Wem Krisenreporter ihr Leben anvertrauen
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Zerstörtes russisches Militärgerät in der Ukraine.
© Quelle: Andy Spyra
Liebe Leserin, lieber Leser,
der Ukrainer Bogdan Bitik ist im vergangenen Monat in der südukrainischen Stadt Cherson vermutlich durch einen russischen Scharfschützen getötet worden, als er für einen italienischen Reporter gearbeitet hat. Bitik war ein sogenannter Fixer – so werden die lokalen Kolleginnen und Kollegen genannt, ohne die für ausländische Reporterinnen, Reporter sowie Korrespondentinnen und Korrespondenten in Kriegs- und Krisengebieten meist gar nichts ginge. Fixer operieren im Hintergrund, unter Artikeln steht ihr Name gelegentlich unter „Mitarbeit“, manche von ihnen bleiben lieber anonym. Während ausländische Reporterinnen und Reporter wieder ausreisen, bleiben sie in ihrem Heimatland – in dem sie wegen ihrer Arbeit häufig Gefahren ausgesetzt sind.
Fixer schreiben nicht selbst, sind aber in der Regel für die Organisation von Terminen, für Logistik und für Übersetzungen zuständig – sie „fixen“ alles, was für den Ablauf der Recherche wichtig ist. Ich bin seit mehr als 20 Jahren immer wieder im Ausland unterwegs und habe mit zahlreichen von ihnen zusammengearbeitet. Manche davon – etwa Yama Noori in Afghanistan, Yurii Shyvala in der Ukraine oder ein Kurde in der Türkei, der nicht namentlich genannt werden möchte – sind zu Freunden geworden. Die Arbeit schweißt zusammen: Etwa dann, wenn nachts die Taliban in Kundus an die Hotelzimmertür hämmern. Wenn man in der Nähe der Front im Donbass unter dem Grollen der Artillerie recherchiert. Oder wenn man im türkischen Erdbebengebiet fassungslos vor Leichen steht.
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Die Arbeit schweißt zusammen. Viele Fixer, wie hier Yurii Shyvala in Kiew, werden zu Freunden.
© Quelle: Can Merey
Fixer kennen sich naturgemäß besser in ihrer Heimat aus als der ausländische Reporter oder die ausländische Reporterin, der oder die dafür wiederum den Blick von außen mitbringt – im Idealfall ergänzen sich beide Perspektiven. Häufig sind Fixer in ihrer Heimat selbst Journalistinnen oder Journalisten, oder aber sie haben durch ihre Arbeit mit Reporterinnen und Reportern ein Gespür dafür entwickelt, welche Themen interessant sein könnten. Oft haben sie die zündende Idee, aus der dann eine Geschichte entsteht. Etwa die von dem Start-up im ostukrainischen Charkiw, das schlüsselfertige Luxusbunker für den eigenen Garten produziert – Yurii hatte davon in der Lokalpresse gelesen. Was einen guten Fixer ebenfalls auszeichnet: ein Handy voller Telefonnummern. Ihnen gelingt es dann, in kürzester Zeit noch so abwegig erscheinende Gesprächspartner zu finden.
Eine wichtige Verantwortung für Fixer: Sie müssen wissen oder herausfinden können, wo Recherchen möglich und wo sie zu gefährlich sind. Die Teammitglieder – zu denen bei meinen Reisen häufig noch ein Fotograf, eine Fotografin sowie ein Fahrer oder eine Fahrerin gehören – vertrauen ihnen im Wortsinn mit dem Leben. Es gilt zwar immer der journalistische Grundsatz, dass keine Geschichte es wert ist, Leben oder Gesundheit zu riskieren – und natürlich wird niemand im Team gezwungen, sich gegen seinen oder ihren Willen in eine Gefahrenlage zu begeben. Dennoch ist es immer eine schwierige Abwägung: Wie nahe an der Front wird es zu gefährlich, wo ist das Risiko noch vertretbar? In welche Region in einem Krisengebiet kann man noch fahren, wo könnte eine Festnahme oder gar Geiselnahme drohen?
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Fixer Yama Noori im afghanischen Kundus.
© Quelle: Can Merey
Natürlich gibt es auch schlechte Fixer, die Gefahrenlagen nicht einschätzen können, die keine Kontakte haben, die falsch übersetzen – oder die im schlimmsten Fall Informationen an das Regime im jeweiligen Land weitergeben und damit Quellen gefährden. Kontaktdaten von guten Fixern sind entsprechend wertvoll, unter Krisenreporterinnen und -reportern werden sie in aller Regel kollegial weitergegeben. Manche der lokalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter muss man Monate im Voraus buchen, weil sie so beliebt sind.
Fixer sind sehr häufig fantastische Menschen, denen ihre Heimat am Herzen liegt
Fixer können dabei gut verdienen, 300 Euro pro Tag und mehr ist in Krisengebieten nicht ungewöhnlich. Das Geld fließt aber nur, solange sich ausländische Medien für die jeweilige Krise interessieren – und die Aufmerksamkeit kann schnell wieder nachlassen. Und je nach Region gehen Fixer unter Umständen ein hohes persönliches Risiko ein, besonders trifft das auf Länder zu, in denen die Herrschenden nicht viel von der Pressefreiheit halten. Gerade bei neuen Machthabern ist oft unklar, wie sie mit ausländischen Medien und ihren lokalen Fixern umgehen werden – das galt etwa, nachdem die Taliban in Afghanistan wieder das Ruder übernahmen.
Eine andere Qualität, die nicht unbedingt eine Voraussetzung für einen guten Fixer ist, die ich aber bei den allermeisten von ihnen angetroffen habe: Es sind fantastische Menschen, denen ihre Heimat am Herzen liegt, mit denen man sich nach belastenden Erlebnissen austauschen kann – und mit denen man bei allen Krisen und Kriegen auch immer wieder befreiend lachen kann.
Bis zur nächsten Ausgabe
Ihr Can Merey
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Krisen-Radar
RND-Auslandsreporter Can Merey und sein Team analysieren die Entwicklung globaler Krisen im neuen wöchentlichen Newsletter zur Sicherheitslage – immer mittwochs.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Was gerade passiert
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Russische Raketen, die von der russischen Region Belgorod aus auf die Ukraine abgefeuert werden, sind in der Morgendämmerung in Charkiw, Ukraine, am frühen Sonntag zu sehen (Archivbild). Nun wurde die russische Region angegriffen.
© Quelle: Vadim Belikov/AP/dpa
- Nachdem in der Grenzregion Belgorod Kämpfe tobten, hat das russische staatliche Ermittlungskomitee ein Strafverfahren wegen Terrorismus eingeleitet. In einer Mitteilung gab die Behörde „Vertretern ukrainischer Militärverbände“ die Schuld an den Attacken. Der Kreml sieht die Ereignisse als weitere Legitimation für seinen Angriffskrieg in der Ukraine. Mittlerweile ist der Terroralarm in der Region aber wieder aufgehoben worden.
- Immer mehr westliche Unternehmen geben wegen des russischen Angriffs auf die Ukraine ihre Geschäfte in Russland auf. Meist werden die Firmen an russische Unternehmer veräußert, die dann jedoch unter anderem Namen einfach weitermachen. Nur beim Wodka haben sich die Aussichten jetzt etwas verschlechtert.
- Beim zweitägigen Besuch des russischen Regierungschefs Michail Mischustin hat sich das chinesische Außenministerium hinter Russland gestellt. Eine Sprecherin verurteile „einseitige Sanktionen“. Russland will wirtschaftlich stärker mit China kooperieren – vor allem im Hochtechnologiesektor.
Alle Entwicklungen zum Krieg im Liveblog
Die Story des Tages
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Demütigung für Putin: Wer sind die russischen Kämpfer aus der Ukraine?
Auf der Seite der Ukraine kämpfen Russen, die ein Ziel eint: der Sturz von Kremlchef Putin. Jetzt haben sie erneut die Grenze überschritten und sind auf russisches Territorium vorgedrungen. Das RND hat den Vizekommandeur des russischen Freiwilligenkorps in Kiew getroffen.
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Klare Ansage
Um die Unterstützung für die Ukraine fortzusetzen, müssen wir unsere Produktion von Waffen und Munition hochfahren.
Jens Stoltenberg,
Nato-Generalsekretär
Vorschau
Am Sonntag muss der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in die Stichwahl – und alles andere als ein Sieg wäre eine große Überraschung. In der ersten Runde der Wahlen fehlten Erdogan nur 0,5 Prozentpunkte zur absoluten Mehrheit, zudem hat der bereits ausgeschiedene Kandidat Sinan Ogan seiner extrem rechten Wählerschaft empfohlen, für Erdogan zu stimmen.
Wie groß die Enttäuschung der Opposition bereits ist, habe ich übrigens in der vorherigen Folge dieses Newsletters aufgeschrieben.
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Der amtierende und wohl auch kommende Präsident der Türkei: Recep Tayyip Erdogan.
© Quelle: Khalil Hamra/AP
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