Lauterbach lehnt Lockerungen ab: Sonst dritte Welle mit „Turbovirus“
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SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach warnt vor einer dritten Welle.
© Quelle: imago images/photothek
Berlin. Trotz sinkender Zahlen bei den Corona-Neuinfektionen sieht der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach baldige Lockerungen der staatlichen Beschränkungen sehr skeptisch. Grund sind die um sich greifenden, wahrscheinlich deutlich ansteckenderen Virusmutanten, wie der Mediziner auf Twitter schrieb.
In eigenen Berechnungen komme er zu dem Ergebnis, dass bei derzeitiger Ausbreitung der Mutanten die Fallzahlen nur noch bis Ende Februar sinken dürften, dann komme eine dritte Welle der Pandemie.
Die britische und südafrikanische Variante des Coronavirus gelten als ansteckender, auch in Deutschland sind sie aufgetaucht. Lauterbach schrieb, nach seiner Einschätzung hätten sie Stand heute einen Anteil von rund 20 Prozent.
Auch andere Experten hatten sich skeptisch geäußert, ob Lockerungen der Corona-Einschränkungen sinnvoll sind, auch wenn die Infektionszahlen hierzulande sinken.
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Somit sei die Entscheidung bei den Bund-Länder-Beratungen an diesem Mittwoch „extrem schwer“, schrieb Lauterbach: Die Bevölkerung erwarte Lockerungen, weil die Fallzahlen sinken. Epidemiologisch gesehen „müssten wir sogar verschärfen“, weil eine dritte Welle mit „Turbo-Virus“ drohe, warnte er. Zusätzlich gefährdeten Lockerungen den Impferfolg, weil bei einigen Mutanten Impfungen weniger gut wirkten.
Weiter schrieb Lauterbach: „Die politisch schlechteste Lösung wäre: Warten, bis die 3. Welle beginnt, weil dann die Bevölkerung reif für die schlechte Nachricht wäre. Das wäre falsch. Weil die verlorene Zeit nicht einholbar ist. Es bliebe nur Lockdown bis Ostern. Jetzt sind Mut und Transparenz gefragt.“
Weil und Müller für Lockdown-Verlängerung
Der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sprach sich für eine Verlängerung der Maßnahmen aus: “Ich gehe davon aus, dass wir uns am Mittwoch in einer Schlüsselfrage einig sein werden: Wir kommen nicht umhin, den Lockdown noch einmal zu verlängern. Das ist angesichts des immer noch hohen Infektionsgeschehens und der Mutationen zwingend”, sagte Weil der in Düsseldorf erscheinenden “Wirtschaftswoche”.
Man brauche zudem ein gemeinsames Konzept für Lockerungen: “An den Lockerungswettbewerb im vergangenen Jahr habe ich sehr unschöne Erinnerungen - eine Wiederholung wäre überaus schädlich.”
Der Berliner Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) fordert ebenfalls eine Verlängerung des Lockdowns. “Wenn wir jetzt zu schnell wieder alles öffnen, sind wir sofort wieder bei einer Inzidenz über 100, über 150 und beginnen alles von vorn, und das wäre unzumutbar”, sagte der Vorsitzende der Ministerpräsidentenkonferenz am Dienstag im Deutschlandfunk. Die Virus-Varianten hätten die Situation noch einmal verschärft. “Viele von uns sagen: Jetzt sehr besonnen bleiben und möglichst auch deutlich unter die 50 kommen wegen der Virus-Varianten.”
Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans warnte ebenfalls vor voreiligen Lockerungen. “Momentan sind die Zahlen für große Lockerungen nach wie vor zu hoch. Wir müssen dringend noch weiter runter mit den Neuinfektionen, um auch gegen die gefährlichen Virus-Mutanten gewappnet zu sein”, sagte der CDU-Politiker der “Rheinischen Post” (Dienstag). Es wäre “ein Fehler, jetzt einfach wieder zu öffnen, nur weil ein bestimmtes Datum erreicht ist.” Der aktuelle Lockdown würde ohne eine Verlängerung am 14. Februar auslaufen.
Am Mittwoch gehe es um einen Perspektivplan für die kommenden Monate, was bei welchem Infektionsgeschehen wieder möglich sein werde. “Darüber werden Bund und Länder gemeinsam sprechen”, sagte Hans.
Laschet: Kitas und Schulen “entscheidendes Thema”
Kitas und Schulen werden nach Worten des NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet (CDU) am Mittwoch das “entscheidende Thema” bei den Bund-Länder-Beratungen sein. Die Debatte über Kitas und Schulen sei im Kampf gegen die Corona-Pandemie “zu kurz gekommen”, sagte der CDU-Bundesvorsitzende am Dienstag in einer Sondersitzung des Landtags in Düsseldorf. Man könne so viele Tablets anschaffen wie man wolle: “Das Homeoffice für Kinder ist kein guter Lernort”, sagte Laschet. Die Schulen sind im bundesweiten Lockdown seit Wochen überwiegend geschlossen. Gelernt wird meist im Distanzunterricht.
Als Regierungschef tue er alles, “damit so schnell wie möglich Schulen und Geschäfte wieder offen sind”, sagte Laschet. Weitere Öffnungen seien derzeit nicht denkbar, sagte Laschet. Wichtig sei, dass bei den Gesprächen der Regierungschefs der Länder mit Kanzlerin Angela Merkel (CDU) am Mittwoch “Bundeseinheitlichkeit” erzielt werde. Er halte es aber nicht für klug, wenn sich 16 Ministerpräsidenten vorab in ihren Landtagen festlegten, sagte Laschet mit Blick auf mehrere Vorschläge aus den Ländern für Stufenpläne im Umgang mit der Pandemie.
Günther für Lockerungen bereits im Februar
Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hält Lockerungen noch im Februar für möglich. “Ich halte das auf jeden Fall für möglich und auch wünschenswert”, sagte Günther am Dienstag. “Unsere Erwartungshaltung geht in diese Richtung.” Ein Datum werde am Mittwoch bekanntgegeben. Vor dem Bund-Länder-Gipfel werde das Land keine Festlegungen machen.
Günther bekräftigte, dass sich die ersten, kurzfristigen Öffnungsschritte auf Schulen und Kitas beziehen sollen. Dies sei keine Frage des Ob, sondern des genauen Zeitpunkts. “Wir werden das sehr sorgsam tun.” Dies solle auch mit Tests von Lehrern und Erziehern verbunden werden. Wichtig seien bundesweit einheitliche Regelungen. Günther äußerte die Erwartung, dass sich Bund und Länder auf einen Perspektivplan dahingehend einigen werden, unter welchen Voraussetzungen Lockerungen möglich sein sollen.
Die gesunkenen Infektionszahlen gäben Hoffnung für die nächsten Wochen, sagte Günther.
Er betonte, künftige Lockerungen seien nicht in Stein gemeißelt. Man müsse auf Sicht fahren und bei wieder steigenden Zahlen zum Beispiel wegen sich ausbreitender Mutationen darauf reagieren. Auf die Frage, ob Schleswig-Holstein unter Umständen auch zu einem Alleingang bereit wäre, sagte Günther, das Land habe hohes Interesse an einem bundesweit verbindlichen Perspektivplan. Er verspüre auch Signale von Bund und Ländern, dazu kommen zu wollen.
Lindner fordert Öffnungsplan
FDP-Chef Christian Lindner forderte die Bundesregierung auf, Regeln für eine Öffnung von Handel und Bildungseinrichtungen vorzulegen. “Die Bundesregierung lässt jede Perspektive vermissen, wie sie gesellschaftliches Leben wieder öffnen möchte. Die nationale Kraftanstrengung darf nicht länger nur darin liegen, Bereiche von Wirtschaft und Gesellschaft möglichst lange geschlossen zu halten”, sagte Lindner der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
“Wir brauchen einen Stufenplan, der Transparenz und Planbarkeit schafft”, forderte Lindner. Die Bundesregierung könne sich “nicht aus der Verantwortung stehlen”. Notwendig sei ein bundesweiter Rahmen mit “Wenn-Dann-Regeln”, die je nach regionalem Infektionsgeschehen unterscheiden.
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Die Pandemie und wir
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Lindner verwies auf einen Entwurf der Landesregierung von Schleswig-Holstein, der mit Beteiligung seiner Partei erstellt wurde und nach den Worten Lindners “in die richtige Richtung weist”. Die FDP wollte noch am Dienstag in Berlin einen eigenen Entwurf für einen bundesweiten Stufenplan vorstellen, der ins Parlament eingebracht werden soll.
“Es geht nicht darum, sofort alles gleichzeitig zu öffnen. Aber ich bin mir sicher, dass erste Öffnungsschritte möglich wären - bei Kitas und Schulen zum Beispiel, aber auch bei Friseuren und im Handel”, sagte Lindner dazu. “In Regionen mit niedrigen Infektionszahlen wäre dabei mehr Öffnung machbar als in Hotspot-Gebieten. Wir brauchen auch intelligente Konzepte, zum Beispiel den Einsatz von Schnelltests zum Eigengebrauch oder Luftreiniger in öffentlichen Räumen.”
Dobrindt erwartet Orientierungspunkte für Lockerungen
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erwartet von der Bund-Länder-Beratung eine Perspektiventscheidung für mögliche Lockerungen von Corona-Schutzmaßnahmen. Es müsse erklärbare Orientierungspunkte geben, wie angesichts von weiter fallenden Infektionszahlen ein Lockerungsmechanismus aussehen könne, sagte Dobrindt am Dienstag in Berlin. Auf konkrete Zahlen unterhalb des von der Bundesregierung angestrebten Werts von 50 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner und Woche wollte er sich nicht festlegen.
Die Lage sei angesichts der Mutationen aus Großbritannien und Südafrika nicht so, dass zum 14. Februar Lockerungen umgesetzt werden könnten, sagte Dobrindt. Er sei auch gegen einen festen Stufenplan für Lockerungen, da dieser ein zu starres Korsett sei und nicht ausreichend Flexibilität ermögliche.
Dobrindt wiederholte seine Aussage, nicht die Schulen sollten bei Lockerungen zu Beginn höchste Priorität haben. Dort gebe es funktionierende Betreuungsangebote, zudem sei das Infektionsrisiko an den Schulen nach wie vor hoch. Vielmehr könnten körpernahe Dienstleistungen wie jene von Friseuren betrachtet werden. Zugleich forderte Dobrindt eine Auszahlung der Überbrückungshilfe 3 für die Unternehmen noch im Laufe des Monats.
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Die Linken-Vorsitzende Katja Kipping befürwortet angesichts neuer Corona-Mutationen eine strikte Eindämmungsstrategie. “Es gibt bereits eine Mutation, die gegen einen Impfstoff, den von Astrazeneca, immun ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis eine Mutation besteht, die gegen alle immun ist”, warnte sie am Dienstag auf Twitter. “Infektionszahlen müssen viel stärker nach unten. Richtung 0”, schrieb sie weiter.
Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen sprach sich für eine Verlängerung der Alltagsbeschränkungen ohne punktuelle Lockerungen aus. “Symbolpolitische Öffnungen wie bei Friseursalons wären ein Geschenk für das Virus”, sagte der Bundestagsabgeordnete und Arzt der Deutschen Presse-Agentur. “Wir sollten nicht den Fehler anderer Länder wiederholen, die nach zu schnellen Lockerungen einen Rückfall erlebt haben.” Die Virus-Mutationen ließen derzeit keinen Spielraum.
Nötig sei eine konsequente Durchsetzung der bestehenden Maßnahmen. “Je undisziplinierter wir werden, desto besser die Chancen für das Virus”, erläuterte Dahmen. Eine Verlängerung müsse aber auch mit einer Perspektive verbunden werden. “Wir können den Fahrplan für Lockerungen festlegen, aber noch nicht die Abfahrtszeiten.” Dafür brauche es einheitliche Maßstäbe und keine unhaltbaren Zeitpläne. “Ob wir lockern können oder nicht, sollten wir in einem einheitlichen Risikostufenschema und an einer Checkliste mit mehreren Kriterien festmachen.” Dies müssten Bund und Länder endlich vorlegen.
RND/dpa