Nichts „isch over“ in Griechenland
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© Quelle: AP
Ist sie zu Gast bei Freunden? Eineinhalb Tage hat sich Angela Merkel Zeit genommen, um sich noch einmal dem für alle Beteiligten emotional schwierigsten Kapitel ihrer Kanzlerschaft zu widmen: den deutsch-griechischen Beziehungen.
Merkel fand sich, verglichen mit den Jahren der Finanzkrise, wieder in einem etwas anderem Griechenland.
Der konservative Premier Kyriakos Mitsotakis zum Beispiel, seit 2019 im Amt, agiert mit verblüffendem Erfolg, vor allem auf dem Feld der Wirtschaft. Allein in diesem Monat konnte der Harvard- und Stanford-Absolvent gleich zwei Milliardeninvestitionen aus den USA bekannt geben: Pfizer baut in Griechenland Forschungslabors, Microsoft Datenzentren von überregionaler Bedeutung. Die High-Tech-Konzerne setzen auf kostengünstige Beschäftigung gut ausgebildeter Hochschulabgänger in sonniger Umgebung: Silicon-Valley-Fantasien machen die Runde.
High-Tech-Investitionen von Pfizer und Microsoft
Der Internationale Währungsfonds, in Athen lange verhasst, dreht gerade den Daumen nach oben. Griechenlands Wirtschaftswachstum tendiert in Richtung 6,5 Prozent, deutlich über dem EU-Durchschnitt. Die Arbeitslosenquote dürfte im Jahr 2022 unter die von Spanien sinken. Damit wäre Athen immerhin die rote Laterne los. Dieser Dreh macht Hoffnung, auch wenn die Schuldenproblematik bleibt.
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Endlich kommen auch Hightechinvestitionen in Gang: Pfizer-Chef Albert Bourla (l.) und Griechenlands Premier Kyriakos Mitsotakis am 12. Oktober bei der Einweihung eines „Zentrums für Innovationen“ in Thessaloniki.
© Quelle: imago images/ANE Edition
Als Abirrung der Geschichte jedenfalls erscheinen mittlerweile die hohläugigen „Isch-over“-Debatten in Berlin. Lange hatte Merkel Mühe, den Verbleib Griechenlands im Euro gegen ihre eigenen Leute zu verteidigen, darunter den damaligen Finanzminister Wolfgang Schäuble. FDP-Chef Christian Lindner forderte den Grexit, der unsägliche CDU-Politiker Josef Schlarmann verlangte, die Griechen sollten ihre „Inseln verkaufen“, und „Bild“ trommelte: „Keine weiteren Milliarden für die gierigen Griechen!“ Ein verächtlicher Zug mischte sich in die Debatte.
Merkel hielt dem rechtspopulistischen Druck in Deutschland stand. Zugleich aber machte sie den Griechen ungeliebte Sparauflagen. Beifall, logisch, gab es dafür nirgends. In Berlin fand man ihren Kurs zu weich, in Athen zu hart. In unvergessenen Entgleisungen bildeten griechische Boulevardzeitungen Merkel als Peitsche schwingende Domina in SS-Uniform ab.
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"Zum Hochhalten" produzierte Deutschlands Boulevardblatt "Bild" diese Zeitungsseite zum Thema Griechenland. Leser wurden gebeten, mit dem "Nein" ein Selfie zu machen und es zu versenden.
© Quelle: Bild vom 26.02.2015
Heute können einander alle als Gewinner beglückwünschen, die damals den emotionalen Aufwallungen des Augenblicks widerstanden haben. Die Mixtur aus Solidarität und erzwungenen Korrekturen erwies sich als genau richtig, sie half beim intelligenten Neustart Griechenlands, der jetzt im Gang ist.
Es ging nie allein um Euro und Cent
Griechenland ist und bleibt ein Land mit enormen Potenzialen. Seine atemberaubend schönen Buchten mit ihrem klaren Wasser und seine historischen Schätze locken mehr denn je auch Amerikaner und Asiaten ins Land. Die USA, misstrauisch geworden gegenüber der Türkei unter Recep Tayyip Erdogan, investieren mehr denn je in griechische Militärstandorte. Zugleich rangeln Investoren um unerschlossene gigantische Gasfelder vor Griechenlands Küsten.
Isch over? Merkel hat sich seinerzeit einer beschämenden Kurzsichtigkeit ihrer Kollegen widersetzt. Es ging nicht um Gutmenschentum und auch nie allein um Euro und Cent. Dass Griechenland fest verbunden blieb mit EU und Nato, erweist sich heute vor allem geostrategisch als gute Nachricht in wackligen Zeiten.
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„Wir beide wissen: Wir gehören in Europa zusammen.“ Katerina Sakellaropoulou (r.), Präsidentin von Griechenland, und Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag im Präsidentenpalast in Athen.
© Quelle: Yorgos Karahalis/AP/dpa
Die Modernisierung Griechenlands erschöpft sich im Übrigen nicht im Ökonomischen. Von Veränderung und Aufbruch kündete im Jahr 2020 die Wahl der parteilosen Intellektuellen Katerina Sakellaropoulou zur ersten Staatspräsidentin des Landes.
Auch mit ihr traf Merkel am Freitag zusammen. Sakellaropoulou sagte mit Blick auf die Jahre der Finanzkrise: „Es gab Momente, in denen wir uns sehr alleine fühlten.“ Merkel hätte zurückgeben können: Auch sie fühlte sich seinerzeit mitunter sehr einsam in ihrem Kanzleramt. Doch so etwas verkniff Merkel sich, sie lobte einfach nur den Dialog, der auch in dunkelsten Stunden nie aufgehört habe.
Für Merkel war wichtig, dass Griechenlands Präsidentin am Freitag eine erstaunlich positive Schlussbilanz zog. Unterm Strich, sagte die Griechin, seien die Beziehungen zu Deutschland auch und gerade in dieser schweren Zeit sogar vertieft worden, man verstehe einander inzwischen besser. Entscheidend sei: „Wir beide wissen: Wir gehören in Europa zusammen.“