Nato fängt in 570 Fällen russische Jets ab – doppelt so viele wie im Vorjahr
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„Wir bleiben wachsam“, heißt es bei der Nato: US-Kampfflugzeuge vom Typ F-35A Lightning II Ende Januar 2023 auf der Thule Air Base in Grönland.
© Quelle: DoD
Im Jahr 2022 haben Nato-Jets in Europa 570 Einsätze geflogen, um russische Militärflugzeuge abzufangen, die sich dem Luftraum des Bündnisses näherten. Diese bislang unveröffentlichte Zahl nannte ein Nato-Beamter gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Im Vergleich zum Vorjahr ergibt sich damit beinahe eine Verdopplung: Im Jahr 2021 hatte das Bündnis 290 Fälle dieser Art registriert.
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Der Nato-Beamte sagte, die meisten Einsätze im Jahr 2022 hätten über der Ostsee stattgefunden. In aller Regel habe man die russischen Maschinen abdrängen und Eskalationen vermeiden können: „Die überwiegende Mehrheit der Luftbegegnungen verlief sicher und professionell.“
In einigen wenigen Fällen jedoch hätten russische Militärflugzeuge „riskante Manöver in der Nähe unbewaffneter alliierter Aufklärungsflugzeuge durchgeführt“. Auch hätten russische Militärflugzeuge im November Nato-Schiffe auf einer Routinepatrouille in der Ostsee „auf unsichere Weise überflogen“. Die Verbündeten hätten ihre Besorgnis über diese Vorfälle auf diplomatischem Wege gegenüber russischen Stellen zum Ausdruck gebracht.
Achtmal Alarm Anfang Februar 2023
Auch im Jahr 2023 bleibt es unruhig am Himmel über Europa. Anfang Februar gab es gleich achtmal Alarm in einer einzigen Woche. Stets ging es um Estland, Lettland und Litauen. Mal näherten sich dem Luftraum der drei kleinen Nato-Staaten Kampfflugzeuge vom Typ SU-27 oder SU-30, mal waren es schwere Militärtransporter vom Typ IL-76. Mitte Februar fing die niederländische Luftwaffe drei russische Militärflugzeuge in der Nähe des polnischen Luftraums ab. Die Maschinen kamen aus Kaliningrad.
In allen Fällen taten die russischen Besatzungen so, als schere es sie nicht, dass sie gleich das Territorium souveräner Nationen überfliegen. Ob über der Ostsee, der Ostgrenze Polens oder am Schwarzen Meer: Drei Auffälligkeiten machen aus manchen Flügen des russischen Militärs eine Provokation:
- Die russischen Besatzungen geben oft, anders als international üblich, vorab keinen Flugplan bekannt.
- Sie finden es auch unnötig, wenigstens während des Flugs Kontakt zur zuständigen regionalen Luftsicherheitsbehörde aufzunehmen und Informationen zu geben über ihr Woher und Wohin.
- Manche haben bei Annäherung an die Nato-Staaten sogar ihren Transponder abgeschaltet. Normalerweise geben in Flugzeugen aller Art Transponder per Dauersignal laufend digital Auskunft über Herkunft und Identität der Maschine
In solchen Fällen wird die Nato aktiv. Westliche Kampfflugzeuge steigen auf, und schon in der Luft befindliche westliche Patrouillen ändern ihren Kurs: Das im Bündnis verabredete „air policing“ beginnt.
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Chelsea Manning im Interview: „Ich bin keine Heldin – aber ich versuche, als Vorbild zu taugen“
Vor zwölf Jahren sorgte Chelsea Manning für die Veröffentlichung geheimer Dokumente der US-Army – und enthüllte so amerikanische Kriegsverbrechen im Irak. Trotzdem sei sie weder Pazifistin noch Heldin, sagt sie heute: Sie fühle sich vielmehr als „Fußnote“ in diesem Skandal. Warum sie ein Buch schrieb, um das zu ändern, und wieso sie gern das Vorbild für trans Kids wäre, das sie selbst nie hatte, erklärt sie im RND-Interview.
Worin liegt der Sinn der Provokationen?
Die russischen Maschinen bekommen plötzlich Begleitung – so nah, dass man sie auch ohne Hilfsmittel aus dem Fenster sehen kann. Die ihnen näher gerückten Nato-Besatzungen klären zweifelsfrei die Identität und die Nationalität der Maschinen und leiten die Daten an ihre Einsatzzentralen weiter. Dann weisen sie den russischen Flugzeugen den Rückweg in Richtung des internationalen Luftraums und eskortieren sie bei Bedarf für eine Weile. All dies geschieht, bevor Nato-Territorium überflogen wird.
Zur „show of force“ kann es gehören, dass die westlichen Jets durch kurze Drehbewegungen um die eigene Achse ihre Bewaffnung zeigen. Die russischen Besatzungen allerdings wissen ohnehin, dass sie sich, sobald ihre Maschinen identifiziert sind, zusätzlich auch im Zielradar moderner Boden-Luft-Raketensysteme befinden, die zur mehrschichtigen Flugabwehr der Nato zählen.
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„Eine Art fortlaufender Test, eine unendliche Nervenprobe“: Ein Eurofighter der Bundeswehr startet zum „air policing“ in Estland.
© Quelle: Jens Büttner/dpa
Sämtliche Episoden dieser Art sind bislang auf die gleiche Weise ausgeklungen: Die russischen Maschinen drehen am Ende ab.
Worin also, fragen sich nicht nur Laien, sondern auch Fachleute, liegt der Sinn der russischen Provokationen? Zu besichtigen sei, heißt es in Nato-Kreisen, „eine Art fortlaufender Test, eine unendliche Nervenprobe“, ähnlich wie es Taiwan seit vielen Jahren mit China erlebe.
Die Nato will „keinen Raum für Missverständnisse“
Peking schickt phasenweise, mitunter täglich, ganze Schwärme von Kampfjets durch Taiwans Luftverteidigungszone, einen zwölf Seemeilen breiten Gürtel um die Insel herum. Die Folge ist eine doppelte Ermüdung bei Taiwans Luftwaffe. Die immer neuen Starts will man den Piloten kaum noch zumuten, erwogen wird neuerdings eine stärker autonom funktionierende Flugabwehr. Auch die Kosten für die Materialabnutzung bei den immer neuen Abfangmanövern sind in Taiwan zum Diskussionsthema geworden.
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Nach Rumänien verlegt: Awacs-Aufklärungsflugzeug der Nato.
© Quelle: Andreea Alexandru/AP/dpa
Die Nato indessen will derzeit angesichts des Kriegs in der Ukraine auf keinen Fall müde erscheinen. Im Zweifel wird eher geklotzt als gekleckert. „Wir bleiben wachsam“, heißt es im Hauptquartier der Allianz. „Wir werden sicherstellen, dass es in Moskau keinen Raum gibt für Missverständnisse über unsere Bereitschaft zur Verteidigung aller Bündnispartner.“
Tatsächlich zeigt sich das Bündnis mehr denn je gerüstet für einen Kalten Krieg am Himmel über Europa, vom Schwarzen Meer bis hinauf in den hohen Norden. Mitte Januar verlegte die Nato einen Teil ihrer Awacs-Überwachungsflugzeuge von der deutschen Basis Geilenkirchen nach Otopeni nahe Bukarest –von dort aus sollen die Hightechmaschinen tiefer als bisher in den russischen Luftraum spähen.
Dänemark gestattete zugleich der US-Luftwaffe die Landung einer ganzen Staffel von Kampfflugzeugen vom Typ F-35A Lightning II auf der Thule Air Base in Grönland. Thule operiert derzeit in ganztägiger Dunkelheit, und beim Landen auf den vereisten Bahnen müssen die Piloten Fangschirme einsetzen. Übungen wie diese, wissen Luftwaffensoldaten weltweit, senden Signale der Entschlossenheit.