Extremismus von links und rechts: Was die Zahlen über das Problem in Deutschland verraten
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Lina E. wurde nach ihrer Verhaftung mit dem Hubschrauber zum Bundesgerichtshof in Karlsruhe geflogen (Archivbild).
© Quelle: EPA-EFE/RONALD WITTEK
Berlin. Seit ihrer Festnahme 2020 ist Lina E. das Gesicht der linksextremen Szene in Deutschland. Rund um den Prozess und das Urteil am Mittwoch wurden ihr und ihren Mitstreitern viel Aufmerksamkeit zuteil. Für linke Taten ist das eher ungewöhnlich – sieht man von einzelnen Eskalationen wie beim G20-Gipfel in Hamburg oder auf Demos zum 1. Mai in Berlin ab. Manche sehen darin eine Vernachlässigung linker Straftaten im Vergleich zu solchen von rechts, Lina E. sei kein Einzelfall. Tatsächlich gibt es in Deutschland eine große linksextreme Szene, die aber deutlich weniger Straftaten verübt als die rechtsextreme Szene.
Insgesamt wurden 2022 knapp 59.000 politisch motivierte Straftaten im „Kriminalpolizeilichen Meldedienst Politisch motivierte Kriminalität“ erfasst. Darunter fallen 23.493 rechtsextreme Taten, knapp 7 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Zahl der linken Straftaten ist deutlich geringer: 2022 waren es 6976, außerdem wurde in dieser Kategorie ein Rückgang um rund ein Drittel registriert. Damit liegt der Wert so niedrig wie lange nicht mehr.
Zur politisch motivierten Kriminalität zählen Bundesinnenministerium und Bundeskriminalamt zum einen alle Straftaten, die sich direkt gegen den Staat richten. Zum anderen fallen darunter aber auch Straftaten aus dem Bereich der Allgemeinkriminalität, wenn sie zum Beispiel dazu dienen, bestimmte politische Ziele zu erreichen, oder sich gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung richten.
Statistik mit Tücken
Die Zuteilung in die Kategorien – neben linken und rechten Straftaten werden auch „ausländische Ideologien“ und „religiöse Ideologien“ erfasst – unterscheidet sich von anderen Kriminalstatistiken: Ein Fall findet bereits Eingang, wenn die Polizei zu Beginn einen extremistischen Hintergrund vermutet. In der Polizeilichen Kriminalstatistik hingegen werden nur Fälle erfasst, die die Polizei aus ihrer Sicht ausermittelt und der Staatsanwaltschaft übergeben hat.
Rund 40 Prozent aller politisch motivierten Straftaten ließen sich 2022 nicht zuordnen, dabei geht es zum Beispiel auch um Vorfälle auf Corona-Demos. Möglicherweise ist diese Zahl auch deshalb so hoch, weil es im Laufe der Ermittlungen zwar Erkenntnisse über den politischen Hintergrund der Tat gab, die Kategorie in der Statistik aber nicht korrigiert wurde. Das und die Dunkelziffer der gar nicht erfassten Fälle könnten dazu führen, dass das Verhältnis zwischen linken und rechten Taten nur bedingt aussagekräftig ist.
Viele rechte Propagandadelikte
Die relativ hohen Zahlen rechter Straftaten im Vergleich zu linken spiegeln sich nicht in allen Formen der Kriminalität. Der größte Unterschied besteht bei Propagandadelikten, etwa das Besprühen von Wänden mit Hakenkreuzen: Mehr als 14.000 solcher Delikte gab es von rechts, gerade einmal 85 von links. Diese Form der Straftaten macht rund 60 Prozent der rechten Kriminalität aus – ohne sie lägen die Gesamtzahlen bei linken und rechten Taten deutlich näher beisammen.
Mehr rechte als linke Taten gibt es auch bei Volksverhetzungen und Beleidigungen. Umgekehrt stellen sich die Zahlen bei Sachbeschädigungen und Verstößen gegen das Versammlungsgesetz dar: Hier liegen jeweils die Straftaten von links deutlich vorne. Das hängt mit einer Besonderheit der linken Szene zusammen. Sie tritt vor allem bei großen Demonstrationen und besonderen Anlässen auf. Das Bundeskriminalamt bringt das so auf den Punkt: Während bei Linken Steine- und Flaschenwerfen typisch sei, seien es bei den Rechten meist Gewalttaten von Angesicht zu Angesicht.
Die Unterschiede bei den Gewalttaten sind allerdings weniger groß als auf anderen Feldern: 2022 gab es 1170 solcher Straftaten von rechts und 842 von links. Diese Daten haben aber ihre Tücken: Der Begriff „Gewalt“ wird anders als in anderen Kriminalstatistiken definiert. Normalerweise geht es dabei um direkte Taten gegen Menschen, darunter fallen dann beispielsweise Körperverletzung, Vergewaltigungen oder Mord. Die Statistiken zur politisch motivierten Gewalt hingegen beziehen beispielsweise auch Widerstand gegen Polizeibeamte oder Landfriedensbrüche ein.
Ein weiterer Ansatz, um die Größe von links- und rechtsextremer Szene zu vergleichen, sind die Statistiken des Verfassungsschutzes: Der führte 2021 rund 35.000 Linksextremisten, davon gelten 10.300 als gewaltorientiert. Rechtsextremisten zählte der Verfassungsschutz rund 34.000. Die Zahl der gewaltorientierten Menschen in der Szene ist mit 13.500 im Verhältnis aber höher als bei den Linksextremen.
Alle diese Zahlen sind in den vergangenen Jahren relativ gleichmäßig gestiegen. Eine Verschiebung der Größenverhältnisse zwischen rechts- und linksextremer Szene ist demzufolge nicht in Sicht.