Nach Afghanistan: Die Bundeswehr steht in Mali vorm nächsten Abzug
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Bundeswehrsoldaten in Gao (Mali).
© Quelle: Christoph Liesmann
Berlin. Die Bundesministerin der Verteidigung zeigte sich am Wochenende nicht sehr optimistisch. „Aufgrund der aktuellen Lage“ müsse sie „sehr infrage stellen, ob wir uns weiter engagieren können“, sagte Christine Lambrecht den Zeitungen der Funke-Mediengruppe mit Blick auf den Mali-Einsatz der Bundeswehr.
Die SPD-Politikerin bewegte sich damit im Gleichklang mit der grünen Außenministerin Annalena Baerbock. Die hatte ein paar Tage vorher der „Süddeutschen Zeitung“ erklärt: „Angesichts der jüngsten Schritte der malischen Regierung müssen wir uns ehrlich fragen, ob die Voraussetzungen für den Erfolg unseres gemeinsamen Engagements weiter gegeben sind. Unser Einsatz ist kein Selbstzweck.“
Im Kabinett müssen die beiden Frauen, die augenscheinlich an demselben Strang in dieselbe Richtung ziehen, die Entscheidung unter sich ausmachen, bevor sie das nächste Mandat dem Bundestag zur Verabschiedung vorlegen, der bis spätestens im Mai das letzte Wort hat.
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Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (links, SPD) unterhält sich mit Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) zu Beginn der wöchentlichen Kabinettssitzung im Kanzleramt.
© Quelle: Michele Tantussi/reuters POOL/dp
Nach jetzigem Stand deutet alles darauf hin, dass die Bundeswehr nach Afghanistan das Feld auch in dem westafrikanischen Staat Mali bald räumt. Denn kaum ein Verteidigungspolitiker in Berlin hat noch eine plausible Antwort auf die Frage, wie es in dem Land weitergehen könnte.
Keine Demokratie in Mali
Derzeit ist die Bundeswehr in Mali mit mehr als 300 Soldaten und Soldatinnen an der EU-Ausbildungsmission EUTM beteiligt. Ausbildung heißt in diesem Fall: Ausbildung der malischen Armee. Hinzu kommen über 1100 Soldaten in der UN-Mission Minusma.
Beide Missionen dienen dem übergeordneten Ziel, die vor allem im Norden Malis einflussreichen Islamisten zurückzudrängen und so den Staat zu stabilisieren. Dass der Bundestag nun voraussichtlich entscheiden wird, die Soldaten zurückzuholen, hat viele jeweils schwerwiegende Gründe. Sie türmen sich in der Summe zu einem politisch kaum mehr überwindbaren Hindernis auf.
Zunächst hat das malische Militär, an dessen Ausbildung die Bundeswehr mitwirkt, mehrfach geputscht. Staatschef ist nun Assimi Goïta, ein 1983 geborener Offizier, der einen Teil seiner Ausbildung in Deutschland genoss. Die Militärjunta ließ zuletzt verlauten, dass Wahlen nicht wie geplant in diesem Monat, sondern erst in fünf Jahren stattfinden sollten.
Das wirkte wie Hohn und entzieht dem Einsatz aus hiesiger Sicht eine wichtige Legitimation. Lambrecht kleidete die Zweifel soeben in die Frage „Ist das wirklich ein Partner, dem wir helfen wollen?“. Auch in Afghanistan hatte es ja Zweifel an den Regierenden gegeben. Sie galten oft als korrupt und hatten mit Demokratie nicht viel am Hut.
Geputscht wird derweil nicht allein in Mali. In Nachbarstaaten ziehen ebenfalls mehr und mehr Militärs die Macht an sich. Die gesamte Sahelregion, in der Staatsgrenzen ohnehin weniger gelten als hierzulande, ist instabil. Das könnte weitere Flüchtlingsströme gen Europa nach sich ziehen.
Wachsende Armut führt zu Instabilität
Denn daneben ist Mali bitterarm. Die Armut wird verstärkt durch ein ungebremstes Bevölkerungswachstum. Die Zahl der Einwohner wuchs zuletzt von vier auf 21 Millionen. Jede Frau in Mali bringt heute im Schnitt sieben Kinder zur Welt. Wirtschaftliche Schwäche wiederum ist ein Faktor für politische Instabilität. Hier liegt eine zweite Parallele zu Afghanistan, das heute in Armut versinkt. Das zu verhindern wäre hier wie dort eine Aufgabe für Entwicklungshelfer.
Eine dritte Parallele besteht in dem Hauptziel der Militärmission. Sie soll zwar dazu dienen, die Islamisten in Schach zu halten, allerdings seien die französischen Soldaten die einzigen, die wirklich kämpften, sagen Insider. So verlassen etwa die Bundeswehrsoldaten kaum ihre Camps.
Die Islamisten machen Boden gut. Es gab deshalb zuletzt Stimmen aus der Berliner Unionsfraktion, die statt eines Abzugs dazu rieten, das Gegenteil zu tun und die deutschen Streitkräfte robuster auszustatten, so wie es am Hindukusch auch geschehen sei. Verteidigungspolitiker aus CDU und CSU forderten, nicht einfach die Segel zu streichen.
Die russische Gruppe „Wagner“
Darauf würde es unter Umständen auch hinauslaufen, wenn nicht weitere Hindernisse hinzugekommen wären. So sind seit geraumer Zeit Söldner der russischen Gruppe „Wagner“ in Mali unterwegs, denen in der Vergangenheit Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden; die Rede ist von 300 bis 500 Mann.
Und schließlich hat die Militärjunta soeben die Ausweisung dänischer Soldaten verfügt, die Überflugrechte westlicher Truppen eingeschränkt und den französischen Botschafter ausgewiesen. Anlass waren Wirtschaftssanktionen westafrikanischer Staaten wegen der verschobenen Wahlen. Die Dänen verfügen dem Vernehmen nach über eine gute militärische Aufklärung; die war den Russen wahrscheinlich ein Dorn im Auge.
Die Bundeswehr geht vermutlich nicht allein
Mit einem Wort: Die Militärjunta demonstriert, dass sie die Russen will und die anderen Nationen nicht. Das macht den Verbleib für die Bundeswehr und die meisten Partner fast unmöglich. Es würde nämlich bedeuten, dass sie in eine Auseinandersetzung an zwei Fronten eintreten müssten – mit den Islamisten einerseits und dem malischen Staat andererseits, dessen frühere Vertreter den Westen einst gerufen hatten.
Die einstige Kolonialmacht Frankreich, ohne deren Bitten die Bundeswehr nicht in Mali wäre und die im Land zunehmend verhasst ist, will daher bis Mitte Februar mit ihren europäischen Partnern über die künftige Militärpräsenz beraten. Vermutlich geht die Bundeswehr nicht allein.
Fest steht, dass die Lage in Mali zunehmend gefährlich wird, nicht mehr allein im Norden, sondern mittlerweile auch im Süden, der lange als vergleichsweise stabil galt.
Lambrechts Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) hatte im vergangenen Jahr noch verlauten lassen, wenn die „Wagner“-Gruppe komme, dann werde die Bundeswehr gehen. Schon aus prinzipiellen Gründen. Ihre Nachfolgerin schien zwischenzeitlich unwillig, dieser Linie zu folgen. So einfach könne man sich nicht verdrängen lassen, hieß es. Das hatte auch mit der Konfrontation rund um die Ukraine zu tun. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), empfahl ergebnisoffenes Nachdenken und sprach gemünzt auf Mali von Provokationen, denen man zunächst auf den Grund gehen müsse.
Zunehmend gefährlich und ohne Perspektive
Längst sieht es aber danach aus, als würden diese Provokationen anhalten – und als könnten weitere folgen. Der Leiter des Regionalprogramms der Konrad-Adenauer-Stiftung in der Sahelzone, Ulf Laessing, sagt: „Militärisch kann man den Konflikt nicht lösen.“ Denn die Islamisten bauten zunehmend Parallelstrukturen auf. Freilich würde es im Falle des Abzugs der westlichen Truppen aus der Region „noch schlimmer“. Russland gelinge es jedenfalls, mit einem vergleichsweise geringen Einsatz maximale Wirkung zu erzielen, so Laessing. Mit einer massiven russischen Intervention sei nicht zu rechnen.
Nur: Dass die Situation in Mali ohne Bundeswehr „noch schlimmer“ wird, reicht vielen in Berlin als Begründung einer Mandatsverlängerung eben nicht aus. Hier liegt eine letzte Parallele zu Afghanistan. Es fehlt eine realistische Perspektive, was am Ende eines Einsatzes stehen könnte. Das ist letztlich der maßgebliche Punkt. Vielmehr droht völliges Chaos.
Das bedeutet: Wenn politisch nicht noch ein Wunder geschieht und die malische Militärjunta ihr Verhalten nicht noch einmal ändert, dann ist der Abzug programmiert. Schließlich gehe es, so verlautet aus dem Regierungsviertel, auch um die Sicherheit der Soldaten und Soldatinnen. Bisher kamen zwei von ihnen in Mali um. Bei einem Anschlag im Juni letzten Jahres wurden zwölf weitere verletzt.
Rückzug kompliziert und zeitaufwendig
Ein Abzug wäre politisch gewiss heikel. Schließlich müsste sich der Westen ein erneutes Scheitern eingestehen – und würde Islamisten weltweit indirekt zum Durchhalten ermutigen. Die Debatte, was sich mit der Entsendung von Soldaten eigentlich erreichen lässt, würde erneut Fahrt aufnehmen.
Das Konzept namens „Nation Building“, also der Wiederaufbau zerfallender Staaten unter dem Banner der Demokratie, wäre wohl endgültig Vergangenheit. Es erweist sich selbst auf dem viel näher liegenden und wesentlich kleineren Balkan bis heute als schwierig.
Der Schritt wäre ferner militärisch problematisch. Die Ausbildungsmission EUTM ließe sich leichter beenden, sagen Fachleute – zumal sie kleiner ausgelegt ist. Bei der UN-Mission Minusma sieht das allerdings anders aus. Die Bundeswehr kooperiert dort noch stärker mit den Streitkräften anderer europäischer Nationen, mit Briten etwa und Schweden. Sie handelt also nicht auf eigene Faust. Mit anderen Worten: Ein Abzug wäre logistisch kompliziert und würde wie in Afghanistan auf jeden Fall viel Zeit in Anspruch nehmen.
Ein Militärexperte, der ungenannt bleiben möchte, sagt: „Wenn im März beschlossen würde, die Soldaten zurückzuholen, dann wären sie Weihnachten wieder in Deutschland.“ Ungefähr so wird es wohl auch kommen.