„Kriegserklärung an den Westen“: Deutsche Nachrichtendienste warnen vor Russland
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Standen in der öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums Rede und Antwort: Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang, MAD-Präsidentin Martina Rosenberg und BND-Präsident Bruno Kahl (von links nach rechts).
© Quelle: IMAGO/Mike Schmidt
Berlin. Spionage, politische Morde, Atomwaffen – es sind düstere Botschaften und Szenarien, die die Spitzen der drei Nachrichtendienste des Bundes am Montagvormittag zu verkünden hatten. Die Präsidenten des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) und des Bundesnachrichtendienstes (BND) sowie die Präsidentin des Bundesamts für Militärischen Abschirmdienst (MAD) stellten sich in Berlin der öffentlichen Anhörung des Parlamentarischen Kontrollgremiums (PKGr) des Deutschen Bundestags.
Russlands Krieg gegen die Ukraine war dabei das vorherrschende Thema. Putin überziehe das Land mit einem „brutalen Vernichtungskrieg“, sagte BND-Chef Bruno Kahl. Dieser Krieg gelte aber nicht der Ukraine allein. Vielmehr sei er eine „Kriegserklärung“ an die gesamte freiheitlich demokratische Welt, erklärte Kahl. Düster ist auch die Prognose des BND-Präsidenten: Nahezu sicher würden die Kampfhandlungen im nächsten Jahr fortgeführt. Beide Kriegsparteien suchten nach wie vor die Entscheidung auf dem Schlachtfeld und der Kreml habe nicht die Absicht einer Verhandlungslösung.
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Atomwaffeneinsatz durch Russland nicht ausgeschlossen
Er halte auch den Einsatz taktischer Atomwaffen durch Russland in der Ukraine für denkbar, sagte Kahl. Der BND habe jedoch keine Erkenntnisse, dass der Kreml das aktuell plane. Es gebe deshalb keinen Grund für Panik.
Auch Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang warnte eindringlich. Aus einer schwelenden Systemrivalität zwischen Russland und dem Westen sei ein offener Kampf geworden, erklärte er. Dadurch verschärften sich auch die russischen Spionageaktivitäten in Deutschland weiter. Er rechne damit, dass russische Spione und Spioninnen in Deutschland künftig noch konspirativer vorgehen, sagte Haldenwang. Außerdem müsse von einer Gefährdung für im Exil lebende Oppositionelle ausgegangen werden – bis hin zu politischen Morden. Erst 2019 war im Kleinen Tiergarten in Berlin der Georgier Selimchan Changoschwili ermordet worden. Der Staatsschutzsenat des Berliner Kammergerichts sah es als erwiesen an, dass der Mörder im Auftrag des russischen Staates handelte.
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© Quelle: Reuters
Deutsche Politiker im Auftrag des Kreml?
Darüber hinaus spielten auch Desinformation und Propaganda eine wichtige Rolle, sagte Haldenwang. Russland nutze dafür jedes zur Verfügung stehende Mittel. Neben Staatsmedien, Trollfabriken und Influencern und Influencerinnen nannte Haldenwang auch deutsche Politiker und Politikerinnen: In der Vergangenheit seien Politiker und Politikerinnen entsprechender Parteien nach Moskau gereist „und sicherlich nicht mit leeren Händen nach Hause gekommen“, sagte der Verfassungsschutzchef, ohne ins Detail zu gehen.
Auch der Militärische Abschirmdienst, der in den vergangenen Jahren besonders mit Fällen von Rechtsextremismus in der Bundeswehr zu kämpfen hatte, widmet sich wieder verstärkt den Bereichen Spionageabwehr und Einsatzabschirmung. Für diesen Zweck sei der Bundeswehrnachrichtendienst vor 66 Jahren immerhin gegründet worden, erklärte MAD-Präsidentin Martina Rosenberg. Dann seien jedoch immer mehr neue Tätigkeitsfelder hinzugekommen. Insbesondere der russische Militärgeheimdienst GRU interessiere sich momentan dafür, was im Geschäftsbereich des Verteidigungsministeriums geschieht, sagte Rosenberg – etwa für Rüstungslieferungen, militärische Forschung oder die Zukunftsplanung der Bundeswehr.
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Die öffentliche Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums fand am Montag zum sechsten Mal statt. Einmal im Jahr stehen die Spitzen von BND, BfV und MAD im Bundestag vor Publikum und den Kameras des Parlamentsfernsehens Rede und Antwort. Sonst finden die Befragungen durch die 13 Mitglieder des PKGr im Geheimen statt. In jeder Sitzungswoche des Parlaments müssen die Nachrichtendienste den Abgeordneten berichten.
Die jährlich stattfindenden öffentlichen Anhörungen sollen dagegen für mehr Transparenz für die Bürgerinnen und Bürger sorgen. Geheimnisse werden dabei nicht verraten. Die Abgeordneten erfahren auch nichts, was sie nicht schon hinter verschlossenen Türen gehört haben. Sie können aber den Blick der Öffentlichkeit auf jene Themen lenken, die ihnen am Herzen liegen.
Zwischen Transparenz und Publicity
Für die Chefs und die Chefin der Nachrichtendienste ist die Anhörung auch eine Chance, sich selbst und das eigene Haus in einem guten Licht zu präsentieren. Diese Chance ergriff am Montag vor allem BND-Chef Kahl. Der Auslandsnachrichtendienst kann gute Publicity dringend gebrauchen: Zu gut ist das Versagen des Dienstes vor dem desaströsen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan in Erinnerung. Für Schlagzeilen sorgte Kahl auch, als er im Februar aus der Ukraine evakuiert werden musste. Er befand sich dort noch zu Gesprächen mit seinen ukrainischen Kollegen und Kolleginnen, als das russische Militär schon mit seinem Einmarsch begann.
Dass es zum Angriffskrieg gegen die Ukraine kam, habe den BND jedoch keineswegs überrascht, sagte Kahl nun. „Es ist eingetreten, was der BND über Jahre berichtet hat“, erklärte er. Putin werde – wie zuvor schon in Tschetschenien, Georgien, Syrien, auf der Krim und im Donbass – auch weiterhin Gewalt anwenden, um seine politischen Ziele durchzusetzen. In der Politik gebe es jedoch die Neigung, auf eine positive Wendung zu hoffen, sagte Kahl. Bestimmte Warnungen seines Dienstes seien deshalb in der Vergangenheit verhallt.
Gewarnt haben Kahl und Haldenwang – in der Vergangenheit wie auch an diesem Montag – nicht nur vor Russland, sondern auch vor dem wachsenden Einfluss Chinas. Die asiatische Supermacht gehört längst zu den größten Betreibern von Spionageoperationen in Deutschland. In Nachrichtendienstkreisen heiße es immer wieder: „Russland ist der Sturm, China ist der Klimawandel“, sagte Haldenwang. Auf diesen Klimawandel müsse man sich in den kommenden Jahren einstellen.