Nach Verweis wegen Tinder-Profil: Bundeswehrkommandeurin zieht vors Bundesverfassungsgericht
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Anastasia Biefang (links), Kommandeurin der Bundeswehr, und Michael Gladow, Rechtsanwalt, hier im Mai dieses Jahres vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.
© Quelle: Sebastian Willnow/dpa
Karlsruhe. Die Bundeswehroffizierin Anastasia Biefang zieht nach Karlsruhe: Mit einer Verfassungsbeschwerde wehrt sie sich gegen einen Verweis, den sie für ihr privates Tinder-Profil erhalten hat. Biefang ist Oberstleutnant der Bundeswehr im Kommando Informationstechnik. Die 48-Jährige ist als trans Frau bekannt und wird von der Bundeswehr auch als Aushängeschild für Vielfalt präsentiert.
Ärger bekam sie aber wegen ihres privaten Tinder-Profils. Dort beschrieb sich Biefang so: „Spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung und auf der Suche nach Sex. All genders welcome“. Das Profil enthielt keinerlei Bezug zu ihrer Tätigkeit bei der Bundeswehr. Sie war in ziviler Kleidung, also ohne Uniform, zu sehen – mit sichtbarem Ehering.
Nähe zu Russland: Reserveoffizier soll spioniert haben
Im Frühjahr hatte die Bundesanwaltschaft Anklage gegen einen Reserveoffizier erhoben.
© Quelle: Reuters
Hierfür wurde Biefang 2019 mit einem sogenannten Verweis gerügt, der bereits in zwei Instanzen gerichtlich bestätigt wurde. So entschied das Truppendienstgericht Süd im November 2020, Biefang habe „sich selbst und ihre wechselnden Geschlechtspartner zu reinen Sexobjekten reduziert“. Damit habe sie sowohl das „Ansehen der Bundeswehr als auch ihre eigene Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit beeinträchtigt“.
Im Mai diesen Jahres bestätigte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig den Verweis mit neuer Begründung: Als Vorgesetzte könne sie gegenüber ihren Soldaten disziplinare Maßnahmen wegen sexueller Übergriffe „nicht glaubhaft vermitteln“, wenn ihr Tinder-Profil „auf ein hemmungsloses Ausleben des Sexualtriebs“ hindeute.
Biefang beruft sich auf sexuelle Selbstbestimmung
Gegen den Verweis und die Gerichtsurteile erhob Biefang nun Verfassungsbeschwerde. Sie wird dabei von der Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und vom Verein QueerBW unterstützt. Biefang ist auch Vizevorsitzende von QueerBW. Der 84-seitige Schriftsatz liegt dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) vor.
Biefang beruft sich vor allem auf ihr Grundrecht auf sexuelle Selbstbestimmung, einen Unterfall des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Zur sexuellen Selbstbestimmung gehöre auch das „Recht, sexuelle Kontakte zu suchen und bei dieser Suche ehrlich und nach eigener Vorstellung das eigene Begehren zu thematisieren“. Für sie gehöre eine offene Beziehung zur Identität, ebenso das sexuelle Interesse gegenüber allen Geschlechtern, die sogenannte Pansexualität.
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Soweit ihr das Bundesverwaltungsgericht „überspitzte“ Formulierungen im Tinder-Profil vorwirft, sei das Gericht „weder mit Tinder noch mit der Kommunikation über queere Sexualität vertraut“.
So stelle die Aussage „offene Beziehung, auf der Suche nach Sex“ klar, dass Biefang keine romantische Beziehung sucht, sondern bereits in einer Partnerschaft lebt. Mit dem Hinweis, dass ihre Ehefrau mit weiteren sexuellen Kontakten einverstanden ist, beuge Biefang Erpressungsversuchen vor. Mit „all genders welcome“ habe Biefang keine Wahllosigkeit, sondern ihre pansexuelle Orientierung beschrieben.
Profil sollte Erpressungsversuchen vorbeugen
Plattformen wie Tinder seien für Menschen aus sexuellen Minderheiten besonders wichtig, da sie im persönlichen Umfeld oft nicht die geeigneten Partner finden, so Biefangs Klage. Wenn von ihr faktisch verlangt werde, keine Datingplattformen mehr zu nutzen, um bei der Bundeswehr niemand zu irritieren, sei das ein massiver Einschnitt in ihr außerdienstliches Privatleben und ihre Grundrechte.
Für diesen Eingriff gebe es keine taugliche Rechtfertigung. Die Bundeswehr dürfe nicht überkommene Moralvorstellungen zum Maßstab von Disziplinarmaßnahmen machen. „Es widerspricht den Grundrechten in einer liberalen Gesellschaft, dass die legale Freiheitsausübung nur soweit möglich sein soll, wie sie keinen Anstoß erregt“, heißt es in der Verfassungsbeschwerde. Außerdem sei die Vorstellung, eine promiske Vorgesetzte könne sexuelle Übergriffe nicht glaubhaft unterbinden, „abwegig“ und damit als Argument schon im Ansatz ungeeignet.
Wann das Bundesverfassungsgerichts entscheiden wird, ist noch völlig offen.