Kurztrip in einen Überwachungsstaat
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Mitarbeiter des Flughafen-Bodenpersonals bereiten in Vollschutzanzügen auf dem Internationalen Hauptstadtflughafen Peking am Airbus A340 der Luftwaffe, den Ausstieg des Bundeskanzlers vor.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Liebe Leserin, lieber Leser,
China entwickelt sich zur Diktatur, was wir im fernen Deutschland mit Sorge verfolgen mögen, aber eben nicht am eigenen Leib erfahren. Und wer mit dem Bundeskanzler nach Peking fliegt, reist nicht nur privilegiert, sondern in der deutschen Kolonne auch geschützt.
Aber zumindest davon bekommt man so etwas wie eine Ahnung: Wie ein Überwachungsstaat funktioniert. Ich habe schon früher auf China-Reisen niemals von der Regierung an Journalistinnen und Journalisten verschenkte USB-Sticks genutzt, sondern sie sofort entsorgt. Aber inzwischen nimmt man besser ein separates Handy mit einer anderen SIM-Karte mit und setzt nach Rückkehr das ganze Telefon auf Werkseinstellung zurück.
In China wird alles mitgeschnitten, was die Oberen für interessant halten: Videoüberwachung mit Gesichtserkennung, Aufnahmen von Gesprächen, Erfassung von Videokonferenzen, digitaler Zugriff auf Mobiltelefone. Politiker, Anwälte, Wirtschaftsvertreter, auch Journalisten – alles brauchbare Informanten, die es zwar nicht mitkriegen sollen, wie sie abgeschöpft werden. Es aber doch wissen, dass der Versuch gestartet wird.
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In China wird alles mitgeschnitten, was die Oberen für interessant halten – bei Politikern und Journalistinnen.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Und dann ist da noch die Pandemie. Olaf Scholz ist für einen einzigen Tag nach Peking geflogen. Rund 22 Stunden Flug hin und zurück, ohne Übernachtung, elf Stunden auf chinesischem Boden. Der Grund war das strenge Null-Covid-Regime in China. Ein längerer Aufenthalt hätte Quarantänefolgen gehabt. Schon der bloße Kontakt wird unter die Lupe genommen.
In China sind die Corona-Regeln extrem hart. Wer eine Infektion hat, darf nicht einfach zuhause oder im Hotel bleiben, sondern muss in eine staatliche Verwahranstalt mit Massen von Menschen in Schlaflagern bei wenigen Duschen und nicht immer genügend Essen.
Die Crew des Regierungsfliegers durfte während des kurzen Aufenthalts sogar nicht in Peking bleiben, sondern musste nach Südkorea fliegen und dort warten, bis sie die deutsche Delegation wieder abholen konnte. Drei PCR-Tests musste jeder Mitreisende für den Kurztrip abliefern, um ins Land gelassen zu werden.
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Mitarbeitende der chinesischen Regierung haben PCR-Tests der offiziellen Delegation rund um Bundeskanzler Olaf Scholz genommen.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Drei Jahre ist es her, dass mit Angela Merkel so hoher Besuch aus Deutschland anreiste. Und Scholz ist nun der erste westliche Regierungschef, der auf Staatschef Xi Jinping nach dessen Wiederwahl zum Chef der Kommunistischen Partei traf. Xi hat bei dem kürzlichen Parteitag seine Führungsriege neu aufgestellt, Reformer rausgeworfen und damit seine Macht gefestigt. Die Alleinherrschaft von Staatsgründer und Diktator Mao Tsetung ist ihm ein Vorbild.
Scholz hat schon früh nach seinem Amtsantritt eine neue China-Politik eingeschlagen. Sah China für die deutsche Wirtschaft viele Jahre nach einem Land der unbegrenzten Möglichkeiten aus, will Scholz jetzt mehr Abstand wagen. Das hat er auch dadurch deutlich gemacht, dass er zunächst chinesische Konkurrenz bediente. Im Frühjahr flog er nach Japan und die ersten Regierungskonsultationen mit einem anderen Land hatte Deutschland mit Indien.
Eine wirtschaftliche Entkopplung von China strebt Scholz nicht an – das kann sich Deutschland auch gar nicht leisten. Viel zu verwoben sind große Unternehmen wie VW und BASF. Aber Scholz will einseitige Abhängigkeiten abbauen. Die deutsche Abhängigkeit von billigem russischen Gas soll eine Lehre sein. „Das China von heute ist nicht mehr dasselbe wie noch vor fünf oder zehn Jahren“, betont er. „Wenn sich China verändert, muss sich auch unser Umgang mit China verändern.“
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Mit militärischen Ehren: Scholz wird in der Nordhalle der Großen Halle des Volkes von Chinas Ministerpräsidenten Li Keqiang empfangen.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Und trotzdem wollte der Kanzler zunächst dem chinesischen Konzern Cosco eine Beteiligung an einem Hamburger Hafenterminal von 35 Prozent gewähren. Damit wären Vertreter in die Entscheidungsstrukturen gekommen. Erst der Protest von einer ganzen Reihe von Bundesministern, darunter Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), hat dazu geführt, dass die Beteiligung auf 24,9 Prozent reduziert wurde. Ist eben gar nicht so einfach, aus Worten auch Taten zu machen.
Seine Reise nach Peking will er aber so verstanden wissen: Reden ist besser als schweigen. Alle sensiblen Fragen müsse man in persönlichen Gesprächen vorbringen.
Noch einmal zurück zur Null-Covid-Strategie. Die chinesische Delegation unterlag nach Scholz´ Abreise besonderen Quarantäneregeln. Vermutlich mussten die Regierungsvertreter nach ihren Gesprächen mit den Deutschen nicht in eine Massenunterkunft ziehen, aber sie müssen sich erst einmal isolieren. Wäre es nicht so ernst, könnte man witzeln, dass der Staat auch Angst hat, sich mit Demokratie zu infizieren.
Machtpoker
Der Bundeskanzler hat den Zeitpunkt seiner Reise entschieden.
Annalena Baerbock
Außenministerin
Es war mehr als eine bloße Feststellung der Grünen-Politikerin auf die Frage, ob der Antrittsbesuch von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) am Freitag in Peking zeitlich richtig gewählt war. Es klang nach einem Nein, was die Stimmung in der Ampelkoalition nicht verbessert.
Chinas Staatschef Xi Jinping hat sich gerade von seiner Kommunistischen Partei den Weg zum Alleinherrscher ebnen lassen. Das Reich der Mitte entwickelt sich zur Diktatur. Die deutsche Außenministerin gab ihrem Kanzler da vorsichtshalber Verhaltensweisen mit auf die Reise: „Jetzt ist entscheidend, die Botschaften, die wir gemeinsam festgelegt haben im Koalitionsvertrag (…) auch in China deutlich zu machen.“ Dazu gehörten faire Wettbewerbsbedingungen, Menschenrechte und Anerkennung des internationalen Rechts. Im Koalitionsvertrag sei festgehalten, dass China Partner in globalen Fragen sei, aber auch „Wettbewerber und in zunehmendem Maße systemischer Rivale“.
Man darf annehmen, dass Scholz den Koalitionsvertrag kennt – Baerbock aber ihr Selbstbewusstsein in außenpolitisch hochbrisanten Fragen auch dem Kanzler gegenüber mal kurz aufblitzen lassen wollte.
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Ließ ihr Selbstbewusstsein aufblitzen: Deutschlands Außenministerin Annalena Baerbock.
© Quelle: IMAGO/Political-Moments
Wie unsere Leserinnen und Leser auf die Lage schauen
An dieser Stelle geben wir Ihnen das Wort
Ingeborg Erhard zum Verkauf eines Terminalteils im Hamburger Hafen an China:
„Ich verstehe es nicht, warum sich Deutschland immer wieder von solchen Ländern und Despoten abhängig macht. Warum sagt man nicht einfach: NEIN. Muss man sich China beugen?“
Stefan Schrader zur Gaspreisbremse und Atompolitik der Bundesregierung:
„Es mag befremdlich klingen, aber gegenwärtig scheinen lediglich die warmen Temperaturen vor dem ‚Super Gau‘ zu schützen. Wenn es doch noch echt kalt wird – und dann vor allem in den Monaten Februar, März, April, so dass danach ein neues Machtwörtchen nötig würde, scheint mir nach derzeitigem Gemütszustand die Koalition erledigt und der Schaden für Deutschland enorm.“
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Thema jahrzehntelanger Debatten: die Atomkraftwerke und ihre Laufzeiten.
© Quelle: Armin Weigel/dpa/Archivbild
Alex Rupff zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine:
„Es ist höchste Zeit, dass wir Denkmuster der Nato und Militärs ablegen. Besonders wichtig in Krisenzeiten ist es, die Signale für Frieden nicht zu unterdrücken, und nicht in ‚Endsieg-oder-Nichts-Rhetorik’ zu verfallen. Es muss Druck auf die USA, Großbritannien und die Nato aufgebaut werden, um diesen teuren Krieg schnellstmöglich zu beenden. Inzwischen versuchen die Grünen krampfhaft, mittels des Krieges zu verkaufen, dass Kohle eine kriegsnotwendige Klimasünde ist. Dass Last Generation dagegen auf die Barrikaden geht, ist nur zu verständlich. Auch was die Emissionen von Fahrzeugen betrifft, ist für viele Aktivisten jeden abwaschbaren Farbbeutel und Zweikomponentenkleber wert. Ich will hier keinesfalls zur Sachbeschädigung aufrufen. Aber Luftverschmutzung über die Maßen ist auch strafbar, oder?“
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