Meldeportal gegen Steuerbetrug in der Kritik: „Öffnet Denunziantentum Tür und Tor“

Ausschnitt der Internetseite des „anonymen Hinweisgebersystems der Steuerverwaltung Baden-Württemberg“.

Ausschnitt der Internetseite des „anonymen Hinweisgebersystems der Steuerverwaltung Baden-Württemberg“.

Berlin. Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat eine Plattform für anonyme Hinweise gegen Steuerhinterziehung nach baden-württembergischen Vorbild auch auf Bundesebene ins Spiel gebracht und steht dafür in der Kritik. Der Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Deutschen Bundestag, Dietmar Bartsch, sagte dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Der Vorschlag der Grünen öffnet dem Denunziantentum Tür und Tor.“

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Bartsch betonte: „Unser Problem ist doch nicht zuerst, dass der Gastronom eine Rechnung nicht stellt, sondern dass Spitzenverdiener und Superreiche legale und zum Teil illegale Wege finden, Steuern zu vermeiden, was den Bund jährlich Milliarden kostet. Dem gehört ein Riegel vorgeschoben.“

Steuerfahndung dürfe nicht privatisiert werden, sie sei Sache des Staates und nicht der Bürger, sagte der Linken-Politiker. „Nach Jahren der Stellenstreichungen“ brauche es endlich „einen massiven Personalaufwuchs in der Steuerfahndung und besser ausgestattete Staatsanwaltschaften, um Gesetze durchzusetzen“, forderte er.

Mehr Steuergerechtigkeit erreicht man nicht dadurch, dass man Bürgerinnen und Bürger sowie den Mittelstand noch weiter drangsaliert und ein Klima des Misstrauens schafft.

Stephan Thomae (FDP),

Bundestagsabgeordneter und Rechtsanwalt

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Stephan Thomae (FDP) bezweifelte die Wirksamkeit einer solchen Plattform: „Mehr Steuergerechtigkeit erreicht man nicht dadurch, dass man Bürgerinnen und Bürger sowie den Mittelstand noch weiter drangsaliert und ein Klima des Misstrauens schafft“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende dem RND.

Eine Anzeige beim Verdacht auf eine Steuerstraftat könne bereits heute anonym gestellt werden, eine Vielzahl dieser Anzeigen laufe allerdings ins Leere. „Nicht selten handelt es sich schlichtweg um falsche Verdächtigungen“, so Thomae.

Der Fokus solle sich vielmehr auf große internationale Unternehmen richten, deren Steuermodelle einer genaueren Prüfung unterzogen werden müssten, forderte Thomae. „Statt eines Meldeportals für jedermann braucht es einen steuerrechtlichen Lückenschluss für international agierende Konzerne wie Amazon und Co.“

Der Bund der Steuerzahler in Baden-Württemberg nannte das anonyme Hinweisgeberportal „extrem problematisch“ und „nicht zielführend“. Steuerhinterziehung sei zwar „kein Kavaliersdelikt“ und Steuern müssen ordnungsgemäß entrichtet werden. Dennoch dürfe das Portal „kein Misstrauen säen und den Eindruck erwecken, dass die Mehrheit der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler unehrlich wäre“, sagte der Vorsitzende Zenon Bilaniuk dem RND.

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Meldemöglichkeiten gibt es bereits

„Im Grunde braucht es die neue Plattform gar nicht“, so Bilaniuk weiter. Die Möglichkeit, bei Auffälligkeiten das Finanzamt zu informieren, gebe es ohnehin schon.

Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz äußerte sich ebenfalls zurückhaltend. Er halte die deutschen Finanzämter für ausreichend gerüstet, um Steuerbetrug aufdecken zu können, sagte Scholz am Donnerstag am Rande eines Unternehmensbesuchs in Kassel. „Und da brauchen wir keine neuen Techniken, die dazu führen, dass der eine über den anderen redet.“

Ausgangspunkt der Debatte ist die Meldeplattform der Oberfinanzdirektion Karlsruhe, die am Montag an den Start gegangen ist. Sie soll Hinweisgebern aus der Bevölkerung „einen sicheren und anonymen Kommunikationsweg“ bieten, um Verstöße gegen das Steuerrecht anzuzeigen, wie das Finanzministerium in Stuttgart mitteilte.

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Trotz der scharfen Kritik an der neuen Plattform kündigte Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz an, an dem Portal festzuhalten. „Wir sind davon überzeugt, dass es ein richtiger Schritt ist“, sagte der Grünen-Politiker dem Sender SWR und wies die Kritik zurück: Baden-Württemberg habe lediglich etwas online eingeführt, das es bereits bundesweit gegeben habe. Schon am Mittwoch hatte der Grünen-Politiker gesagt, dass das neue anonyme Hinweisportal ein „ergänzendes Instrument im Kampf für mehr Steuergerechtigkeit“ sei.

Bis Ende des Jahres müsse Deutschland zudem eine EU-Richtlinie zum Schutz von sogenannten Whistleblowern umsetzen, teilte das Finanzministerium am Donnerstag mit. Danach müssen Bundes- und Landesbehörden eine sichere Meldestelle für Insider anbieten, die Missstände oder kriminelle Machenschaften aufdecken oder weiterleiten.

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Der Bundesvorsitzende der Deutschen Steuergewerkschaft, Thomas Eigenthaler, bewertete die Kritik als „Wahlkampfgetöse“. Außerdem seien Begriffe wie „Stasi-Methoden“ und „DDR-Mentalität“ für die Steuerverwaltung „ehrabschneidend“, sagte Eigenthaler dem „Handelsblatt“.

Anonyme Anzeigen gebe es, seit es Finanzämter gebe. Das Portal in Baden-Württemberg sei eher eine Verbesserung, denn die Steuerverwaltung könne durch gezielte Rückfragen den „Anzeigenschrott“ von „werthaltigen Hinweisen“ trennen.

Heftig attackiert wurde Bayaz nicht nur auf der politischen Bühne, sondern auch in den sozialen Medien. Auf seinen Konten bei Twitter und Instagram gab es zahlreiche menschenverachtende, rassistische und sexistische Kommentare. Die übelsten Beschimpfungen werde der Minister zur Anzeige bringen, teilte das Finanzministerium in Stuttgart mit.

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mit Material der Nachrichtenagentur dpa

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