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Zahl politisch motivierter Gewalttaten gestiegen

Konfliktforscher: „Rechtsextreme Einstellungen finden sich auch in der Mitte“

Ein bewaffneter Polizist an einem Bahnhof: Die große Mehrheit der Bürger wünscht sich ein härteres Vorgehen gegen Kriminelle.

Die Zahl politisch motivierter Gewalttaten ist zuletzt gestiegen (Symbolbild).

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Herr Zick, 2022 gab es einen deutlichen Anstieg politisch motivierter Straftaten – ist das für Sie überraschend?

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Nein, das ist gar nicht überraschend. In den Zahlen spiegelt sich eine Radikalisierung wider, also eine immer stärkere Orientierung an demokratiefeindlichen Ideologien und höhere Akzeptanz von Gewalt in zum Teil neuen Milieus. Die Billigung und Akzeptanz von Gewalt hat sich in vielen ideologischen Milieus, die nicht mehr einfach nur als rechtsextrem oder linksextrem klassifiziert werden können, verbreitet.

Woran liegt das?

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Das liegt daran, dass sich mit den Corona-Protesten und den neuerlichen diversen Protesten gegen den Staat, wie auch mit der Verbreitung von sehr aggressiven und feindseligen Verschwörungsmythen, Teile als „Widerstandsbewegung“ sehen. Das wird in rechtsextremen wie rechtspopulistischen Bereichen neuerlich auch als Friedensbewegung verharmlost. Das Dunkelfeld nicht angezeigter Taten, nicht ermittelter Verbrechen und Angriffe, ist unweit höher. Zentral ist die Frage der Radikalisierung, der Bildung von Milieus, die nicht unbedingt den breiten Protest brauchen. Es haben sich in der Mitte neue ideologische Gruppen mit höherer Gewaltbereitschaft gebildet.

Was sind politisch motivierte Straftaten eigentlich konkret?

Ganz allgemein sind es kriminelle Taten, denen ein politisches Motiv zugrunde liegt: Alltäglich sind Angriffe auf Kommunalpolitiker, weil die Politik nicht gefällt. Hassangriffe auf Medienschaffende, die vermeintlich nicht die richtigen Informationen bieten. Auch die Verbreitung antisemitischer, rassistischer und menschenfeindlicher Propaganda gehören dazu.

Was ist das Besondere der Statistik in diesem Jahr?

Wir haben ein vollkommen neues Problem: Viele der Delikte stammen nicht mehr aus ideologisch einfach zu bestimmenden Gruppen, die sich nach rechts oder links bestimmen lassen. Sie stammen aus bürgerlichen Milieus, von „Querdenkern“, die zum Teil aufgrund von Verschwörungsmythen handeln. Die Behörden können sie nicht einfach einordnen und das ideologische Moment und Motiv erkennen. Das ist eine Herausforderung, die am Ende auch wichtig für Fragen der Prävention ist.

Wieso gibt es immer mehr politisch motivierte Straftaten, die weder dem linken noch dem rechten Spektrum zugeordnet werden können?

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Nehmen wir das Beispiel des Mordes in Idar-Oberstein 2021. Ein Mann hatte nach einer Auseinandersetzung mit einem Tankstellenmitarbeiter, der das Tragen ein Maske einforderte, diesen zwei Stunden nach der Auseinandersetzung erschossen. Der Täter hatte Gewaltfantasien, war in Social Media in rechten Kanälen unterwegs und glaubte an Verschwörungen. Das Opfer betrachtete er als Repräsentant des Staates. Es war ein Mord, der durch viele ideologische Versatzstücke vom Täter gerechtfertigt wurde.

Bei Anschlägen auf Geflüchtetenunterkünfte, Hassreden, Angriffe auf Lokalpolitik tauchen Bürgerinnen und Bürger auf, die nicht einfach rechtsextrem organisiert sind. Was wir in Studien mit solchen Menschen ermittelt haben, ist, dass sie teilweise keine klare rechtsextreme Ideologie aufweisen, zumindest nicht zu Beginn, sondern sich aus dem Rechtsextremismus eine Rechtfertigung über menschenfeindliche Taten beschafft haben. Fast alle Straftaten sind menschenfeindlich und rassistisch motiviert wie auch legitimiert.

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Wie sehen Straftaten aus, die von links verübt werden?

Bei linksextremer Gewalt sind es rechte Politiker, hier vor allem der AfD, es sind Polizeibeamte bei Demos und Rechtsextreme. Es ist oft eine Konfrontationsgewalt. Es sind auch Taten gegen Sachen, also Beschädigungen.

Und von rechts?

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Der Rechtsextremismus kennt die ganze Bandbreite an krimineller Propaganda: Agitation, Aggression, Gewalt und Terror. Das wird auch in der Politik wie auch der Bevölkerung sehr klar so eingeschätzt. In einer repräsentativen Studie, die wir im Jahreswechsel 2020/21 durchgeführt haben, meinten 70 Prozent, dass der Rechtsextremismus eine Bedrohung für Deutschland sei; 35 Prozent nannten den Linksextremismus. Allerdings ist eben der Blick in den Links- wie Rechtsextremismus begrenzt und lässt leicht übersehen, dass sich neue ideologische Milieus in der Mitte gebildet haben. Die sind auch nicht einfach „nur gewalttätig und gewaltorientiert“, sondern sind in Teilen im Alltag vollkommen unauffällig.

Wieso gab es besonders im vergangenen Jahr einen Anstieg bei rechten Straftaten?

Der Rechtsextremismus ist sehr gut organisiert, er hat nach dem Bekanntwerden der Terrorgruppe NSU die zugenommene Beobachtung und Strafverfolgung genutzt, um die Reihen zu schließen. Er hat auf den Protesten gegen Zuwanderung, gegen die Corona-Maßnahmen und die neuerlichen prorussischen Proteste Allianzen zum Rechtspopulismus, zu den „Querdenkern“ und in vielen kleineren lokalen Räumen in die Mitte gefunden. Er hat sich in den Milieus von „Reichsbürgern“ und Selbstverwaltern Nischen geschaffen. Er war in den sozialen Netzwerken immer besser als andere aufgestellt und hat sich weiter vernetzt. Er hat sich an die Verschwörungsgruppen angedockt und er hat das Aufkommen neuer nationalistischer Stimmungen genutzt.

Das wird auch noch weiter so gehen, denn den nicht einfachen Kompromiss in Europa zu Migration und Asyl wird der Rechtsextremismus nutzen und sich als Speerspitze der Verteidigung der Grenzen inszenieren. An einigen Orten ist der Rechtsextremismus auch so dominant und einschüchternd, dass die Toleranz und Akzeptanz in der Mitte gestiegen ist.

Opfer schämen sich, Opfer wissen, dass die Aufarbeitung noch einmal traumatisiert.

Andreas Zick,

Konfliktforscher

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Warum nehmen Opferberatungsstellen vor allem bei rechter Gewalt eine hohe Dunkelziffer an?

Viele Opfer ideologisch motivierter Gewalt zeigen Taten nicht an. Das ist wie bei anderen Fällen der Gewalt. Opfer schämen sich, Opfer wissen, dass die Aufarbeitung noch einmal traumatisiert. Sie werden bei der Tat eingeschüchtert, sie wissen, dass sie den Tätern noch einmal begegnen können. Und nicht zuletzt haben auch Opfer Probleme, die Tat einzuschätzen.

Wer ist Opfer rechter Gewalt?

Alle, die der rechten, völkischen und rassistischen Ideologien und dem Rechtsextremismus widersprechen. Die Gewalttaten zeugen davon, dass Menschen, die von den Tätern als nicht Deutsche rassistisch eingestuft werden, Gewaltopfer sind, wie auch Wohnungslose, Muslime, Politikerinnen, Journalisten, Wissenschaftlerinnen und viele andere. Judenfeindliche Angriffe gehören dazu, wie linkenfeindliche Taten. Einige Taten sind heimtückisch und oft unter Drogeneinfluss. Es sind schutzlose Opfer dabei, die nach Treffen von Rechtsextremen als Opfer auserkoren werden. Die Gewalt ist bisweilen erlebnisorientiert, sie dient oft auch dem Zusammenschluss der Rechten.

Und wer von linker?

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Bei linksextremer Gewalt sind es rechte Politiker, hier der AfD, es sind Polizeibeamte bei Demos und Rechtsextreme. Es ist oft eine Konfrontationsgewalt. Es sind auch Taten gegen Sachen, also Beschädigungen.

Was ist die Motivation hinter den Straftaten?

Man möchte Macht, das Sagen, die Dominanz. Räume sollen besetzt werden, Feinde vertrieben werden. Daneben befriedigt die Gewalt psychologische Motive in den Gruppen. Sie steigert den Zusammenhalt, erzeugt Selbstwert, sie markiert, wer zur Gruppe gehört. Und sie bietet den Gruppen ein Erlebnis, so merkwürdig sich das anhört. Zum Teil spielen auch stereotype Männlichkeitsbilder, die im Rechtsextremismus weit verbreitet sind, eine Rolle.

In diesem Jahr gibt es auch einen starken Anstieg von Straftaten durch Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Wie ist das zu bewerten?

Derzeit merken wir ja, dass die Politik und Behörden nach einer Einschätzung suchen, da sich die Aktivisten angesichts des nicht zu leugnenden Klimawandels auf zivilen Ungehorsam und ein Widerstandsrecht berufen.

Dass wir mehr Widerstandshandlungen sehen, liegt daran, dass der Notstand in Bezug auf den Klimawandel kaum zu leugnen ist. Viele junge Menschen haben das Vertrauen in staatliches oder internationales Handeln verloren. Ob sich eine breite Radikalisierung in die Gewalt oder ein ideologisch motivierter Klimaextremismus ergibt, ist unklar. Der Klimaaktivismus beruft sich nicht auf Ideologien, sondern auf wissenschaftliche Fakten.

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Der Reflex, dass Rechtsextremismus nur eine Ideologie verwirrter Einzelner ist, ist Unsinn.

Andreas Zick,

Konfliktforscher

Kann man sagen, von welcher Gruppe die größte Gefahr für die Gesellschaft ausgeht?

Es besteht ein breiter demokratischer Konsens, dass es der Rechtsextremismus ist. Er ist ideologisch aufgestellt, verfügt über Waffen, hat Terrorzellen gebildet und ist international vernetzt.

Wie sieht sinnvolle Prävention aus? Und wo sollte das Problem bei der Wurzel gepackt werden?

Beim Rechtsextremismus und den neuen rechten Ideologien in der Mitte fehlt es an Maßnahmen. Es gibt blinde Stellen und Räume, die nicht aus sich selbst heraus Prävention und Schutz herstellen können. Zumal die Instanzen, die für Schutz sorgen sollen, wie Polizei und Ordnungsdienste, selbst angegriffen werden. Zudem ist eine Wurzel die nationalistische wie rassistische und menschenfeindliche Ideologie.

Viel Gewalt liegt im Dunkeln und muss erst ausgeleuchtet werden. Das ist nicht allein Aufgabe der Behörde. Und der Reflex, dass Rechtsextremismus nur eine Ideologie verwirrter Einzelner ist, ist Unsinn. Rechtsextreme Einstellungen finden sich auch in der Mitte. In vielen Gewaltfällen ist die Zahl der Zuschauer und jener, die es klammheimlich gut finden, groß.

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