NRW-SPD in Aufruhr: Landeschef Sebastian Hartmann auf der Kippe
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Sebastian Hartmann, Vorsitzender der SPD in Nordrhein-Westfalen, zieht während einer Pressekonferenz eine Bilanz der Kommunalwahlen.
© Quelle: Federico Gambarini/dpa
Berlin. Nach dem schlechten Abschneiden der SPD bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen ist in der Partei ein Streit um die personelle Aufstellung des Landesverbandes entbrannt. Im Zentrum der Kritik steht Landeschef Sebastian Hartmann, der um sein Amt fürchten muss. Neben dem Verlust von 7,1 Prozent der Stimmen im Vergleich zur Kommunalwahl von 2014 wird dem Mann aus dem Rhein-Sieg-Kreis die Profillosigkeit des Landesverbandes angelastet. Auch von der Dauerrivalität zwischen Hartmann und dem Chef der Düsseldorfer Landtagsfraktion, Thomas Kutschaty, haben viele SPD-Mitglieder die Nase voll.
Öffentlich halten sich die meisten mit Kritik zurück, hinter vorgehaltener Hand allerdings wird Tacheles geredet. “So wie bisher geht es nicht weiter”, darin sind sich nahezu alle SPD-Mitglieder zwischen Rhein und Weser einig. Es müsse eine Entscheidung her – vor allem mit Blick auf die Landtagswahl 2022. SPD-Strategen weisen gern darauf hin, dass CDU-Ministerpräsident Armin Laschet dann entweder Bundeskanzler oder politisch ramponiert sein dürfte – was in beiden Fällen Chancen auf einen Machtwechsel eröffnen würde.
Bei der Frage allerdings, wer die SPD als Spitzenkandidat in die Wahl führen soll, ist die Einigkeit schon wieder vorbei. In der Landtagsfraktion und auf dem linken Parteiflügel sind viele für Kutschaty. In der Bundestagsfraktion und unter pragmatischen Genossen aber ist die Ablehnung gegen den Mann aus Essen groß. Stattdessen träumen manche von einem Comeback des früheren NRW-Wirtschaftsministers Garrelt Duin, der heute Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Köln ist, bislang aber noch keine Ambitionen hat erkennen lassen.
Zunächst geht es ohnehin “nur” um den Vorsitz der Landes-SPD. Am 14. November findet der ordentliche Parteitag in Münster statt, bei dem auch die Wahl des Landesvorstandes ansteht. Mancher befürchtet, dass es an diesem Tag zum ganz großen Knall kommen könnte. “Herrn Hartmann ist nicht mehr zu helfen”, sagt ein Mitglied des Landesvorstandes. “Wenn er das nicht selbst einsieht, wird es auf dem Parteitag ein böses Erwachen für ihn geben.”
Im moderaten Lager ist die Angst groß, dass Kutschaty bei dem Delegiertentreffen gegen Hartmann antreten und gewinnen könnte. Die Spitzenkandidatur wäre ihm dann nicht mehr zu nehmen – allerdings um den Preis einer tief gespaltenen Partei.
Geheime Krisentreffen in Essen und Hamm
Um den Showdown zu vermeiden, gibt es derzeit jede Menge Gespräche. Auch die Bundesspitze hat sich eingeschaltet. Nach Informationen des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) kamen am Sonntagnachmittag der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans, Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich, NRW-Landesgruppenchef Achim Post sowie die vier mächtigen Regionalvorsitzenden Britta Altenkamp (Niederrhein), Jochen Ott (Mittelrhein), Marc Herter (Westliches Westfalen) und Stefan Schwartze (Ostwestfalen-Lippe) für mehrere Stunden zu einem geheimen Treffen mit Hartmann und Kutschaty zusammen. Herter, der in Hamm die letztlich erfolgreiche Stichwahl um das Oberbürgermeisteramt bestreiten musste, war für das Treffen eigens nach Essen gefahren. Am ersten Wahltag vor zwei Wochen hatte sich die Runde ebenfalls getroffen – in Herters Heimatstadt Hamm.
Offiziell sollte es bei den Gesprächen um Verfahrensfragen mit Blick auf die Landtagswahl 2022 gehen. In Wahrheit allerdings verfolgten die meisten Beteiligten ein ganz anderes Ziel: Sebastian Hartmann zum Rückzug zu bewegen.
Dazu allerdings war dieser nicht bereit. Er sehe es nicht ein, sich für alle Probleme des Landesverbandes verhaften zu lassen, soll Hartmann laut Teilnehmerangaben gesagt haben. Außerdem habe er darauf bestanden, dass er der von den Mitgliedern gewählte Vorsitzende sei. Nach mehrstündiger Diskussion soll sich die Gruppe darauf verständigt haben, erst die Ergebnisse der Stichwahlen abzuwarten und danach in Ruhe über die notwendigen Konsequenzen zu beraten. Ein weiteres Treffen wurde in Aussicht gestellt.
Doch schon am Montagmorgen machte Hartmann deutlich, dass aus seiner Sicht kein weiterer Beratungsbedarf bestehe. Die in knapp 130 Städten erfolgten Stichwahlen hätten “ein durchmischtes Bild” für seine Partei ergeben, teilte der Vorsitzende bei einer Pressekonferenz mit. Die SPD habe zwar wichtige Städte wie Dortmund und Gelsenkirchen halten können und Städte wie Hamm und Mönchengladbach gewonnen. Allerdings habe die Partei eben auch Niederlagen erlitten und Oberbürgermeisterposten in der Landeshauptstadt Düsseldorf sowie in Wuppertal verloren. “Wir wollen aus Fehlern lernen und den Wahlsiegern zuhören”, sagte Hartmann.
Hartmann versucht den Befreiungsschlag
Dann versuchte er den Befreiungsschlag und brachte zur Überraschung aller eine paritätisch besetzte Parteiführung ins Spiel. Der Landesvorstand werde beim Parteitag einen Antrag für eine optionale Doppelspitze aus Mann und Frau nach dem Vorbild der Bundes-SPD vorlegen, sagte Hartmann. Zudem untermauerte er seinen Führungsanspruch. “Ich stehe als Landesvorsitzender weiter zur Verfügung”, betonte der Bundestagsabgeordnete.
Angeblich hatte Hartmann seinen Vorstoß mit dem Landesvorstand nicht abgestimmt. Auch bei den Spitzentreffen der Genossen soll eine Doppelspitze kein Thema gewesen sein. Manche Vorstandsmitglieder der NRW-SPD reagieren am Montag regelrecht fassungslos. “Das war genau das Gegenteil dessen, was wir besprochen haben”, sagt einer, der bei den Spitzentreffen dabei war. “Sebastian Hartmann hatte die Möglichkeit, im Guten zu gehen”, sagt ein anderer. “Jetzt wird es schmerzhaft.”
Hartmann, so scheint es, kämpft inzwischen allein auf weiter Flur. Zumal selbst seine letzten Unterstützer über einen Kompromisskandidaten nachdenken, mit dem ein Durchmarsch Kutschatys verhindert werden kann. Landesgruppenchef Achim Post könnte ein solcher Kandidat sein. Auch der Name von Bundesumweltministerin Svenja Schulze wird genannt. Oder lässt sich Bundestagsfraktionschef Mützenich auch auf Landesebene in die Pflicht nehmen? Vieles scheint derzeit möglich zu sein.
Medienberichte, wonach Wiebke Esdar, Bundestagsabgeordnete aus Bielefeld, eine Kandidatur erwäge, scheinen dagegen falsch zu sein. Vertraute gehen nicht davon aus, dass die Parteilinke ihren Hut in den Ring werfen wird. Esdar ist im Sommer Mutter geworden, ihr Ehemann Veith Lemmen wurde gerade zum Bürgermeister von Werther im Kreis Gütersloh gewählt – und vor allem ist sie mit 36 Jahren noch jung genug, um abzuwarten.
Ihre Generation wird am Ende die Scherben aufsammeln müssen, wenn es die jetzige vermasselt.