit 2013 Staatschef von China: Xi Jinping, hier während eine Videobotschaft an die Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York.
© Quelle: Bebeto Matthews/UN Web TV/dpa
Für Xi bedeutet die Modernisierung Chinas nicht zuletzt die Modernisierung von Massenüberwachung. Er regiert mit wachsender Autorität, setzt dabei immer stärker einen bizarren Personenkult durch und reagiert inzwischen allergisch auf jede Form von Infragestellung seiner Diktatur:
- In der Region Xinjiang lässt Xi massenhaft regimekritische Moslems in Umerziehungslagern verschwinden.
- Einen Architekten des Lagersystems von Xinjiang hat er jüngst zum neuen Pateichef in der Region Tibet gemacht, wo nun ebenfalls die Repression noch gesteigert wird.
- Im einst freien Hongkong zieht neuerdings schon das vollkommen gewaltfreie Hochhalten eines Zettels mit der Aufschrift „Free Hongkong“ lange Haftstrafen nach sich.
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Demonstrieren verboten: Eine Aktivistin, die im Juli in Hongkong mit einer britischen Flagge hantierte, wurde prompt festgenommen.
© Quelle: Uncredited/AP/dpa
Parallel zur Repression nach innen wächst unter Xi die Aggression nach außen. Häufiger als je zuvor drangen schon im vorigen Jahr chinesische Kampfflugzeuge in Taiwans Luftverteidigungszone (Air Defense Identification Zone, ADIZ) ein, ohne sich zu identifizieren.
Mitunter wurden 56 chinesische Maschinen in Taiwans ADIZ registriert, darunter schwere Bomber. Noch nie war ein so großes Geschwader am Nervenkrieg beteiligt. Neu war auch, dass die taiwanische Flugabwehr erstmals über zehn Tage hinweg ununterbrochen getestet wurde.
Wird aus diesen Kriegsspielen bald Ernst? Westliche Experten in Regierungen und Geheimdiensten halten es für möglich, dass Xi in der Tat noch in seiner eigenen Amtszeit die von ihm immer wieder beschworene Einheit Chinas durchsetzen will: mit Gewalt.
Xi, heißt es in manchen westlichen Analysen, glaube, er müsse diesen Schritt bald gehen, denn noch sei China stark. Schon in einigen Jahren könne das Land durch eine Mixtur aus bereits absehbaren ökonomischen und demografischen Krisen wieder von innen her geschwächt sein.
5. Würden die USA Taiwan zu Hilfe kommen?
Das ist und bleibt unklar – und genau diese Unklarheit („strategic ambiguity“) ist seit Jahrzehnten von Washington politisch gewollt.
Eine Verpflichtung zum Beistand im Fall eines Angriffs wie nach den Nato-Verträgen gibt es im Fall Taiwans für die USA nicht. Eingreifen oder Passivität: Beides bliebe eine rein politische Ermessensentscheidung des Präsidenten.
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Die Rhetorik wird rauer, die prinzipielle Unklarheit aber bleibt: US-Präsident Joe Biden.
© Quelle: imago images/i Images
Dass alle Optionen auf dem Tisch liegen, unterstrich Biden, indem er schon im vorigen Jahr in einer extrem ungewöhnlichen Geste gleich zwei Flugzeugträger gleichzeitig ins Südchinesische Meer entsandte, beide umkreist von amerikanischen U-Booten, Kampfbombern und Aufklärern.
In einem Interview mit dem Fernsehsender CNN stellte Biden am 21. Oktober mit erstaunlich deutlichen Worten in Aussicht, dass die USA Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs verteidigen würden: „Wir haben eine Verpflichtung, dies zu tun.“
Allerdings betonten Sprecher des Weißen Hauses gleich anschließend, prinzipiell habe sich an der amerikanischen Politik der strategischen Zweideutigkeit gegenüber Taiwan nichts geändert.
Die gewollte Unklarheit soll zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Erstens soll Peking von einem Angriff auf Taiwan abgehalten werden: Vielleicht greifen die USA ja am Ende doch massiv ein. Zweitens soll Taiwan dazu gebracht werden, sich bitte soweit wie möglich selbst um die eigene Verteidigung zu kümmern.
Auch wenn Biden beim Thema Taiwan in der gegenwärtigen Phase schärfer klingt als alle früheren US-Präsidenten: Das Ziel der amerikanischen Taiwan-Politik ist und bleibt es, diesen zwar unklaren, aber für alle Seiten vorteilhaften Zustand möglichst durch immer weitere Jahrzehnte hindurch zu schleppen.
Wenn China glaubt, für eine Invasion Taiwans einen zu hohen Preis zahlen zu müssen und deshalb darauf verzichtet, ist aus Sicht der USA das strategische Ziel erreicht: Frieden durch Abschreckung.
6. Könnte Taiwan auch allein China militärisch bremsen?
Ja. Zwar wird niemand auf Dauer ein Volk von 1,4 Milliarden Menschen daran hindern, eine Insel mit 23 Millionen Einwohnern zu erobern und zu besetzen. Die Opfer, die China dafür bringen müsste – militärisch und ökonomisch – könnten jedoch gigantisch sein und die Volksrepublik in eine tiefe Krise führen.
China hat in den vergangenen 20 Jahren viel Geld in amphibische Angriffstechniken und auch in Kampfhubschrauber investiert. Beeindruckende Landemanöver auf der chinesischen Seite der Taiwanstraße zeigten erst in den jüngsten Tagen wieder, wie weit das chinesische Militär technisch mittlerweile gekommen ist.
Diverse militärische Unwägbarkeiten aber könnten Peking trotz allem bremsen, ganz unabhängig vom Eingreifen der USA.
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Gut zu verteidigen, schwer anzugreifen: In vielen Bereichen wie hier im Osten der Insel sind die Berge hoch und die Strände eng.
© Quelle: Wikipedia / Fred Hsu (CC BY-SA 3.0)
Mit seinen engen Stränden und seinen hohen Bergen ist und bleibt Taiwan prinzipiell gut zu verteidigen und schwer anzugreifen. Die taiwanische Luftwaffe ist auf dem neuesten Stand. Auch auf See hätten chinesische Angreifer mit vernichtenden Gegenschlägen zu rechnen, durch taiwanische U-Boote, Raketen und Drohnen.
Gleichzeitig müsste sich China im eigenen Hinterland auf taiwanische Cyberattacken und elektromagnetische Störmanöver einrichten, die seine Industriezentren unbrauchbar machen könnten. Die Folge wären ein ökonomisches und schnell wohl auch ein soziales Chaos. Beides könnte den von Xi konstruierten Überwachungsstaat ins Wanken bringen und eine zentrale Verheißung Pekings zerstören: Stabilität.
7. Wie könnte Chinas Attacke konkret aussehen?
In China dominiert seit Jahrtausenden eine Denkschule, die den Sieg ohne Krieg empfiehlt. Schon 500 vor Christus lehrte der General und Philosoph Sun Tsi: „Die größte Leistung besteht darin, den Widerstand des Feindes ohne einen Kampf zu brechen.“
Bezogen auf Taiwan könnte dies heißen, dass Peking der Regierung in Taipeh eines Tages eine Note zustellt, in der es Bedingungen „für eine friedliche Wiedervereinigung“ entwirft, die die Regierung bitte bis Monatsende unterschreiben soll – da anderenfalls der Krieg um Taiwan beginne.
Peking hofft darauf, dass neben Russland große Teile der Weltöffentlichkeit in einem solchen Fall Taipeh empfehlen würden, im Zweifel lieber auf die Freiheit als auf den Frieden zu verzichten.
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Sieg ohne Kampf: In seinem aus Bambus gefertigten Buch „Die Kunst des Krieges“ stellte der chinesische General und Philosoph Sun Tzu bereits 500 vor Christus strategische Überlegungen an, die heute wieder aktuell werden könnten.
© Quelle: Wikipedia CC BY 2.0
Taiwans Premierministerin Tsai Ing-wen scheint mehrdimensionale Szenarien dieser Art bereits zu erahnen. Als Xi im Oktober wieder einmal von Wiedervereinigung sprach, konterte sie: „Niemand wird uns zwingen, den von China eingeschlagenen Weg zu akzeptieren, der weder Freiheit noch Demokratie bietet.“
8. Wie positioniert sich Japan im Taiwan-Konflikt?
Im nahen Japan wird die wachsende Breitbeinigkeit Chinas mit zunehmender Sorge gesehen. Verteidigungsminister Nobuo Kishi sagte dem US-Sender CNN Mitte September 2021 in einem Interview, dass „das, was in Taiwan passiert, direkt mit Japan verbunden ist“.
Offenbar fürchten viele Japaner, dass sie nach einer möglichen Invasion Taiwans die Nächsten sein könnten, deren Dasein als demokratische Inselgesellschaft in Gefahr geraten könnte. Dieser Eindruck wurde noch verstärkt, als Ende Oktober chinesische und russische Kriegsschiffe in einer ungewöhnlichen, gemeinsamen Marineübung Japan einkreisten.
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An der Seite Taiwans: Japans Verteidigungsminister Nuobo Kishi zu Gast bei Präsidentin Tsai Ing-wen im Jahr 2020.
© Quelle: Handout
Unter Militärstrategen gelten die jüngsten Drohgebärden gegenüber Japan als strategisches Eigentor. Tokios Verteidigungsminister Kishi blickt mittlerweile mit einem Misstrauen nach Peking, das weltweit nirgends überboten wird.
Die Rüstungsausgaben Japans will Kishi verdoppeln, unter anderem für Raketen, per Radar unerkennbare Kampfflugzeuge sowie andere neue High-Tech-Waffen. Bei den künftigen Anschaffungen Japans geht es nicht mehr nur um Verteidigung im Nahbereich.
Pech für China: Kishi pflegte, schon bevor er in Tokio Verteidigungsminister wurde, sehr gute persönliche Beziehungen zu Taiwans Präsidentin Tsai Ing-wen.
9. Wie sortieren sich die Europäer?
Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte in den vergangenen Jahren hinter den Kulissen ihre Amtskollegen stets davor gewarnt, sich nur ja nicht in den wachsenden Konflikt zwischen den USA und China hineinziehen zu lassen. Dies allerdings wird jetzt von Woche zu Woche schwerer – auch Kanzler Olaf Scholz spürt dies bereits.
Großbritannien, nicht mehr in der EU, geht neuerdings an der Seite der USA und Australiens im neu gegründeten Dreierbündnis Aukus (Australia, UK, US) einen eigenen Weg: Die drei Mächte haben Peking wissen lassen, sie stünden einander gegenseitig im Fall eines Konflikts mit China bei und wollten sich von Xi – weder politisch noch ökonomisch – irgendwie unter Druck setzen lassen. Alle drei Staaten modernisieren jetzt ihre Marine mit einem nie da gewesenen Milliardenaufwand.
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Wegen seiner Kritik an Menschenrechtsverletzungen in China wurde er im März dieses Jahres von der Regierung in Peking mit einem Einreiseverbot bestraft: Reinhard Bütikofer, seit 2009 ein überparteilich hoch angesehener Außenpolitiker der Grünen im Europaparlament.
© Quelle: dpa
Die EU muss ihre Linie noch finden. Neuerdings zeigen sich kleine EU-Staaten ungewöhnlich aufmüpfig gegenüber China. Tschechien etwa empfing trotz lautstarker Proteste aus Peking eine große Delegation aus Taiwan. Litauen befürwortete sogar, dass seine Taiwan-Vertretung auch Taiwan-Vertretung heißen darf – in allen anderen EU-Staaten, auch in Berlin, dürfen die Taiwan-Vertretungen aus Sorge vor chinesischem Zorn nur als „Taipeh“-Vertretungen auftreten. Peking reagierte mit voller Wucht: Litauen darf kein Produkt mehr nach China liefern. Peking will sogar durchsetzen, dass Produkte mit Komponenten, die in Litauen gefertigt wurden, nicht mehr auf den chinesischen Markt kommen - wodurch die deutsche Conti AG unter Druck geriet.
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Im europäischen Parlament gibt es unterdessen Bestrebungen, generell deutlicher als bisher dem demokratischen Taiwan den Rücken zu stärken. So unterstützen die Grünen unter Führung ihres China-Experten Reinhard Bütikofer das Anliegen von US-Außenminister Antony Blinken, Taiwan generell wieder stärker auf die internationale Bühne zu holen.
Blinken hatte die Mitglieder der Vereinten Nationen aufgerufen, „eine robuste, bedeutsame Beteiligung von Taiwan im UN-System und in der internationalen Gemeinschaft zu unterstützen“. Taiwan sei eine „demokratische Erfolgsgeschichte“.
10. Ist Taiwan tatsächlich eine Demokratie?
Ja. Taiwan ist nach dem jüngsten Demokratieindex der Economist Intelligence Unit sogar das demokratischste Land in Asien und schneidet damit besser ab als etwa Japan und Südkorea. Weltweit steht Taiwan auf Platz 11 der dreistelligen Liste und lässt damit zum Beispiel Osteuropa deutlich hinter sich.
Sogar Deutschland (Platz 14) liegt einen Tick niedriger. Das zensurfreie Internet, die Demonstrations- und Pressefreiheit wie auch die Freiheit der LGBTQ-Bewegung in Taiwan gelten als weltweit unübertroffen.
Taiwan führt vor, dass chinesisch zu sein und liberal zu sein keine Widersprüche sind. Genau darin liegt das für den Autokraten Xi Unerträgliche an Taiwan.