Ist die deutsche Klimapolitik rechtswidrig?
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Demonstration von Fridays for Future Hamburg auf der Jan-Fedder-Promenade am Hamburger Hafen einen Tag vor Silvester.
© Quelle: IMAGO/Hanno Bode
Berlin. „Unsere Regierung bricht gerade unser Grundgesetz.“ Diesen Vorwurf hört man immer wieder von der Letzten Generation als Begründung für ihre Straßenblockaden. Auf das Bundesverfassungsgericht kann sie sich dabei aber nicht mehr berufen. Offen ist dagegen, ob die Bundesregierung das Klimaschutzgesetz missachtet. Damit wird sich in den kommenden Monaten nun endlich das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg beschäftigen.
„Die Regierung kommt ihrer Verpflichtung, die eigene Bevölkerung zu schützen, selbst nach Aufforderung durch das Bundesverfassungsgericht nicht nach“, sagte die Aktivistin Johanna Höhn, als sie Mitte Dezember in Berlin den Spandauer Damm blockierte. In einer Pressemitteilung der Letzten Generation vom 13. Dezember heißt es, „dass der Plan, den die Bundesregierung mit ihrem Klimapaket vorgelegt hat, vom höchsten Gericht für verfassungswidrig erklärt wurde“. Und weiter: „Die Nachbesserungsfrist läuft ab, es ist nicht abzusehen, dass diese Regierung die Krise in den Griff bekommt. Das ist Rechtsbruch. Das ist verfassungswidrig. Das ist kriminell“, so die Letzte Generation.
Das Bundesverfassungsgericht ließ der Politik „Gestaltungsspielräume“
Tatsächlich hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Klimabeschluss vom Frühjahr 2021 den Klimaschutz zum Staatsziel erklärt. „Konkretisiert“ sei das Staatsziel in Paragraf 1 des Klimaschutzgesetzes, „wonach der Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter zwei Grad Celsius und möglichst auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen ist“. Wie der deutsche Beitrag zu diesem Ziel erreicht wird, dabei ließ das Bundesverfassungsgericht der Politik allerdings „Gestaltungsspielräume“.
Konkret gefordert hat das Bundesverfassungsgericht im Frühjahr 2021 nur, dass der Bundestag im Klimaschutzgesetz auch konkrete Anforderungen für die Zeit nach 2030 festlegen muss, um die notwendige Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft rechtzeitig anzuschieben. Diesen Auftrag hat der Bundestag schon wenige Wochen später umgesetzt und das Klimaschutzgesetz (KSG) entsprechend geändert.
Dagegen hatte das Bundesverfassungsgericht nicht gefordert, dass der Bundestag auch die klimapolitischen Ziele bis 2030 verschärft. Dennoch hat der Bundestag in der gleichen KSG-Änderung das Minderungsziel für 2030 um 10 Prozentpunkte angehoben. Das heißt, Deutschland soll bis dahin seinen Treibhausgas-Ausstoß um 65 Prozent (statt 55 Prozent) gegenüber dem Jahr 1990 verringern. Der Bundestag ging also über die Karlsruher (Mindest-)Anforderungen hinaus.
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Mitbegründer der Letzten Generation: „Die Strafbefehle gegen mich zähle ich nicht mehr“
Henning Jeschke ist etwa 15-mal in Gewahrsam gewesen. Der Klimaaktivist kämpfte im Hungerstreik gegen den Klimawandel, blockierte Straßen. Dass aus dem Frust einer Gesellschaft bürgerkriegsähnliche Zustände entstehen, hält der Mitgründer der Letzten Generation für möglich.
Klagen von 2020 bis heute liegen noch beim OVG
Trotzdem erhoben neun Jugendliche (koordiniert von der Deutschen Umwelthilfe, DUH) Anfang 2022 eine neue Verfassungsklage gegen das Klimaschutzgesetz, um weitere Verschärfungen durchzusetzen. Diese Klage wurde aber vom Bundesverfassungsgericht schon im Juni ohne jede Begründung abgelehnt – ein klares Signal, dass die Karlsruher Richter nun erst einmal die Politik am Zug sehen, die eigenen Ziele auch umzusetzen.
So setzt das Klimaschutzgesetz für die einzelnen Sektoren wie Gebäude, Industrie und Verkehr jährliche Obergrenzen für den CO₂-Ausstoß, die Jahr für Jahr absinken. Wenn die Sektorziele verfehlt werden, muss das zuständige Ministerium ein Sofortprogramm mit Maßnahmen vorlegen, die die Lücke schließen. Umstritten war im letzten Sommer vor allem das Sofortprogramm von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), weil es nicht aufzeigte, wie ein jährliches Anwachsen der Lücke bis 2030 verhindert werden kann.
Deshalb klagte die Deutsche Umwelthilfe im September gegen Wissings Sofortprogramm. Zuständig ist das OVG Berlin-Brandenburg. Dort liegen auch noch fünf andere Klagen der DUH gegen Klimaprogramme der Bundesregierung, die älteste stammt von 2020.
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OVG: Klimaverhandlungen im ersten Halbjahr
Bisher hat das OVG allerdings über keine der Klagen entschieden oder auch nur verhandelt. Man konnte deshalb den Aktivisten der Letzten Generation den Klageweg auch nicht als effiziente Alternative zu Straßenblockaden empfehlen. Der für Umweltrecht zuständige 11. OVG-Senat war 2020 und 2021 mit Corona-Fragen überlastet. 2022 war er dann durch einen Vorsitzendenwechsel mit anschließendem Rechtsstreit um die Neubesetzung beeinträchtigt.
Doch ab diesem Januar dürfte der 11. OVG-Senat wieder voll einsatzfähig sein. Denn wenige Tage vor Weihnachten hat ein anderer Senat des OVG die Konkurrentenklage eines unterlegenen Bewerbers um den Vorsitz des 11. Senats im Eilverfahren abgelehnt. Auf RND-Anfrage teilte des OVG inzwischen mit, dass es im ersten Halbjahr über die DUH-Klimaklagen verhandeln will. Es geht also doch noch voran.
Möglicherweise sind aber einige der DUH-Klagen schon überholt, bis das OVG über sie entscheidet. Denn die FDP verlangt eine Änderung des Klimaschutzgesetzes, mit der die Sektorziele abgeschafft werden sollen. Es gäbe dann nicht mehr spezielle Ziele für die Sektoren wie Verkehr und Gebäude, sondern nur noch für ganz Deutschland. Dies würde vor allem FDP-Verkehrsminister Wissing aus der Verantwortung nehmen. Noch aber sind die Ampelpartner SPD und Grüne mit dem FDP-Vorschlag nicht einverstanden. Auch das Wirtschaftsministerium von Robert Habeck (Grüne) hat daher Interesse an einer baldigen Gerichtsentscheidung über die Klimaprogramme der Bundesregierung.