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Lambrecht: „Setzen darauf, dass sich Kinder und Jugendliche freiwillig impfen lassen“

Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) ist nach dem Rücktritt von Franziska Giffey jetzt auch für das Familienministerium zuständig.

Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) ist nach dem Rücktritt von Franziska Giffey jetzt auch für das Familienministerium zuständig.

Berlin. Frau Ministerin, wegen des Rückzugs von Franziska Giffey sollen Sie bis zur Bundestagswahl neben dem Justiz- auch das Familienministerium leiten. Ist da so kurz vor der Wahl überhaupt noch was zu tun, oder ist das nur symbolisch?

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Ich habe ganz großen Respekt vor Franziska Giffey, die mit dieser konsequenten Entscheidung in vorbildlicher Weise Haltung und Rückgrat zeigt. Sie hat sich in ihrer Amtszeit beharrlich für die Interessen von Kindern, Jugendlichen und Familien eingesetzt und ganz viel für sie erreicht. Gerade in der Corona-Pandemie gehören Kinder und Familien zu den Hauptleidtragenden, darauf hat sie immer hingewiesen.

Deswegen ist es so wichtig, dass wir jetzt zügig das Aufholpaket für Kinder und Jugendliche umsetzen, um sie besonders zu fördern und zu unterstützen. Hierfür stehen 2 Milliarden Euro bereit. Es gibt aber auch zahlreiche andere Projekte, die sowohl das Justiz- als auch das Familienministerium betreffen und die noch zum Abschluss gebracht werden müssen: Kinderrechte ins Grundgesetz, mehr Frauen in Führungspositionen, das Demokratiefördergesetz, um nur einige zu nennen. Dafür werde ich mich mit Leidenschaft und mit aller Kraft einsetzen.

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Als Justizministerin haben Sie sich schon früh für Lockerungen der Corona-Auflagen für Geimpfte und Genesene eingesetzt. Die sind nun in Kraft – und Sie fordern bereits baldige „Veränderungen für alle“. Dabei mahnt das Kanzleramt, noch sei die Inzidenz zu hoch. Wecken Sie nicht erneut zu früh Hoffnungen?

Wir alle müssen verantwortungsbewusst mit dem Erfolg umgehen, den wir gemeinsam mühsam erarbeitet haben. Aber im Rechtsstaat bedarf die Einschränkung von Grundrechten einer guten Begründung. Wenn immer mehr Menschen geimpft sind und die Inzidenzzahlen sinken, ist es ein Gebot der Verhältnismäßigkeit, Einschränkungen der Grundrechte zurück­zu­nehmen – mit Augenmaß, aber mit dem Ziel von möglichst viel Normalität. Mein Eindruck ist, dass die Länder bei den Lockerungen anhand der örtlichen Inzidenzwerte sehr verantwortungsvoll handeln.

Der Ethikrat warnt vor Konflikten in der Gesellschaft, wenn Geimpfte von Corona-Auflagen ausgenommen sind. Jüngere seien doppelt benachteiligt: keine Impfung, dafür Beschränkungen. Die Politik müsse diese „ungerechte Situation“ gestalten.

Die Grundrechte sind Individualrechte. Sie stehen jeder einzelnen Bürgerin und jedem einzelnen Bürger zu. Der Staat darf sie nur in Ausnahmefällen einschränken – zu denen der Schutz von Leben und Gesundheit zählt. Aber wenn von Geimpften und Genesenen keine Gefahr ausgeht, darf man in ihre Grundrechte nicht mehr eingreifen. Die Frage ist dann nicht, ob alle geimpft oder genesen sind, damit die Einschränkungen auch gerecht verteilt sind. Nein, es geht individuell um das Grund­recht des Einzelnen.

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Solidarität spielt dann keine Rolle?

Es geht hier ja um den absoluten Kernbereich der privaten Lebensführung: Darf ich meine Familie besuchen? Müssen alte Menschen im Pflegeheim allein im Zimmer essen? Es entspricht nicht meinem Verständnis von Solidarität, vollständig Geimpften und Genesenen diese persönlichen Freiheiten zu verweigern. Für viele von ihnen war die Pandemiezeit besonders hart. Alte Menschen zum Beispiel waren häufig besonders isoliert und der konkreten Gefahr einer schweren Erkrankung ausgesetzt. Medizinisches Personal ist trotz großer Infektionsgefahr weiter zur Arbeit gegangen. Unser Ziel muss es jetzt sein, für alle möglichst viel Normalität zu erreichen.

Aber warum haben dann Genesene nicht schon vor einem Jahr ihre Grundrechte zurückbekommen?

Weil wir vor einem Jahr noch nicht genug über diese Krankheit wussten. Wir wissen erst seit Ende März dieses Jahres aus einem RKI-Gutachten, dass von vollständig Geimpften und Genesenen nur noch eine minimale Gefahr für andere ausgehen kann. Hätten wir vor einem Jahr den Erkenntnisstand von heute gehabt, hätten wir vielleicht die eine oder andere Entscheidung anders getroffen.

Für Schulen und Kitas gibt es eine gesetzliche Masernimpfpflicht. Sollte es die auch für Corona geben, sobald es einen sicheren Impfstoff für Kinder gibt?

Nein. Wir setzen darauf, dass sich ausreichend Kinder und Jugendliche freiwillig impfen lassen, sobald dies möglich ist. Ich gehe davon aus, dass dies noch im Sommer der Fall sein wird. Im Gegensatz zu Corona ist bei Masern das Risiko schwerer Komplikationen und Langzeitfolgen bei kleinen Kindern besonders hoch, zudem sind Masern extrem ansteckend.

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Frau Ministerin, Sie sprechen an diesem Donnerstag auf einer Berliner Kundgebung gegen Antisemitismus. Kann man damit wirklich Antisemiten und Antisemitinnen beeinflussen?

Wer Jüdinnen und Juden angreift, der greift uns alle an. Wir dulden keine Angriffe auf Jüdinnen und Juden, Synagogen und jüdische Einrichtungen. Wir müssen allen, die diese menschenverachtende, gefährliche und kriminelle Hetze verbreiten, klarmachen, dass wir dies nicht hinnehmen und dass sie in diesem Land in der absoluten Minderheit sind.

Nach den antisemitischen Demonstrationen der vorigen Woche plant die Koalition die neue Strafvorschrift der „verhetzenden Beleidigung“, um Minderheiten besser zu schützen. 2020 gab es allein in Berlin durchschnittlich drei antisemitische Vorfälle am Tag – warum kommt die Verschärfung erst jetzt?

Mein Gesetzentwurf liegt schon seit mehreren Wochen auf dem Tisch und ist in der parlamentarischen Beratung. Und natürlich gehen wir schon länger intensiv gegen Judenhass vor. Zum Beispiel habe ich das Gesetz gegen Hasskriminalität und Rechtsextremismus auf den Weg gebracht. Antisemitische Motive haben wir damit klar als strafverschärfend im Straf­gesetz­buch benannt. Es ist unerträglich, dass der Raketenterror auf Israel zu antisemitischen Demonstrationen hier in Deutschland führt – und auch zu unsäglichen Angriffen auf Jüdinnen und Juden.

Welche weitere Rechtsverschärfung planen Sie?

Wir schließen die Lücke zwischen der „Beleidigung“, die sich immer auf eine konkrete Person bezieht, und der „Volks­verhetzung“, die öffentlich geäußert wird. Künftig sollen auch verhetzende Äußerungen strafbar sein, die direkt gegenüber Einzelnen geäußert werden. Unser Gesetzentwurf sieht dafür Geldstrafen und bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe vor. Er ist bereits im parlamentarischen Verfahren und kann in der nächsten Sitzungswoche verabschiedet werden. Ich werde engagiert dafür kämpfen, dass wir das noch in dieser Legislaturperiode schaffen.

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Der deutsch-jüdische Historiker Michael Wolffsohn sagte bereits vor drei Jahren: „Der muslimische Antisemitismus ist der gefährlichste.“ Wurde das in der deutschen Debatte wegen des alteingesessenen Antisemitismus vernachlässigt?

Wir müssen deutlich machen: Antisemitismus hat in diesem Land keinen Platz, egal, woher er kommt. Entscheidend sind klare Konsequenzen, wie sie die Gesetze aus meinem Haus vorsehen. Wir haben das furchtbare Attentat eines deutschen Rechtsterroristen auf die jüdische Synagoge in Halle erlebt, vor nicht mal zwei Jahren. Die Zahl rechtsextremer Übergriffe auf Juden ist stark gestiegen – eine Schande vor dem Hintergrund unserer Geschichte! Und jetzt erleben wir islamis­tischen Antisemitismus auf unseren Straßen, gegen den wir uns ebenfalls mit aller Kraft wenden müssen. Ganz wichtig ist dabei auch die Verbesserung der Prävention. Wir müssen die Initiativen stärken, die gegen Menschenverachtung und Ex­tre­mis­mus eintreten. Wir haben Eckpunkte für ein Demokratiefördergesetz erarbeitet, das die Grundlage wäre, Initiativen dauer­haft und verlässlich fördern zu können. Leider blockiert die Unionsfraktion das Gesetz. Ich werde mich mit aller Kraft weiter dafür einsetzen, dass dieses wichtige Gesetz noch kommt.

Das Gesetz zählt zu den 89 Maßnahmen, die der „Kabinettsausschuss gegen Rechtsextremismus und Rassismus“ nach den Morden von Hanau und Halle sowie an Walter Lübcke beschlossen hat. Dazu zählte auch, den Begriff „Rasse“ im Grundgesetz zu ersetzen und stattdessen Diskriminierung „aus rassistischen Gründen“ zu verbieten. Wann kommt die Grundgesetzänderung endlich?

Justiz- und Innenministerium, also die beiden Verfassungsressorts, haben sich auf diese Lösung verständigt. Wir wollen alle Menschen in Deutschland konsequent vor rassistischen Diskriminierungen schützen. Trotzdem wird das Thema seit Wochen nicht auf die Tagesordnung im Kabinett gesetzt, weil die Unionsfraktion sich weigert – und auch keine Diskussion darüber führen will.

Warum nicht?

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Es gibt keine offizielle Begründung, ja nicht einmal eine Debatte. Die Grundgesetzänderung würde zeigen, dass wir entschlossen gegen Ausgrenzung und Rassismus vorgehen. Ich höre, dass manche in der Unionsfraktion kein Problem mit dem Rassebegriff haben, andere sagen, der Ersatz lasse eine Lücke – was nicht stimmt. Darüber sollten wir im Parlament beraten, dort muss diese Diskussion geführt werden. Doch das wird blockiert.

Zu den 89 Beschlüssen zählt auch, die Antragsfrist für Ansprüche nach dem Antidiskriminierungsgesetz zu verlängern.

Genau. Wir wollen Menschen ein halbes Jahr Zeit geben, sich zu wehren, wenn ihnen aus rassistischen Gründen ein Mietvertrag für eine Wohnung verweigert wird oder sie bei der Jobsuche benachteiligt werden. Mein Gesetzentwurf dazu liegt vor, aber auch da verweigert sich die Unionsfraktion. Da frage ich mich schon, ob in der CDU/CSU noch miteinander geredet wird. Denn wir haben dieses Maßnahmenpaket gemeinsam im Kabinett beschlossen, jetzt geht es um die Umsetzung. Das macht die Zusammenarbeit sehr schwierig und wirft auch für andere Themen die Frage auf, ob die Union noch handlungs- und regierungsfähig ist.

Spielen Sie darauf an, dass auch Ihr Gesetz für Unternehmenssanktionen nicht vorankommt – also die Möglichkeit, Straftaten auch dann zu verfolgen, wenn sie aus einem Unternehmen heraus erfolgen?

Es gibt kein Thema, das im Koalitionsvertrag so glasklar ausbuchstabiert wurde. Wir brauchen das Gesetz, um Betrug und Korruption noch entschiedener zu bekämpfen. Mein Gesetzesentwurf wurde mit den Fraktionen abgestimmt und im Kabinett beschlossen. Trotzdem weigert sich die Unionsfraktion auch hier, das Thema im Bundestag auf die Tagesordnung zu setzen. Dabei verhält sich ja die absolute Mehrheit der Wirtschaft rechtstreu. Die wollen wir schützen. Die Unionsfraktion stellt sich vor die wenigen schwarzen Schafe – als hätte sie aus den Skandalen der letzten Jahre nichts gelernt. Ich bin darüber sehr verärgert und fassungslos angesichts dieses Vorgehens, im Koalitionsvertrag und im Kabinett Vereinbartes schlicht zu ignorieren.

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