Merkel zu Gast bei Macron: Abschied eines ungleichen Duos
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Emmanuel Macron und Angela Merkel – hier beim Besuch des französischen Präsidenten in Berlin.
© Quelle: Axel Schmidt/Reuters-Pool/dpa
Paris. Angela Merkel muss bei Emmanuel Macrons Antrittsbesuch als frisch gewählter Präsident gewusst haben, dass der neue Gast ein glühender Anhänger von Literatur und Poesie ist. Denn sie wählte ein Zitat von Hermann Hesse. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, sagte die Bundeskanzlerin bei diesem ersten offiziellen Auftritt mit Macron, dem viele weitere folgen sollten.
Am Donnerstag kommt sie für ein Arbeitsabendessen in den Élysée-Palast – das vielleicht letzte in Paris, je nach Dauer der Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl. Gesprächsthemen sollen unter anderem die Europapolitik und die Lage in Afghanistan sein.
In den gut vier Jahren ihrer Zusammenarbeit folgten Merkel und Macron insofern einer deutsch-französischen Tradition, als diese in einer oft mühseligen Suche nach Kompromissen bestand, ob beim Umgang mit Schuldenregeln oder bei Fragen der Energieversorgung.
Zwar verfügen die beiden über ein sehr unterschiedliches Temperament – hier der ambitionierte Präsident mit der ausufernden Rhetorik, dort die sachlich-kühle Kanzlerin mit dem Hang zum Abwarten –, doch hielten sie an dem Grundsatz fest, dass vor internationalen Gipfeln eine gemeinsame Position festgelegt wird.
Dies wurde 2019 sogar im Aachener Vertrag festgeschrieben, einem von Macron forcierten Zusatz zum Élysée-Freundschaftsvertrag zwischen beiden Ländern. Dass es sich beiderseits um den wichtigsten europäischen Partner handelt, steht weiterhin außer Frage.
Merkel ist in Frankreich beliebt
In der französischen Bevölkerung genießt Merkel, die mit vier Präsidenten zusammengearbeitet hat, hohes Ansehen. 49 Prozent der Menschen haben laut einer Umfrage von YouGov eine positive Meinung von der Politikerin, die sich so lange an der Macht halten konnte.
Befragt zu Merkels Bilanz hinsichtlich der deutsch-französischen Beziehungen, sagt Hélène Miard-Delacroix, Historikerin und Professorin an der Sorbonne-Universität, die Kanzlerin sei nach und nach zur Europäerin geworden, die von der Wichtigkeit der Achse Paris–Berlin überzeugt ist.
„Am Anfang hat sie sie praktiziert, weil es den Gegebenheiten entsprach, und im Laufe der Zeit, auch infolge des Brexit und der Präsidentschaft von Donald Trump in den USA, wurde die deutsch-französische Zusammenarbeit zunehmend zum Fixpunkt, natürlich neben den transatlantischen Beziehungen.“
Auf die anstehenden Veränderungen an der Regierungsspitze blickt man in Frankreich mit Interesse. In der vergangenen Woche besuchten nacheinander die Kanzlerkandidaten der SPD und der Union, Olaf Scholz und Armin Laschet, Macron in Paris.
Miard-Delacroix zufolge ist für die französische Regierung der wichtigste Punkt die Frage, ob die nächste deutsche Koalition zurück zur schwarzen Null will oder den 2020 eingeschlagenen Kurs weitergeht, als sich Berlin auf Macrons Drängen hin auf einen europäischen Wiederaufbaufonds einließ, für dessen Schulden der EU-Haushalt garantiert.
„In Paris erhofft man sich, dass man wie in Pandemiezeiten den Weg einer Währungsunion weiterverfolgt, die nach sich zieht, dass man mit einem gemeinsamen Budget Investitionen fördert, ob bei der Digitalisierung oder der Energiewende“, sagt die Spezialistin für die deutsch-französischen Beziehungen.
Unmittelbar nach der letzten Bundestagswahl 2017 hatte Macron seine feurige Europa-Rede in der Sorbonne mit etlichen Vorschlägen gehalten. Von deutscher Seite folgte ein vielsagendes Schweigen – in vielem ging Macron Berlin zu weit. Der von Merkel beschworene Zauber erhielt damals einen ersten Dämpfer. Man war angekommen im Alltag der so unterschiedlichen und so engen Partner.