Ökonom zur Corona-Krise: “Wir befinden uns in einer Art Kriegswirtschaft”
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Reint E. Gropp, Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle.
© Quelle: Hendrik Schmidt/dpa
Herr Gropp, die Corona-Krise hält an. Mit welchen wirtschaftlichen Folgen rechnen Sie?
Die ehrliche Antwort ist: Wir wissen im Moment nicht, wie dramatisch es werden wird. Die Wahrscheinlichkeit eines massiven wirtschaftlichen Einbruchs in diesem Jahr steigt jeden Tag, den der Shutdown andauert. Dabei gibt es kumulative Effekte: Zwei Monate Shutdown kosten mehr als doppelt so viel wie ein Monat. Die Maßnahmen, die zuletzt von der Bundesregierung und dem Bundestag beschlossen wurden, dienen dazu, Unternehmen zu erhalten und nicht pleitegehen zu lassen, damit die Wirtschaft sich nach dem Shutdown schnell wieder erholen kann. Das Paket wird aber nur für vielleicht zwei Monate reichen. Wenn der Shutdown länger dauert, müsste ein weiteres Hilfspaket aufgelegt werden. Das wäre dann selbst für den an sich fiskalisch gut aufgestellten deutschen Staat ein ziemliches Problem.
Inwiefern?
Wir würden nie gekannte Haushaltsdefizite in Kauf nehmen müssen. Denn es ist möglich, dass statt einer schnellen Erholung die Rezession auch nach dem Abschaffen der Maßnahmen wie Ausgangsbeschränkungen anhält, also die Rezession mindestens bis zum Jahresende oder sogar noch länger dauert. Betroffen wären dann alle Unternehmen, wobei vielleicht kleine und mittlere Unternehmen besonders leiden würden. Daher auch die 50 Milliarden Euro im Zusatzhaushalt, die für Direktzahlungen an solche Unternehmen vorgesehen sind.
Sind die Krisenmaßnahmen der Regierung richtig?
Es herrscht unter Ökonomen weitgehend Konsens, dass die beschlossenen Maßnahmen richtig und zielführend sind. Es geht darum, die Voraussetzungen für eine schnelle Erholung zu schaffen und die Auswirkungen einer Krise abzufedern, die nicht von den Unternehmen verschuldet wurde. Komplett kann das aber nicht gelingen. Wichtig ist jetzt, dass die Unternehmen schnell und unbürokratisch an das Geld kommen, und nicht langwierig Bewerbungen vom Staat geprüft werden.
Wenn der aktuelle Zustand anhält, landen wir in einer Staatswirtschaft. Ist das machbar?
In der Tat beinhaltet das Rettungspaket der Bundesregierung auch die Möglichkeit, Unternehmen zu verstaatlichen beziehungsweise vor Übernahmen zu schützen. Das sollte, wenn überhaupt, nur in Ausnahmefällen angewendet werden und mit sogenannten “sunset clauses” versehen sein, also klaren Regeln für den Ausstieg des Staates aus den Unternehmen nach der Krise. Der Staat wird auch nach der Krise kein guter Unternehmer sein. Aber zumindest kurzfristig befinden wir uns in einer Art Kriegswirtschaft, in der der Staat bei der Koordinierung der Wirtschaft eine größere Rolle spielen muss als in normalen Zeiten.
Was empfehlen Sie für die kommende Zeit?
Wir sollten differenzierter vorgehen. Es ist kein gangbarer Weg, alle Menschen über mehrere Monate in Quarantäne zu halten, unabhängig davon, ob sie zu einer Risikogruppe gehören, gesund sind oder schon immun, weil sie das Virus überstanden haben. Ich schlage vor, dass wir signifikante Ressourcen aufwenden, um regelmäßig, vielleicht wöchentlich, Tests für alle Erwerbstätigen durchzuführen. Wenn jemand nicht infiziert ist oder schon immun, kann er oder sie sich frei bewegen und arbeiten. Wenn jemand infiziert ist, muss er oder sie in Quarantäne. Risikogruppen wie Menschen über 65 und jene mit Vorerkrankungen müssen grundsätzlich in Quarantäne, was aber nur kleine wirtschaftliche Folgen hätte. Mit diesem Modell könnte der wirtschaftliche Schaden deutlich reduziert werden.
Wie, glauben Sie, wird es weitergehen?
Wir können einen totalen Shutdown der Wirtschaft nicht lange durchhalten. Darum werden wir zu Alternativen übergehen müssen, die zielgerichteter sind und der Wirtschaft weniger schaden. Ich hoffe, dass das bald geschieht und nicht erst, wenn der wirtschaftliche Schaden so groß ist, dass es tatsächlich eine lang andauernde Rezession gibt.