Warum die Rechtsextremen in Italien siegen könnten
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Die rechtsextremen Fratelli d’Italia mit Spitzenkandidatin Giorgia Meloni haben beste Chancen, die Parlamentswahlen am Sonntag zu gewinnen. Regieren würden sie in einem Bündnis mit Silvio Berlusconis Forza Italia und Matteo Salvinis Lega.
© Quelle: Oliver Weiken/dpa
Berlin. Am Sonntag wählt Italien ein neues Parlament. Laut den letzten veröffentlichten Umfragen von Anfang September ist die postfaschistische Rechtspartei Fratelli d’Italia (FDI) mit etwa 25 Prozent stärkste Kraft. An zweiter Stelle steht mit zwei Prozentpunkten weniger die sozialdemokratische Partito Democratico (PD).
Obwohl die Umfragen die unentschlossenen Wähler außen vor lassen – und das sind nach Schätzungen etwa 20 Prozent –, hat das Mitte-Rechts-Bündnis aus Giorgia Melonis Fratelli d‘Italia, Matteo Salvinis Lega und Silvio Berlusconis Forza Italia (FI) laut Prognosen schon seit mehreren Wochen die besten Chancen auf den Wahlsieg. Dieses dürfte nach Schätzungen auf etwa 46 Prozent kommen.
Rechteste Regierung seit dem Zweiten Weltkrieg
Rechte Regierungen seien in Italien keine Neuheit, erklärt Politologe Roman Maruhn. Der gebürtige Münchner hat Politikwissenschaften und Italienisch studiert und wohnt mittlerweile im sizilianischen Palermo. „Sowohl personell als auch funktional haben rechte Kräfte schon oft ihre Strippen in der Politik gezogen“, so Maruhn.
Das sei beispielsweise während der vier Regierungen unter Silvio Berlusconi der Fall gewesen, der sich des Öfteren EU-skeptisch und zuletzt auch vermehrt Putin-freundlich zeigte. „Dass aber so eine eindeutig rechte Partei wie die Fratelli d’Italia die Regierung stellt, gab es noch nicht“, sagt Maruhn. Vorläuferin der rechtsextremen Partei war die Alleanza Nazionale, die wiederum aus dem neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) hervorging.
Warum sind die Rechten so erfolgreich?
Grundsätzlich gilt Italien als ein eher konservatives Land, doch das allein reiche laut Maruhn nicht als Begründung für einen möglichen Wahlsieg der rechtsextremen FDI. „Ich glaube kaum, dass sich potenzielle Wähler der Fratelli d’Italia besonders mit dem Wahlprogramm befasst haben“, sagt Maruhn, „es wird sich vielmehr um Protestwähler handeln, die den Wunsch haben, sich abzugrenzen.“
Fehlende Alternativen sind laut Maruhn ein weiterer Grund für den Vorsprung der FDI. Wer rechts wählen will, könne sich zwischen Melonis Fratelli d’Italia, Salvinis Lega und Berlusconis Forza Italia entscheiden. „Wer sich aber aus moralischen Gründen gegen die Forza Italia – zum Beispiel wegen Berlusconis Sexskandalen – oder gegen die ausländerfeindliche Lega entscheidet, dem bleibt nur noch Fratelli d’Italia“, so der Politologe. „Viele Italiener wünschen sich außerdem eine Frau im Amt“, sagt der Politologe. In Italiens Geschichte wäre Meloni die erste weibliche Ministerpräsidentin.
„Mit Draghi das beste internationale Standing“
Eine reale Gefahr für die Europäische Union sehe Maruhn mit einem Sieg des Mitte-Rechts-Lagers zwar nicht, dieses könnte allerdings Folgen für das Ansehen Italiens haben. „Unter keiner Regierung wird Italien so ein gutes internationales Standing haben wie unter Draghi“, sagt der Politologe.
Ministerpräsident Draghi tritt zurück
Italiens Regierungschef Mario Draghi hat am Donnerstag seinen Rücktritt bei Staatspräsident Sergio Mattarella eingereicht. Das weitere Vorgehen ist nun unklar.
© Quelle: Reuters
Kritiker befürchten außerdem einen Rückschritt für Italiens Frauen – beispielsweise, wenn es um das Abtreibungsrecht, die „Legge 194“, geht. Meloni betonte zwar, dieses nicht abschaffen zu wollen, bekannte sich im Wahlkampf aber immer wieder zu „Gott, Vaterland und Familie“. Auch sonst gilt die konservative Römerin als Emanzipationsgegnerin und Vertreterin des klassischen Rollenbilds.
Verfassungsreformen wie zum Beispiel eine Änderung des Abtreibungsgesetzes sind mit einer Zweidrittelmehrheit in der Abgeordnetenkammer und im Senat möglich. Dass das Rechtsbündnis eine solche Mehrheit erreichen könnte, hält Politologe Maruhn für nicht ausgeschlossen.
Auswirkungen auf deutsch-italienische Beziehung
Ein Sieg des EU-skeptischen Mitte-Rechts-Bündnisses in Italien könnte Auswirkungen auf die Zusammenarbeit mit Deutschland haben. Erst vergangenen Dezember war Bundeskanzler Olaf Scholz nach Rom gereist, wo er die Wichtigkeit der beiden Länder für eine „starke, bessere Union“ betonte. Laut Maruhn könnte es unter anderem beim Thema Einwanderung zu Unstimmigkeiten kommen: „Die ausländerfeindlichen Ansichten des Mitte-Rechts-Bündnisses könnten mit der eher migrationsfreundlichen Politik Deutschlands kollidieren“, sagt er.
Die Frage nach möglichen Folgen des Siegs der FDI für die deutsch-italienischen Beziehungen beantwortete die Bundesregierung nicht. Ein Sprecher verwies lediglich darauf, „dass sich die Bundesregierung im Vorfeld einer Wahl nicht zu möglichen Regierungskonstellationen äußert“.
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Italien wünscht sich Stabilität in der Politik
Dass die sozialdemokratische PD die Wahl noch für sich entscheide, hält Maruhn trotz der vielen noch unentschlossenen Wähler für unwahrscheinlich. Was Italien brauche, sei eine Führungsperson, wie sie das Land für anderthalb Jahre mit Mario Draghi hatte. Diese Führungsrolle sehen viele Italiener in der energisch und entschlossen wirkenden Giorgia Meloni – denn nach im Rhythmus von ein bis zwei Jahren wechselnden Regierungen wünschen sich Wähler laut Maruhn vor allem eines: Stabilität.