Lidl-Parkplatz gegen Wohnzimmer: Dreyers beeindruckende Aufholjagd

Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz.

Malu Dreyer, die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz.

Mainz. Lidl-Parkplatz gegen Designersofa – müsste man den Landtagswahlkampf in Rheinland-Pfalz mit einem Gegensatzpaar beschreiben, wäre es dieses. Und anders, als man erwarten würde, steht das Sofa für die SPD und der Parkplatz für die CDU – genauer für die beiden Spitzenkandidaten Malu Dreyer und Christian Baldauf.

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Am Mittwochvormittag steht Baldauf auf besagtem Parkplatz in Bad Ems, einer 10.000-Einwohner-Stadt nahe Koblenz. Der CDU-Spitzenkandidat bemüht sich um Bürgerkontakt, was angesichts der geltenden Kontaktbeschränkungen kein ganz einfaches Unterfangen ist. Es fängt schon damit an, dass viele Menschen Baldauf nicht erkennen. Wie auch? Zwar hat er ein großes Plakat dabei, aber der 53-Jährige trägt wie alle anderen eine Schutzmaske. Er muss schon auf die meist vorbeieilenden Supermarktkunden zugehen und ihnen ein Fläschchen Desinfektionsmittel mit seinem Foto und Namen in die Hand drücken, bevor sie im Markt verschwinden. Manche kommen dann nach erledigtem Einkauf auf ihn zu.

Am Morgen war Baldauf schon bei Penny in Herschbach, am Mittag ist er noch bei Rewe in Nastätten. Von Mainz und wieder zurück sind das gut 250 Kilometer. Natürlich sei das ein mühsames Geschäft, gibt er zu, aber er sei schon froh, dass diese Form des Wahlkampfes jetzt wieder möglich sei. „Ich muss doch bekannt werden. Wenn alles nur digital läuft, ist das noch schwieriger.“

Dreyer sammelt Wein, Schnaps und Chips

Die Sorge um den Bekanntheitsgrad hat Malu Dreyer nicht. Auch die Supermarktparkplätze bleiben der Ministerpräsidentin weitgehend erspart. Dreyer führt den Wahlkampf hauptsächlich aus „ihrem Wohnzimmer“, einem so modern wie gemütlich eingerichtetem Fernsehstudio in der SPD-Parteizentrale. In der Mitte des Raumes steht das Designersofa, auf dem alle 52 Wahlkreiskandidaten der SPD für eine gute Stunde Platz nehmen. In lockerer Runde diskutieren sie dann mit der Ministerpräsidentin und einer jungen Moderatorin über Wahlkreis, Politik, Gott und die Welt.

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Die Wohnzimmeratmosphäre hat den großen Vorteil, dass selbst Kandidaten mit wenig Medienerfahrung locker werden. Regie, Ton und Technik im Nebenraum können sie nicht sehen. Jeder Kandidat bringt ein Geschenk aus seiner Region mit, weshalb sich hinter Dreyer Weinflaschen, regionale Lebensmittel und allerlei Kuriositäten stapeln. Selbst eine Fassdaube und eine Tüte Chips sind dabei.

Am Dienstagabend ist Landtagspräsident Hendrik Hering zu Gast. Aus dem heimatlichen Westerwald hat er eine versteinerte Maus dabei, handgemachte Schokolade und einen Pflaumenschnaps. „Der hat 38 Prozent“, sagt Hering. „In diese Richtung könnte sich das am Wahlsonntag ruhig bewegen.“ Großes Gelächter.

Gute Laune und „Malu“, das sind die beiden Dinge, auf die die SPD im Wahlkampf setzt. Die Kampagne ist komplett auf die 60-Jährige zugeschnitten, die Partei verschwindet fast komplett hinter ihr. „Wir-mit-ihr-Tour“ heißt das Wahlkampfmotto.

Bislang geht das Konzept auf. 11 Prozentpunkte lag die SPD vor gut einem Jahr in Umfragen hinter der Union. Seit Anfang März liegt Dreyer 2 Prozentpunkte vorn. Es ist eine erstaunliche Aufholjagd, die der früheren Staatsanwältin gelungen ist – und das bereits zum zweiten Mal. Zu Beginn des Wahljahres 2016 lagen Julia Klöckner und die CDU scheinbar uneinholbar vorne, am Ende hatten Dreyer und die Genossen mehr als vier Punkte Vorsprung. Es sieht so aus, als wenn sich die Geschichte gerade wiederholt.

Jamaika ist von Mainz weit entfernt

Selbst wenn die CDU am Sonntag vor der SPD liegen sollte, wird Dreyer aller Voraussicht nach Ministerpräsidentin bleiben. Ihre Ampelkoalition arbeitet geräuschlos, sowohl die grüne Spitzenkandidatin Anne Spiegel als auch FDP-Landeschef Volker Wissing verlieren kein schlechtes Wort über das Bündnis. Die Grünen dürfen hoffen, ihr Wahlergebnis von 2016 zu verdoppeln, auch für die FDP sind Stimmengewinne drin. Die Ampel hat sich für alle drei Koalitionspartner ausgezahlt, Jamaika ist von Mainz weit weg – nicht nur geografisch.

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Auch in Berlin haben viele ein Interesse an einer Neuauflage des Bündnisses – vor allem SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz. Die Ampel ist für ihn aus heutiger Sicht die einzige halbwegs realistische Machtoption, auch weil sie bürgerliche Wähler weniger verschreckt als die Aussicht auf Rot-Rot-Grün. Scholz hätte also nichts dagegen, wenn am Anfang des Wahljahres ein Ampelsignal aus Mainz in den Rest der Republik gesendet würde.

Am Dienstag steht Scholz auf der Loreley und blickt die 132 Meter von dem Felsen hinab auf den Rhein. Roger Lewentz hat ihn eingeladen, der Innenminister und Parteichef der Landes-SPD. Das Wetter an diesem Tag ist trübe, die Aussichten sind es nicht. Und Lewentz müht sich nach Kräften, sie weiter aufzuhübschen. Er referiert, wer schon alles die berühmte Aussichtsplattform besucht hat. Die Königin von England, der Kaiser von Japan, Bundeskanzler Helmut Schmidt. „Und wenn du erst Kanzler bist, Olaf, dann kommst du einfach auch noch mal.“

Scholz grinst über das ganze Gesicht. Die Vorstellung bereitet ihm sichtliche Freude, womöglich auch die Aufreihung: Queen, Tenno, Schmidt, Olaf.

Chronologie des Niedergangs der SPD

Eine gute Stunde später wirkt der Gesichtsausdruck des Finanzministers schon nicht mehr so entspannt. Scholz besucht einen Medizintechnikhersteller, der Seniorchef hält eine launige Rede, und berichtet, welche „großen Sozialdemokraten“ schon alle da waren: Rudolf Scharping, Wolfgang Clement, Kurt Beck, Sigmar Gabriel. Die Aufzählung klingt wie eine Chronologie des Niedergangs der SPD. „Ich hätte mir ja gewünscht, dass Sie Parteichef geworden wären“, sagt der Unternehmer an die Adresse von Scholz. Der sagt lieber nichts. Bloß nicht den mühsam geschlossenen Frieden in der SPD-Führung riskieren.

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Zurück zu Christian Baldauf auf dem Supermarktparkplatz. Nachdem die Desinfektionsflaschen verteilt sind, will der örtliche Kandidat Udo Rau noch ein kleines Video fürs Netz. „Sei schlau, wähl Rau“, muss Baldauf in die Kamera sagen und den Daumen nach oben halten. Kandidat Rau sagt: „Schorsch, denk dran, am Sonntag Erst- und Zweitstimme CDU.“

Als das Filmchen im Kasten ist, will Baldauf wissen, wer denn eigentlich dieser „Schorsch“ sei, der im Video angesprochen wurde. „Wenn das der einzige ist, der mich wählt, habe ich ein Problem.“

Er lacht ein bisschen gequält. Wahlkampf ist ein mühsames Geschäft – in Pandemiezeiten erst recht.

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