Nach Moskau-Reise: EU-Außenbeauftragter Borrell verteidigt sich
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/QFAH2WAEFREZNMZHSJQZXPXU2E.jpeg)
Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell (links) und der russische Außenminister Sergej Lawrow.
© Quelle: Vasily Maximov/European Commissi
Brüssel. Die Russland-Politik der EU droht im Chaos zu versinken. Der Streit über den Umgang mit Moskau bringt inzwischen auch den EU-Außenbeauftragten Josep Borrell in schwere Bedrängnis. Weil sich Borrell bei einem Moskau-Besuch vergangene Woche vom russischen Außenminister Sergej Lawrow auf offener Bühne vorführen ließ, werden Rücktrittsforderungen an den spanischen Sozialdemokraten laut.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hält allerdings noch an ihrem Chefdiplomaten fest, der sich am Dienstag im Europaparlament gegen die Vorwürfe wehrte.
In einem Schreiben an von der Leyen verlangen mehr als 80 Europaabgeordnete: „Wir glauben, dass die Präsidentin der Europäischen Kommission handeln sollte, falls Herr Borrell nicht freiwillig zurücktritt.“ Borrell habe bei einem gemeinsamen Auftritt mit Lawrow versagt und dem Ansehen der EU Schaden zugefügt, heißt es in dem Brief, den vor allem Abgeordnete aus Osteuropa und dem Baltikum unterzeichnet haben. Abgeordnete aus Deutschland haben nicht unterschrieben.
Streit um Besuch bei Nawalny
Die Abgeordneten sprechen von „besorgniserregenden Entwicklungen“ während des Besuchs, die große Sorgen machten. Statt den Kremlkritiker Alexej Nawalny im Gefängnis zu besuchen, habe Borrell während der Pressekonferenz mit Lawrow fälschlicherweise behauptet, es gebe in der EU keine Debatte über Sanktionen, heißt es in dem Schreiben. Dabei hätten die Regierungen einiger Mitgliedsstaaten Strafmaßnahmen gefordert, weil Nawalny mit dem international verbotenen Kampfstoff Nowitschok vergiftet worden sei.
Die Abgeordneten werfen Borrell zudem vor, Lawrow nicht entschieden genug widersprochen zu haben, als dieser sagte, die EU sei für Russland kein zuverlässiger Partner. Borrell habe stattdessen die US-Sanktionen gegen Kuba kritisiert. Auch habe Borrell in Moskau den Krieg in der Ostukraine nicht erwähnt, aber den russischen Impfstoff Sputnik V gut geheißen, obwohl dieser in der EU noch nicht zugelassen sei.
Von der Leyen hat „volles Vertrauen“ in Borrell
EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen stellte sich vor ihren Chefdiplomaten. Sie habe „volles Vertrauen“ in Borrell, ließ von der Leyen durch ihren Sprecher ausrichten: „Es gibt keinerlei Naivität von unserer Seite.“ Borrell sei lediglich höflich gewesen und habe sich nicht in eine öffentliche Kontroverse mit Lawrow ziehen lassen.
Als zusätzliche Demütigung von russischer Seite kam hinzu, dass das Moskauer Außenministerium drei Diplomaten aus Deutschland, Schweden und Polen des Landes verwies. Diese Entscheidung wurde kurz nach der Pressekonferenz verkündet, sodass Borrell keine Möglichkeit hatte, auf die Provokation öffentlich zu antworten.
Der EU-Außenbeauftragte wehrte sich am Dienstag in einer Rede vor dem Europaparlament in Brüssel gegen die Vorwürfe. Er habe in Moskau sehr wohl den Fall Nawalny angesprochen. Dieser habe sogar im Mittelpunkt seiner Gespräche mit Lawrow gestanden und zu einem „hohen Maß an Spannung“ geführt. Ein Mitglied seiner Delegation habe sich zudem mit einem Anwalt des Kremlkritikers Nawalny getroffen.
Nawalny zu treffen sei aber nicht möglich gewesen, weil der Putin-Kritiker am Tag seines Besuchs bei einer Gerichtsverhandlung gegen ihn gewesen sei, sagte der EU-Chefdiplomat. Insgesamt habe er den Eindruck, „dass Russland sich fortschreitend von Europa abkoppelt und demokratische Werte als existenzielle Bedrohung ansieht“. Das Verhältnis Russlands zu Europa sei so angespannt wie nie seit dem Fall des Eisernen Vorhangs vor drei Jahrzehnten.
Sanktionen umstritten
Anders als bei der Pressekonferenz vergangene Woche in Moskau deutete Borrell am Dienstag in Brüssel öffentlich an, dass Russland wegen der Vergiftung Nawalnys mit neuen Sanktionen rechnen müsse. Erste Entscheidungen dazu könnten am 22. Februar fallen. Dann treffen sich die Außenminister der 27 EU-Mitgliedsstaaten.
Im Gespräch sind Sanktionen gegen Putin-freundliche Oligarchen, die viel Geld und Immobilienbesitz in der EU haben. Einige Mitgliedsstaaten im Osten der EU wollen auch den Bau der umstrittenen Ostseegaspipeline Nord Stream 2 nach Mecklenburg-Vorpommern stoppen. Deutschland will das verhindern. Das dürfte noch zu erheblichem Streit in der EU führen, denn Sanktionsentscheidungen müssen einstimmig fallen.