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Ohrenbetäubend und schrill: Griechenland schreckt Flüchtlinge mit Schallkanonen ab

Der Polizist Dimitris Bistinas bedient eine Schallkanone während einer Patrouille entlang der griechisch-türkischen Grenze.

Der Polizist Dimitris Bistinas bedient eine Schallkanone während einer Patrouille entlang der griechisch-türkischen Grenze.

Athen. Das Gerät, das für Kontroversen sorgt, ist etwa so groß wie ein Fernseher und schwenkbar auf dem Dach eines gepanzerten Fahrzeugs der griechischen Grenzpolizei montiert. Ein Beamter richtet das Gerät in die gewünschte Richtung aus und drückt einen Knopf.

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Dann ertönt ein buchstäblich ohrenbetäubendes, schrilles Signal. Die Schallkanone, von Fachleuten LRAD (Long Range Acoustic Device) genannt, soll Migranten in die Flucht schlagen, die über die Landgrenze aus der Türkei nach Griechenland zu kommen versuchen.

Die Technik gilt als wirksam, ist aber wegen der Schmerzen, die sie auslöst, und möglicher Dauerschäden umstritten. Kritiker, wie der Grünen-Europaabgeordnete Erik Marquardt, sehen darin einen Verstoß gegen die Menschenwürde.

EU hat Bedenken

Auch die EU-Kommission lässt Bedenken erkennen: Man habe die Installation der Technik „mit Besorgnis zur Kenntnis genommen“ und die griechischen Behörden mit der Bitte um „mehr Informationen“ kontaktiert, sagte Kommissionssprecher Adalbert Jahnz vergangene Woche.

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Die Schallkanone ist nur eine von zahlreichen Maßnahmen, mit denen Griechenland seine Landgrenze zur Türkei zu sichern versucht. Die 200 Kilometer lange Grenze folgt größtenteils dem Verlauf des Flusses Evros (türkisch Meric), der ein natürliches Hindernis für irreguläre Grenzübertritte bildet.

An einigen Abschnitten folgt die Grenze aber nicht dem Fluss, sondern verläuft westlich von ihm durch Felder und Wälder. Diese Abschnitte gelten als besonders neuralgisch.

Erdogan erpresste EU

Im März 2020 erklärte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdogan die Grenze zu Griechenland für „geöffnet“. In Bussen brachte die Türkei Zehntausende Migranten zum griechischen Übergang Kastanies, wo sie die Schlagbäume belagerten.

Griechische Armee und Polizei verteidigten die Grenze mit Wasserwerfern und Tränengas. Nach vier Wochen ließ Erdogan die Belagerung beenden und die Migranten ins Landesinnere zurückbringen. Ziel der Aktion dürfte es gewesen sein, bei der EU zusätzliche Finanzmittel zum Flüchtlingspakt lockerzumachen.

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Griechenland hat mittlerweile begonnen, die besonders gefährdeten Grenzabschnitte mit hohen Stahlgitterzäunen, Drohnen und Wärmebildkameras zu sichern. Zum Inventar der griechischen Grenzschützer gehören seit dem vergangenen Jahr auch zwei LRAD-Geräte.

Im Irak-Krieg eingesetzt

Die Technik ist nicht neu. Sie wurde von den US-Streitkräften bereits 2003 im Irak-Krieg eingesetzt. Viele Reedereien setzten zur Abwehr von Piratenangriffen auf LRAD.

Die Polizei in den USA setzte die Schallkanonen bereits häufig gegen Demonstranten ein, so 2009 bei den Protesten zum G-20-Gipfel in Pittsburgh. Die Geräte erzeugen einen Schalldruck von etwa 150 Dezibel. Das entspricht etwa dem Lärmpegel eines Kampfflugzeugs in 30 Meter Entfernung.

Die schrillen Töne führen im Nahbereich zu starken Schmerzen und können, so sagen Kritiker, bleibende Schäden verursachen.

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Polizei zahlte Schmerzensgeld

Die New Yorker Polizei setzte Schallkonen 2014 bei einer Demonstration ein. Geschädigte strengten damals einen Prozess gegen die Stadt an, die in einem gerichtlichen Vergleich 98.000 Dollar Schmerzensgeld und 650.000 Dollar Gerichtskosten zahlte.

Als Teil des Ende April 2021 geschlossenen Vergleichs verpflichtete sich die New Yorker Polizei, künftig auf die Geräte zu verzichten.

Griechenland will offenbar am Einsatz der Schallkanon an der Grenze zur Türkei festhalten. Ob sich die Erwartungen in die Technik erfüllen, ist aber nicht sicher. Denn ein guter Gehörschutz kann der Waffe viel von ihrer Wirkung nehmen.

RND

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