Neues Video von Nawalny-Team enthüllt 240-Millionen-Datscha
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In Russland inhaftiert, aber sein Team veröffentlicht noch immer Videos: der russische Oppositionsführer Alexey Nawalny.
© Quelle: Alexander Zemlianichenko/AP/dpa
Moskau. Bei den letzten zwei Großdemonstrationen, die es im Januar 2021 für die Freilassung des inhaftierten russischen Oppositionspolitikers Aleksej Nawalny in Moskau gab, waren Plastikklobürsten eines der Symbole, mit denen die Protestierenden die Korruptionswirtschaft in ihrem Land anprangerten.
Derartige Reinigungsinstrumente in vergoldeter Form zu einem Einzelpreis von 700 Dollar sollen sich in den Toiletten eines riesigen Prachtbaus an der russischen Schwarzmeerküste befinden, dessen Eigentümer laut Nawalny de facto der russische Präsident Wladimir Putin ist, wie der Regimekritiker in dem Video „Ein Palast für Putin“ anprangerte.
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Eine Protestaktion zur Unterstützung von Alexej Nawalny im Januar 2021.
© Quelle: Vitaly Nevar/TASS/dpa
Der Youtube-Film war bei seiner Veröffentlichung im Januar 2021 ein kolossales Aufregerthema. Rasch überstieg die Zahl der Aufrufe die 100-Millionen-Schwelle, heute liegt sie bei gut 124 Millionen.
Identität der wahren Eigentümer wird verschleiert
Pünktlich zum Petersburger Wirtschaftsforum vor wenigen Tagen veröffentlichte Nawalnys Team zusammen mit der Investigativplattform „Proekt“ wieder einen Enthüllungsclip, der belegen soll, wie sich die russische Nomenklatura schamlos bereichert. Dieses Mal traf es Alexej Miller, den langjährigen Gefährten Putins aus Petersburger Tagen, der 2001 vom Präsidenten zum Chef des weltweit größten Erdgasförderunternehmens Gazprom ernannt wurde.
Der eineinhalbstündige Youtube-Beitrag „Putin. Miller. Gazprom“ zeigt auf, wie Miller sich mit vielen anderen Putin-Vertrauten an den Gewinnen von Gazprom bereichert haben soll – und in welchen Luxusanwesen er residiert.
Nach den Recherchen der Journalisten soll das Immobilienimperium, das sie Miller und seiner Familie zurechnen, mehr als 750 Millionen Dollar wert sein. Darunter seien Villen und Landhäuser in Sotschi, Hotels und Häuser im Klimakurort Gelendschik am Schwarzen Meer und im Altaigebirge sowie Anwesen in Moskau. Offiziell würden für die Immobilien andere Besitzer eingetragen sein, wie so oft in Russland, doch sie sollen laut Rechercheteam Teil eines Unternehmensgeflechts sein, das die Identität der wahren Eigentümer verschleiert.
Eine der teuersten Privatresidenzen des Landes
Im Zentrum des Videos steht das Anwesen „Greenfield“ in einem Moskauer Vorort, dessen wahrer Eigentümer den Recherchen nach Miller ist. Das Luxusanwesen soll auf eine Wohnfläche von circa 8500 Quadratmeter und einen geschätzten Wert von knapp 240 Millionen Dollar kommen. Damit wäre es eine der teuersten Privatresidenzen des Landes.
Formal lässt sich das nach Angaben des Nawalny-Teams und „Proekt“ nicht klären. In den Grundbuchauszügen wird die „Russische Föderation“ als Eigentümerin genannt, doch die Journalistin Maria Pewtschich, die in „Putin. Miller. Gazprom“ als Moderatorin auftritt und an der Recherche für das Video beteiligt war, hält das für unsinnig.
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Alexej Miller, Gazprom-Chef.
© Quelle: IMAGO/ITAR-TASS
Hinter dem Begriff würden sich üblicherweise Individuen verbergen: „Mir sind noch keine juristischen Personen begegnet, die als ‚Russische Föderation‘ firmieren“, sagte sie dem unabhängigen russischen Nachrichtenportal „Nowoje Wremja“. Bis 2020 habe die Immobilie Dokumenten zufolge aber einer Firma namens Wladenie-W gehört, die zwei Nachrichtendienstlern zugeordnet wird: Sergej Tregub vom militärischen Geheimdienst GRU und Alexander Smirnow vom Inlandsgeheimdienst FSB.
Wladenie-W habe den Nachforschungen zufolge hohe Zahlungen erhalten – mindestens 34 Milliarden Rubel (627 Millionen Dollar). Die Gelder hätten von Gazstrojprom gestammt, einem Auftragnehmer von Gazprom. Wladenie-W besitze auch eine Reihe von Luxusautos, die von Miller benutzt würden, sowie den sogenannten „Millerhof“ in der Nähe von Moskau. Der Wert dieser Liegenschaft wird bei 97,6 Millionen Dollar angesetzt.
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Ein russischer Staatsbankrott, der keiner ist
Erstmals seit 1918 kann Russland die Zinsen für Staatsanleihen nicht mehr zahlen – dabei ist mehr als ausreichend Geld in Putins Kasse. Sein Finanzminister spricht von einer Farce, weil Zahlungen durch Sanktionen unmöglich gemacht werden. Wie geht es jetzt weiter?
„Wir sind ja nicht der Mossad“
Pro forma lässt sich der „Greenfield“-Eigentümer aus Sicht der Rechercheure nicht feststellen, doch sie glauben mehrere Indizien dafür gefunden zu haben, dass die Luxusimmobilie Gazprom-Chef Miller zuzurechnen ist.
Zum einen befände sich auf dem Grundstück eine 2000 Quadratmeter große Reithalle mit Pferdestall. Miller gilt als Pferdeliebhaber, war selbst Vorsitzender des Verwaltungsrats der russischen Pferderennbahnen und besitzt auch mehrere Rennpferde. Zum anderen soll sich Miller laut der Auswertung von Flugdaten immer wieder mit einem Gazprom-Hubschrauber in „Greenfield“ absetzen haben lassen, wenn er von Geschäftsreisen kam.
Auf die Frage, ob es Filmaufnahmen von Miller in diesen Helikoptern gebe, räumte Pewtschich ein, dass dies nicht der Fall sei: „Nein, solche Aufzeichnungen sind technisch schwierig zu bewerkstelligen“, sagte sie im Interview mit „Nowoje Wremja“. „Wir sind ja nicht der Mossad oder ein Spezialdienst, der mehrere Drohnen in verschiedenen Abständen aufsteigen lässt, damit sie lange genug für die Aufnahmen in der Luft sind, aber kurz genug, um nicht bemerkt zu werden.“
Weitere Indizien
Was das Nawalny-Team mit seinen Fähigkeiten aber geschafft habe, sei die korrekte Berechnung der Flugdauer, um die Drohnen jeweils in dem Moment in die Luft zu bringen, wenn der Helikopter vom Moskauer Gazprom-eigenen Flughafen Ostawjewo abhebe und auf dem Hubschrauberlandeplatz des „Greenfield“-Anwesens lande: „Niemand außer Miller fliegt mit diesen Gazprom-Luftfahrzeugen, und dementsprechend wohnt auch niemand außer Miller in dieser Datscha.“
Als weiteres Indiz dafür, dass der „Greenfield“-Hausherr „Miller“ heißt, wird in „Putin. Miller. Gazprom“ Bezug auf Marina Jentalzewa genommen. Putins frühere Sekretärin und inzwischen aktuelle Lebensgefährtin Millers, soll circa 8 Milliarden Rubel (150 Millionen Dollar) für die Villa bezahlt haben. Darauf lassen zumindest die Finanzunterlagen schließen, die im Film präsentiert werden.
Erneut führt das neue Enthüllungsvideo die dekadente Prasserei vor Augen, der die russische Oberschicht frönt. Auf Drohnenaufnahmen kann der Zuschauer das angeblich 62.000 Quadratmeter große Grundstück überblicken. Neben dem Hauptgebäude gibt es Häuser für Gäste, Angestellte, Wachhäuser am Eingang, und eine orthodoxe Kapelle.
Empörung bleibt aus
Das dreistöckige Wohnhaus mit kunstvollen Säulen, Terrasse zum Sonnen und einer großen Glaskuppel soll Schlaf-, Büro- und Esszimmer mit teuerster Ausstattung haben, sowie einen Raum, der eigens für Pelzmäntel als Garderobe dienen soll.
So zeigen die Baupläne ein Schwimmbad, eine unterirdische Eisbahn, ein Heimkino, einen Billard- und Minigolfraum, sowie eine Kegelbahn.
Der ‚Fall Miller‘ erscheint so trivial im Kontext von Leben und Tod und dem neuen Abgrund, dem viele Menschen jetzt gegenüberstehen.
Lilia Schewtsowa,
Politologin
Symbole für eine exzessive Lebensweise à la goldene Klobürsten bietet „Putin. Miller. Gazprom“ zuhauf, allein die Aufregung hielt sich nach der Veröffentlichung des Clips in Russland sehr in Grenzen. Einige unabhängige Medien wie „Meduza“ und „Bumaga“ berichteten über das Video, aber nur in kleinen Artikeln. Eine Empörung wie sie die Veröffentlichung des Youtube-Films „Nennen Sie ihn nicht Dimon“ 2017 über die offensichtlich zusammengegaunerten Ländereien des damaligen Premierministers Dmitrij Medwedew ausgelöst hatte, als die Menschen den Protest zu Tausenden auf die Straße trugen, brach sich nicht im Geringsten Bahn.
Nur 6,5 Millionen Klicks
Wurde das „Dimon“-Video bis heute mehr als 45 Millionen Mal angeklickt, bringt es „Putin. Miller. Gazprom“ nach elf Tagen gerade mal auf 6,5 Millionen Abrufe. Es ist fraglich, ob es überhaupt mehr als zehn Millionen Abfragen erreichen wird, da das allgemeine Interesse nach der Veröffentlichung in der Regel rasch nachlässt.
Die Moskauer Politologin Lilia Schewtsowa erklärt sich das geringe öffentliche Interesse an dem Miller-Video mit der Ohnmacht, die viele Russen nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine empfinden: „Der ‚Fall Miller‘ erscheint so trivial im Kontext von Leben und Tod und dem neuen Abgrund, dem viele Menschen jetzt gegenüberstehen“, sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
Pessimismus macht sich breit
Es komme hinzu, dass die umfassende Gleichschaltung der Medien und der sozialen Netzwerke die Verbreitung von weiteren Informationen und anschließenden Debatten darüber unmöglich mache: „Das ‚Korruptionsthema‘ hat sich spürbar erschöpft“, sagt Schewtsowa: „Jeder weiß, dass die Macht korrumpiert ist. Ein weiterer Fall bringt keine neuen Enthüllungen. Ja, sie lassen sich schmieren. Na und?! Neue Korruptionssalven werden geringere Sprengkraft entfalten. Das bedeutet, dass neue Weckrufe für die frustrierte und gelähmte Gesellschaft benötigt werden. Doch welche könnten das sein?“
Der Moskauer Publizist Andrei Kolesnikow von der Carnegie-Stiftung für den internationalen Frieden in Washington hört sich noch pessimistischer an: „Die Menschen wissen schon lange, dass die Leute an der Spitze stehlen, also was soll‘s? Wie schwer wiegt die Korruption gegenüber dem Umstand, dass wir uns jetzt im Kriegszustand mit dem Rest der Welt befinden, in dem alle gegen uns sind?“
Der Umstand, dass Alexej Nawalny die mediale Tagesordnung nicht mehr bestimme, obwohl er gerade erst in eine noch abgeschiedenere und schrecklichere Strafkolonie verlegt worden sei, zeige, wie sehr der innenpolitischen Oppositionsbewegung marginalisiert worden sei: „Es ist eine Machtdemonstration des Kremls, die zum Ausdruck bringt, dass jeder Protest sinnlos ist. Die Menschen spüren: Es ist einfacher, sich der Mehrheit anzuschließen, Teil des großen patriotischen Ganzen zu werden.“
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