Militärexperten: Wie Russland systematisch ukrainische Kinder zwangsdeportiert und umerzieht
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Russische Soldaten im Norden der Krim.
© Quelle: IMAGO/SNA
In den vorübergehend besetzten Gebieten der Ukraine treibt Russland die Russifizierung weiter voran. Wie westliche Militärexpertinnen und -experten beobachten, zielen die Bemühungen der russischen Militärbesatzung zunehmend darauf ab, ukrainische Kinder und Jugendliche aus ihren Familien zu reißen und unter russische Kontrolle zu bringen. Das schreibt der US-Thinktank Institute for the Study of War (ISW) in seinem jüngsten Lagebericht zur Ukraine. Demnach kündigte die russische Kommissarin für Kinderrechte, Maria Lvova-Belova, bei einem Treffen mit russischen Besatzungsbeamten „Rehabilitations“-Touren für Kinder auf der Krim an, die besondere psychologische Hilfe benötigen.
Zuvor hatte das ISW bereits über zahlreiche Fälle berichtet, „in denen russische Besatzungsbeamte unter dem Deckmantel der psychiatrischen und medizinischen Rehabilitation ukrainische Kinder tief in russisch kontrolliertes Gebiet innerhalb der Ukraine bringen oder sie nach Russland deportieren“. Der Besatzungschef von Luhansk, Leonid Pasechnik, zitiert die russische Kommissarin Lvova-Belova, laut der Kinder, deren Daten in den lokalen Systemen gespeichert seien, „eine Familie in anderen Regionen der Russischen Föderation finden können“. In Donezk kündigte der Leiter der Militärbesatzung an, Programme „für die Sozialisierung von Jugendlichen“ zu entwickeln.
Seit Beginn des Krieges hat Russland Tausende Kinder verschleppt. Die ukrainische Regierung sprach im Dezember von mindestens 13.000 Kindern. „Und das ist leider noch nicht die endgültige Zahl“, sagte Daria Herasymchuk, die für Kinderrechte zuständige ukrainische Regierungsberaterin. Die ukrainische Regierung hat die Onlineplattform Children of War eingerichtet, auf der die Zahl der verschleppten Kinder bereits auf mehr als 16.000 gestiegen ist. Human Rights Watch bestätigt Deportationen, unter anderem aus Mariupol, nennt aber keine Zahlen.
Häufig wurden Kinder nach Russland verschleppt, die sich in den Kellern zerbombter Städte versteckt oder in Kinderheimen gelebt haben. In vielen Fällen war mindestens ein Elternteil zuvor bei russischen Angriffen getötet worden, berichtet die Nachrichtenagentur AP. Immer wieder sei ihnen auch vorgelogen worden, dass ihre Eltern sie nicht wollten.
Ziel der Umerziehungsprogramme für ukrainische Kinder sei es, die soziale Kontrolle Russlands in diesen Gebieten und die Integration in die Russische Föderation zu festigen, so die ISW-Expertinnen und -Experten. Sie gehen davon aus, dass Russland in Kürze einen umfassenden Plan zur Bindung der ukrainischen Kinder in den teilweise besetzten Gebieten der Ukraine an Russland ausarbeiten wird. Dieser sieht vor, persönliche Daten der Kinder zu sammeln, Sozialprogramme einzuführen und pseudohumanitäre Organisationen in der Ukraine zu etablieren. „Damit sollen die Voraussetzungen geschaffen werden, um die Abschiebung ukrainischer Kinder in russische Familien zu legitimieren und zu institutionalisieren.“
Als ersten Schritt in diese Richtung sehen Beobachter eine am 3. Januar von Wladimir Putin unterzeichnete Liste mit Anweisungen, wonach Lvova-Belova und die Besatzungschefs „Minderjährige identifizieren sollen, die ohne elterliche Fürsorge zurückgelassen wurden“. Die Einrichtung von „Rehabilitationszentren“ und die Erfassung der personenbezogenen Daten von Kindern werde es den russischen Besatzungsbeamten nach Einschätzung des ISW wohl ermöglichen, Zwangsdeportation und -adoption ukrainischer Kinder in russische Familien zu erleichtern.