Mängel bei Hochwasser-Warnungen – wusste Landrat von drohender Katastrophe?

Landrat Jürgen Pföhler (CDU)

Landrat Jürgen Pföhler (CDU)

Bad Neuenahr-Ahrweiler. Auch zweieinhalb Wochen nach der Flutkatastrophe im Ahrtal ist die Hilfsbereitschaft ungebrochen. Am Wochenende machten sich wieder zahlreiche freiwillige Helfer auf den Weg, um die Menschen dort zu unterstützen. Anders als vor einer Woche kam es jedoch laut Polizei zu keinen größeren Verkehrsstörungen. Fragen wirft weiterhin das Krisenmanagement in der verheerenden Hochwassernacht auf. Nach einem Bericht der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ soll trotz präziser Warnungen erst spät der Katastrophenfall ausgerufen worden.

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Die Kreisverwaltung habe neben online veröffentlichten Informationen im Laufe des Abends mehrere automatisierte E-Mails des zuständigen Landesamts für Umwelt erhalten, in denen auch der prognostizierte enorme Pegelstand von fast sieben Metern mitgeteilt wurde, heißt es in dem Bericht. Die Kreisverwaltung Ahrweiler wollte am Sonntag diesen Bericht auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur nicht kommentieren und verwies auf einen späteren Zeitpunkt.

Pföhler: „Schuldzuweisungen sind völlig deplatziert“

In einer Antwort an die dpa heißt es: „Wir sind derzeit aber noch immer dabei, die Katastrophenlage zu bewältigen. Oberste Priorität hat für den Kreis und Landrat Dr. Jürgen Pföhler die Versorgung der Menschen im Flutgebiet wieder herzustellen. Hieran arbeiten alle Beteiligten gewissermaßen ‘rund um die Uhr’.“ Es handele sich um die größte Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg, für die es auch keine Blaupause zur Beseitigung der Schäden gebe.

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Auch der Kieler Krisenexperte Frank Roselieb sieht die Verantwortung beim Landrat. Katastrophenschutzmanagement gehöre zur Kernfunktion jedes Kreischefs und jedes Oberbürgermeisters, sagte er der „Rhein-Zeitung“. „In der Stellenbeschreibung eines Landrats oder einer Oberbürgermeisterin zählt das Krisenmanagement zu den wenigen Tätigkeiten, die nicht wirklich delegiert werden können.“

Landrat Pföhler hat die Vorwürfe zurückgewiesen. Gegenüber dem Bonner General-Anzeiger sagte er: „Zur Zeit kann niemand im Bund, im Land oder im Kreis seriös die Fragen nach Verantwortlichkeiten beantworten.” Dies müsse später „sehr sorgfältig aufgearbeitet werden”, um für künftige Großschadenslagen gewappnet zu sein. „Gegenseitige Schuldzuweisungen sind völlig deplatziert, geschmacklos und verkennen den Ernst der Lage.” „Für mich steht schon jetzt fest, dass alle vorhandenen Warn- und Alarmierungssysteme auf diesen nie dagewesenen Tsunami technisch nicht vorbereitet waren”, zitierte die Zeitung Pföhler. Zu den freiwilligen Helfern kommen nach Angaben des Krisenstabes vom Sonntag derzeit noch 4700 Einsatzkräfte hinzu.

Mehr als 60 Brücken zerstört

Viel Hoffnung setzen die Helfer in der Kreisstadt Bad Neuenahr-Ahrweiler auf die neue Behelfsbrücke des Technischen Hilfswerks (THW), die am Samstag fertiggestellt wurde. „Wir geben der Region mit dieser ersten THW-Brücke über die Ahr einen wichtigen Verkehrs- und Versorgungsweg zurück“, sagte THW-Vizepräsidentin Sabine Lackner am Samstag bei der Übergabe des Bauwerks an die Stadt. Sie sprach von einer „unglaublichen Leistung“ der rund 80 Einsatzkräfte, die diese wichtige innerstädtische Verbindung in nur sieben Tagen errichtet hätten. Der Autoverkehr kann die Brücke voraussichtlich ab Montag nutzen, da erst noch die Auffahrten fertiggestellt werden müssen.

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Zur eigentlichen Brückenbauzeit von sieben Tagen kamen laut THW Vorbereitungsarbeiten wie die Beseitigung von Schutt und Trümmern hinzu. Diese hätten ungefähr genauso lange gedauert wie der Bau der Brücke selbst. Laut Lackner ist es „die längste und damit größte Brücke, die das THW bisher errichtet hat“. Mit knapp 52 Metern Länge und einer Nutzlast von 30 Tonnen pro Fahrbahn könnten selbst Lastwagen die Ahr an dieser Stelle wieder überqueren.

Bei der Hochwasserkatastrophe am 14./15. Juli waren im Ahrtal mehr als 60 Brücken zerstört worden. In Bad Neuenahr-Ahrweiler blieb nur eine Brücke intakt. Die neue THW-Brücke wurde in Bad Neuenahr-Ahrweiler dort errichtet, wo vorher die Landgrafenbrücke gestanden hatte.

Die Polizei präzisierte am Samstag Einzelheiten zur Zahl der Toten bei der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz. Bei den 135 Toten, von denen am Freitag die Rede gewesen sei, handele es sich um 134 Opfer aus dem Ahrtal und einen Menschen aus Trier, erklärte Polizeirat Florian Stadtfeld bei der täglichen Pressekonferenz des Krisenstabs. 87 Tote seien inzwischen identifiziert, 59 Menschen würden weiter vermisst. Diese Zahlen blieben am Wochenende konstant. Allerdings sind nach Angaben des Krisenstabes vom Sonntag möglicherweise Leichenteile gefunden worden. Ebenso könne bei den Mengen an Schutt nicht sicher gesagt werden, ob darunter nicht auch Leichenteile sind.

Die psychologische Betreuung der Hochwasseropfer in Rheinland-Pfalz nimmt nach Angaben des Krisenstabes an Bedeutung zu. Derzeit seien 104 Kräfte der psychosozialen Notfallversorgung im Einsatzgebiet, die für die Bevölkerung ansprechbar sind, teilte der Krisenstab am Sonntag mit.

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Aufräumarbeiten gehen „unglaublich schnell voran“

Das Ausmaß der Belastung der Ahr durch das Einleiten von ungereinigtem Abwasser ist weiter unklar. Alle Kläranlagen im Ahrtal seien von den Überschwemmungen betroffen und beschädigt worden, teilte ein Sprecher der Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Nord in Koblenz mit. Fachleute prüften derzeit mit den Abwasserwerken, ob und wie Anlagen wieder in Betrieb genommen werden könnten. Man strebe zunächst an, zumindest eine mechanische Grundreinigung zu erreichen.

Der Präsident des Bundesverbandes der Bauindustrie, Peter Hübner, zeigte sich optimistisch beim Wiederaufbau in den Katastrophengebieten. Die Aufräumarbeiten gingen „unglaublich schnell voran, und ich bin optimistisch, dass wir den Wiederaufbau rasch anpacken“, sagte er dem „Tagesspiegel. „In einem halben Jahr sollten die Menschen wieder einigermaßen normal im Ahrtal leben können, auch die wichtigsten Straßen dürften bis Ende des Jahres hergerichtet sein.“ Bei manchen Brücken und auch Bahntrassen sei mehr Zeit erforderlich. „Zwei oder drei Jahre dürfte sich das hinziehen, das zeigen die Erfahrungen in anderen Hochwassergebieten.“

RND/dpa/ots

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