Können Staatenlose einfach abgeschoben werden?
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Bahnhof Brokstedt: Hier hielt der Regionalzug von Kiel nach Hamburg nach der tödlichen Messerattacke am Mittwoch.
© Quelle: Gregor Fischer/dpa
Hannover. Die Messerattacke in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg am Mittwochabend hat deutschlandweit für Entsetzen und Trauer gesorgt. Dabei kamen eine 17-Jährige und ein 19-Jähriger ums Leben, sieben weitere Menschen wurden teilweise schwer verletzt. Tatverdächtig ist Ibrahim A., ein staatenloser Palästinenser.
Der 33-Jährige war wenige Tage vor der Tat auf Beschluss des Landgerichts Hamburg aus der Justizvollzugsanstalt Billwerder entlassen worden. Dort hatte er wegen eines Gewaltdelikts in Untersuchungshaft eingesessen.
Augenzeuge schildert Messerangriff im Regionalzug
Ein Angreifer in einem Regionalzug zwischen Kiel und Hamburg tötete am Mittwoch zwei Menschen.
© Quelle: dpa
Zudem war er seit seiner Einreise nach Deutschland 2014 laut Behördenangaben bereits mehrfach mit Gewaltdelikten und anderen Straftaten auffällig geworden. Warum wurde Ibrahim A. also nicht schon längst abgeschoben?
„Er hat einen erlaubten Aufenthalt“
„Eine Abschiebung setzt zunächst einmal voraus, dass der Betroffene vollziehbar ausreisepflichtig ist“, erklärte eine Sprecherin des schleswig-holsteinischen Sozialministeriums am Donnerstag auf einer Pressekonferenz. Das sei aber im Falle des Tatverdächtigen Ibrahim A. derzeit nicht der Fall. „Er hat einen erlaubten Aufenthalt“, stellte die Sprecherin fest. Grundsätzlich sei es so, dass ein Nationalstaat für einen ausreisepflichtigen Staatenlosen Aufnahmebereitschaft zeigen müsse, da in diesem Falle kein Heimatstaat existiere.
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Diese für deutsche Behörden komplizierte Situation trifft oftmals auf Migrantinnen und Migranten aus den Palästinensergebieten, aber auch auf Palästinenser, die über längere Zeit im Libanon gelebt haben, zu. Im Libanon wird ihnen nur in Ausnahmefällen ein Reisepass ausgestellt. Laut einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion im Bundestag wurden im ersten Halbjahr 2022 drei staatenlose Menschen aus Deutschland abgeschoben. Wohin die Menschen gebracht wurden, geht aus der Antwort der Bundesregierung nicht hervor. Es kann auch in „Palästinensische Autonomiegebiete“ abgeschoben werden, wie deutsche Gerichte bereits entschieden haben. Die Realität sieht oftmals aber anders aus.
Tatverdächtiger genießt subsidiären Schutz
Ibrahim A. genießt aktuell in Deutschland einen subsidiären Schutzstatus, wodurch er sich legal im Land aufhält. Laut Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) greife dieser Status, „wenn weder der Flüchtlingsschutz noch die Asylberechtigung gewährt werden können und im Herkunftsland ernsthafter Schaden droht“. Dieser „ernsthafte Schaden“ könne sowohl „von staatlichen als auch von nicht staatlichen Akteuren verübt werden“. In diese Kategorien fielen demnach etwa die Verhängung oder Vollstreckung einer Todesstrafe, Folter oder andere unmenschliche Behandlung oder auch eine individuelle Bedrohung eines Menschen infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines bewaffneten Konflikts.
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Einwohner der Kleinstadt Brokstedt haben Blumen und Kerzen am Tatort der Messerattacke auf dem Bahnsteig im Bahnhof von Brokstedt abgelegt. Bei der Messerattacke in einem Regionalzug von Kiel nach Hamburg sind am 25.01.2023 zwei Menschen getötet und sieben verletzt worden.
© Quelle: Marcus Brandt/dpa
Gegenüber dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“ sagte Björn Seelbach, Anwalt des Tatverdächtigen, dass Ibrahim A. in Deutschland keinerlei Familie habe und zudem vor der Untersuchungshaft obdachlos gewesen sei. Die Familie des Tatverdächtigen lebte demnach im Gazastreifen und sei von der Terrororganisation Hamas drangsaliert worden. „Das war der Grund für seine Flucht“, wird Seelbach zitiert. Der Tatverdächtige habe im Gazastreifen schwere Misshandlung erlebt, hieß es auch in einem Urteil vom August 2022 gegen Ibrahim A. wegen eines ähnlichen Messerangriffs, wegen dem er dann in U-Haft saß. Einen Onkel soll die Hamas getötet haben.
Grundsätzlich könnte man dem Mann wohl seinen Schutzstatus entziehen, da er schwere Straftaten verübt hat und offenbar eine Wiederholungsgefahr besteht. In dem Urteil von 2022 beurteilte das Gericht die Gefahr einer erneuten Straffälligkeit von Ibrahim A. mit „50 Prozent“. Es fehle an einer „günstigen Sozialprognose“, hieß es damals. Das Bamf leitete laut „Spiegel“ im November 2021 auf Anfrage von Beamten der Stadt Kiel sogar ein Verfahren ein, um A. den subsidiären Schutz zu entziehen. Bisher steht ein Ergebnis noch aus.