E-Paper

Neuwahlen in London: So schwierig ist die Lage für Johnson und Corbyn

Wer wird am Ende die Nase vorn haben: Labour-Chef Jeremy Corbyn (l.) oder Premier Boris Johnson?

Wer wird am Ende die Nase vorn haben: Labour-Chef Jeremy Corbyn (l.) oder Premier Boris Johnson?

Berlin/London. Nach der Zustimmung des Parlaments zu einer vorgezogenen Neuwahl in Großbritannien sind die Spekulationen über die Chancen des Premierministers auf einen Wahlsieg voll im Gange. Das Unterhaus hatte am Dienstagabend mit großer Mehrheit ein Gesetz verabschiedet, das eine vorgezogene Parlamentswahl am 12. Dezember vorsieht. Das Gesetz muss zwar noch vom Oberhaus abgesegnet werden, doch das gilt in diesem Fall als Formalie.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Umfragen zufolge liegen die Konservativen von Premierminister Boris Johnson weit vor der oppositionellen Labour-Partei. Doch so war es auch vor dem Wahlkampf 2017. Nach anfangs prognostizierten 25 Prozent lagen die Sozialdemokraten am Ende bei 40 Prozent.

Damals rechnete die frühere Premierministerin Theresa May damit, die knappe absolute Mehrheit der Torys im britischen Unterhaus auszubauen. Politische Kommentatoren bescheinigten ihr, von der Mehrheit der Wähler einen klaren Auftrag für ihren harten Brexit-Kurs bekommen zu wollen. Erwartet worden war ein Erdrutschsieg. Unterm Strich standen schließlich Stimmverluste und nur 42,4 Prozent. Eine Koalition mit der nordirischen DUP musste her, um eine hauchdünne Parlamentsmehrheit zu sichern.

Auf die DUP kann Johnson wohl nicht zählen

Doch auf die DUP kann ihr Nachfolger Johnson nun wohl nicht hoffen. Den neuen Brexit-Deal lehnt die nordirische Regionalpartei strikt ab. Davon, dass Nordirland im EU-Binnenmarkt bleibt, um Kontrollen an der Grenze zu Irland zu vermeiden, hält sie nichts. Ebenso wenig wie von der stattdessen vorgesehenen Zollgrenze in der irischen See.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Und das sind noch nicht alle Komplikationen, mit denen die Torys rechnen müssen. Denn anders als Labour haben sie auch keine Aussicht darauf, als Minderheitsregierung von einer anderen Partei unterstützt zu werden.

Die Chefin der britischen Liberaldemokraten, Jo Swinson, hat schon klargemacht, was sie von Johnson als Regierungschef hält: Auf keinen Fall werde sie ihn unterstützen, da er vollkommen ungeeignet sei. Das Gleiche bescheinigt sie Jeremy Corbyn. Es gilt nicht als ausgeschlossen, dass wieder keine der großen Parteien eine absolute Mehrheit der Stimmen erringt.

Johnson hofft zwar auf eine Mehrheit, um sein mit Brüssel ausgehandeltes Brexit-Abkommen umzusetzen und Großbritannien schnellstmöglich aus der Europäischen Union zu führen. Doch er muss damit rechnen, Mandate an die Liberaldemokraten und die Schottische Nationalpartei (SNP) zu verlieren.

Einziger Ausweg ist, den Sozialdemokraten von Labour in deren traditionellen Hochburgen im Norden und Westen des Landes Stimmen abzujagen, wo es viele Brexit-Befürworter aus dem linken Spektrum gibt. Doch die Torys konkurrieren dabei mit der Brexit-Partei von Nigel Farage.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Oppositionschef Corbyn gilt als wenig beliebt

Corbyn dürfte seinen Wahlkampf ganz auf soziale Themen ausrichten. Johnsons Regierung kümmere sich nur um die wenigen Privilegierten, Labour könne aber ein Land für viele gestalten, sagte der Labour-Chef am Dienstagabend. Corbyn kündigte eine „ehrgeizige und radikale Kampagne“ für einen echten Wandel an.

Nur können sich laut einer Umfrage von YouGov derzeit nur rund 20 Prozent der Wähler Corbyn als Premierminister vorstellen. Johnson dagegen liegt bei mehr als 40 Prozent. Der britische Oppositionschef ist vielen moderaten Briten zu links. Außerdem haben mehrere antisemitische Skandale die Partei erschüttert. Gegner werfen Corbyn immer wieder vor, seit seinem Führungsantritt in der Partei 2015 ein antijüdisches Klima toleriert zu haben und sich nicht klar genug von Antisemiten zu distanzieren.

Johnson und sein gebrochenes Wahlversprechen

Doch auch Johnson hat sein wichtigstes Wahlversprechen bereits gebrochen: „Komme, was wolle“, werde er das Land am 31. Oktober aus der EU führen, hatte er angekündigt. Lieber wolle er „tot im Graben“ liegen, anstatt eine Verlängerung der Austrittsfrist zu beantragen.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Nur konnte er seinen mit der EU nachverhandelten Brexit-Deal nicht rechtzeitig durch das Parlament bringen. So blieb ihm am Ende nichts anderes übrig, als doch zähneknirschend einen Verlängerungsantrag nach Brüssel zu schicken. Die Brexit-Frist wurde um bis zu drei Monate verlängert. Es war bereits die dritte Verschiebung.

Am Dienstag segneten die EU-Staats- und Regierungschefs den Brexit-Aufschub offiziell ab, wie EU-Ratspräsident Donald Tusk via Twitter mitteilte. „An meine britischen Freunde [...] bitte nutzt diese Zeit bestmöglich“, schrieb Tusk weiter. Der EU-Austritt soll nun spätestens am 31. Januar erfolgen. Er ist aber auch eher möglich, wenn eine Ratifizierung des Austrittsabkommens vorher gelingt.

Wird es ähnlich schmutzig wie vor dem Referendum?

Die Briten hatten vor über drei Jahren – im Sommer 2016 – in einem Referendum mit knapper Mehrheit für den Austritt aus der EU gestimmt. Damals schreckten Brexit-Hardliner im Kampf für ihren Kurs auch vor Lügen nicht zurück. Immer wieder war die Rede von angeblich wöchentlich an die EU gezahlten 350 Millionen Pfund. Gerade der heutige Premier Boris Johnson nutzte die Zahl in mehreren seiner öffentlichen Äußerungen. Doch die Summe gilt als stark übertrieben, das räumten selbst die Austrittsbefürworter nach dem erfolgreichen Referendum ein.

Ob die Beteiligten im bevorstehenden Wahlkampf nun auf ähnlich schmutzige Mittel zurückgreifen, ist vorerst unklar. Doch Johnson machte schon in den vergangenen Wochen massiv Stimmung gegen das Parlament. Das stehe dem angeblich von ihm vertretenen Volkswillen – einer Umsetzung des Brexits – im Wege.

Entscheidend für einen Wahlerfolg Johnsons könnte werden, ob es ihm gelingt, die Schuld für die weitere Verzögerung der Opposition in die Schuhe zu schieben.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

RND/dpa/cz

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken